Emotionen, die unsere Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erhöhen

Emotionen, die unsere Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erhöhen
Roberto Muelas Lobato

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Roberto Muelas Lobato.

Letzte Aktualisierung: 14. April 2023

Unserem Verhalten gehen Emotionen voraus. Sie legen Schalter in unserem Kopf um und tragen dazu bei, Erinnerungen abzurufen, die wir mit dem aktuellen Geschehen verbinden. Emotionen sind daher wichtige Motivatoren menschlichen Verhaltens. Und es gibt einige Emotionen, die unsere Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erhöhen. Genauer gesagt, eine Kombination von Emotionen kann uns dazu bringen, Gewalt anzuwenden, obwohl die Verantwortung für unser Handeln weiter bei uns liegt.

Wir verstehen eine Emotion als eine psychophysiologische Reaktion, die Menschen individuell erfahren. Dank unserer Empathie sind unsere Emotionen aber ansteckend. Das heißt, wir können andere Menschen genauso fühlen lassen, wie iwr das tun. Dieses Phänomen ist vor allem in Gruppen zu beobachten. Eine Gruppe von Menschen kann im Angesicht einer Gegebenheit die gleiche Emotion verspüren. Die Mitglieder der Gruppe könnten sich allesamt schuldig fühlen oder sich ärgern.

Menschen heben ihre Hände und signalisieren damit Einigkeit

Darüber hinaus nutzen Menschen die Sprache, um Emotionen gezielt zu verbreiten. Damit kann die Sprache zum Instrument werden, um jene Emotionen in Gruppengefühle zu verwandeln, die die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit steigern. Ein Beispiel dafür sind Hassreden gegen eine Minderheit oder eine Gruppe, die als Rivale oder Feind betrachtet wird. Solche Hassreden haben wir in der Geschichte oft gehört; seit letztem Jahr werden sie leider auch wieder im Deutschen Bundestag gehalten.

Die ANCODI-Hypothese

Die ANCODI-Hypothese ist nach drei Emotionen benannt: Wut, Verachtung und Abscheu. Die Hypothese lautet, dass diese drei Emotionen dazu führen können, dass Menschen Gewalt anwenden. Gewalt sei die Folge von Zorn und Abneigung gegenüber jemandem oder etwas. Die ANCODI-Hypothese lässt sich sowohl auf die Einzelperson als auch auf Gruppen anwenden.

Die ANCODI-Hypothese legt nahe, dass ein vergangenes Ereignis oder eine Rede Empörung hervorruft, die wiederum Ärger und Wut verursacht. Der Mensch oder die Gruppe bewertet dieses Ereignis aus einer Position der moralischen Überlegenheit heraus, die die moralische Unterlegenheit des Gegenübers impliziert. Das wiederum führt zu Verachtung und Abscheu. Die Unterschiede zwischen beiden Parteien werden betont und werden zur Rechtfertigung von Vermeidung und Ablehnung genutzt. In extremen Fällen führt das zu der Idee, das Gegenüber vollständig eliminieren zu müssen. Zuweilen wird ihm seine Menschlichkeit abgesprochen.

Die Emotionen, unsere Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erhöhen, entwickeln sich in einem dreiphasigen Prozess, den wir nun beschreiben werden.

Empörung basiert auf Wut

Bestimmte Ereignisse führen zunächst zur Wahrnehmung von Ungerechtigkeit. Diese Ereignisse lassen Menschen nach einer schuldigen Partei suchen, egal ob es sich um eine Person oder eine Gruppe handelt. Sie gehen davon aus, dass der oder die Schuldige/n das Wohlergehen der eigenen Gruppe, der eigenen Lebensweise bedrohe. Diese Interpretationen werden dann mit Wut aufgeladen, die auf den oder die Schuldigen gerichtet wird.

Die erste Phase ist die der Wut. Wut ist eine Emotion, die wir durch Groll und Gereiztheit ausdrücken. Sie manifestieren sich in Gesichtsausdrücken, Körpersprache und physiologischen Reaktionen sehen. In bestimmten Situationen äußern Menschen ihre Wut über öffentliche Aggressionen.

Aber unabhängig davon, ob Wut gerechtfertigt ist: Unkontrollierte Wut kann sich negativ auf die Lebensqualität auswirken.

Das Gefühl moralischer Überlegenheit basiert auf Verachtung

In der zweiten Phase kommt Verachtung hinzu. Verachtung ist eine intensive Emotion, die einen Mangel an Respekt und Anerkennung mit sich bringt. Verachtung bedeutet, jemanden zu verleugnen und zu demütigen. Sie beinhaltet Zweifel an der moralischen Integrität des “anderen”, wer auch immer das sein möge. Verachtung für den anderen bedeutet, dass du dich moralisch überlegen fühlst. Jemand, der für einen anderen Menschen Verachtung fühlt, schaut auf diesen herab, betrachtet ihn als unwürdig.

Um an den vorherigen Abschnitt anzuknüpfen: Der Interpretation der eigenen Seite zufolge verdienen der oder die Schuldige/n unsere Verachtung. Aus der eigenen Wut wird ein gefährliches und trügerisches Gefühl moralischer Überlegenheit, mit dem die Verachtung begründet wird.

Eine Figur steht einer Gruppe von Figuren gegenüber

Der Wunsch nach Eliminierung basiert auf Abscheu

In der letzten Phase kommt Abscheu ins Spiel. Die Wahrnehmung von Kontamination und Krankheit verursacht dieses ursprüngliche Gefühl, das dem Erhalt der eigenen Welt dienen soll. Aber das heißt nicht, dass es nicht auf jemanden oder etwas gerichtet sein könnte, von dem gar keine Bedrohung ausgeht. Und tatsächlich geschieht das viel häufiger, als wir annehmen möchten. Ekel ist eine sehr starke Emotion, die wir oft anbringen, um Überzeugungen und moralisch verwerfliches Verhalten zu rechtfertigen.

In dieser Phase werden die anfänglichen Ereignisse neu bewertet. Die Schlussfolgerung ist sehr einfach und lautet oft so: Wir müssen uns von dem oder den Schuldigen distanzieren. In extremen Fällen lautet die Schlussfolgerung, dass der oder die Schuldige/n eliminiert werden müsste. Leider ist dieses Extrem mittlerweile in unserem Alltag angekommen.

Wie du sehen kannst, kann die Kombination dieser drei Emotionen verheerende Folgen haben. Die Emotionen, die unsere Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erhöhen, basieren auf verzerrten Wahrnehmungen und führen zu falschen Schlüssen hinsichtlich der Realität, die uns umgibt. Daher ist es äußerst wichtig, unsere emotionale Intelligenz zu fördern.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.