Die Zerstörung der moralischen Prinzipien und ihre Auswirkungen

Du bist zu sensibel! Dies ist oft die Antwort, wenn du das Gefühl hast, dass jemand deine moralischen Prinzipien und deine Werte angreift. Die Überschreitung der Grenzen kann jedoch sehr hohe psychologische Kosten haben.
Die Zerstörung der moralischen Prinzipien und ihre Auswirkungen
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 01. Mai 2023

Werden deine moralischen Prinzipien zerstört, rütteln andere an deinem Glaubenssystem, an deinen Einstellungen oder sie stellen dein Moralverständnis infrage. Im täglichen Leben gibt es viele Situationen, in denen wir auf die Probe gestellt werden: Du siehst dich vielleicht in deinem Beruf dazu gezwungen, gegen deine eigenen Prinzipien zu handeln, da sie nicht der Unternehmensethik entsprechen. Auch in Beziehungen müssen nicht immer alle moralischen Kriterien übereinstimmen.

Allerdings wird nur selten über Situationen gesprochen, in denen die moralischen Prinzipien einer Person allmählich zerstört werden. Doch leider leiden viele an dieser psychologischen Realität. Ein Beispiel dafür sind Arbeitskräfte im Gesundheitsbereich: Einerseits sind sie häufig mit moralischen Dilemmas konfrontiert und müssen komplexe Entscheidungen treffen, andererseits sind ihnen in vielen Situationen einfach die Hände gebunden, da sie sich an spezifische Vorschriften halten müssen, die im Einzelfall moralisch nicht immer die beste Wahl darstellen – und vorallem auch nicht unbedingt ihren eigenen, persönlichen Prinzipien entsprechen.

Forschungen der Universität von Foggia und des Instituts für Psychiatrie Crespigny Park (London) liefern diesbezüglich schockierende Daten: Die Suizidrate von Ärztinnen und Ärzte ist doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. Der psychische Tribut und die Zerstörung des eigenen Wertesystems sind immens, womit der Zerfall eigener moralischer Prinzipien ernste Folgen hat. Daher dürfen wir diese Form der psychischen Erschöpfung nicht vernachlässigen oder gar unterschätzen.

“Im Widerspruch zur Vernunft zu leben, ist der unerträglichste moralische Zustand.”

Leon Tolstoi

Die Zerstörung der moralischen Prinzipien und ihre Auswirkungen
Die Verletzung tief verwurzelter Werte erschüttert die menschliche Identität.

Welche Auswirkungen hat die Zerstörung von moralischen Prinzipien?

Wir sind nicht, was wir haben, sondern vor allem, woran wir glauben. Die Zerstörung unserer moralischen Prinzipien geht weit über ein Gefühl, eine Meinungsdifferenz oder unterschiedliche Einstellungen hinaus. Wenn die in uns verankerten Werte im Widerspruch stehen oder zerstört werden, wird der Kern unserer Identität und unseres Selbstkonzepts erschüttert. Nichts kann so schädlich sein.

Andererseits können wir das Offensichtliche nicht leugnen: Wir leben in einer Zeit ständiger moralischer Spannungen, die unsere Grundprinzipien und das, was wir für ethisch halten, völlig untergraben. Krieg – in welcher Form auch immer – ist nur ein Beispiel für einen moralischen Angriff. Genauso wie Ungerechtigkeit, Diskriminierung, fehlende Freiheit …

Wir alle wissen, wie sich solche Situationen anfühlen, messen der Tatsache jedoch nicht immer ausreichend Bedeutung bei. Es muss nicht unbedingt zu einem körperlichen Angriff oder zu einer Beleidigung kommen, um sich verletzt zu fühlen. Oft sind es alltägliche Situationen, die unsere moralischen Prinzipien zermürben. Deshalb ist es wichtig, in uns hineinzuhören und die Auswirkungen zu erkennen.

Bedrohungen unserer Integrität und Identität werden ähnlich erlebt wie physische Bedrohungen.

Welche Symptome und Folgen hat das?

Moralische Verletzungen verändern unser Gehirn. Es interpretiert diese Erfahrungen als eine Bedrohung, die einer körperlichen Aggression gleichkommen – egal, ob sie durch unsere eigene Verantwortung oder durch Einfluss Dritter hervorgerufen werden.

Wenn du bei der Arbeit versagst, einen schweren Fehler machst, aufgrund von äußerem Druck etwas tust, das gegen deine Werte verstößt oder in einer missbräuchlichen Beziehung lebst, vernichtet dich das. Diese Situationen zerstören deine moralischen Prinzipien und du erlebst dies wie einen physischen Angriff. Häufige Auswirkungen sind:

  • Emotionen wie Schuld, Selbstekel, Scham, Ärger, Wut, Traurigkeit und Angst
  • Selbsthass – ein ständiges und sehr schädliches Gefühl
  • Tiefe Enttäuschung gegenüber Institutionen, Menschen und dir selbst
  • Existenziellen Krise, die oft zu Depressionen führt
  • Psychosomatische Auswirkungen: Schlaflosigkeit, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schwäche, Erschöpfung usw.

Moralische Schäden führen oft zu einer akuten Stressreaktion, einer ähnlichen Wirkung wie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Mann spricht in der Therapie über seine moralischen Prinzipien
Eine psychologische Therapie kann nötig sein, wenn es zur Zerstörung der moralischen Prinzipien kommt.

Wie kannst du moralische Wunden heilen?

Die Verletzung der moralischen Prinzipien führt häufig zu Blockaden. Die Gefühle sind so intensiv und schmerzhaft, dass die betroffene Person gefühllos wird. Wir konnten dies während der Pandemie beobachten: Viele Gesundheitsfachkräfte erlebten extreme Situationen, hatten kaum Mittel und waren völlig überfordert. Sie konnten ihre Patienten nicht unter den besten Bedingungen versorgen und mussten komplexe Entscheidungen treffen. Diese Situationen haben tiefe Spuren hinterlassen.

Das erlebte Trauma war (und ist) immens. Das Gleiche gilt für Menschen, die sich in einer anderen extremen Arbeitssituation befinden oder in einer schädlichen Familien- oder Partnerbeziehung leben. Moralischer Schaden ist die Verzerrung dessen, was man ist und woran man glaubt – und das lähmt. Aus diesem Grund empfiehlt sich eine somatische Therapie, die darauf abzielt, die mit dem Körper verbundenen Emotionen, die Schmerz und Krankheit verursachen, zu externalisieren und zu verbalisieren. Atem- und Entspannungstechniken sowie andere Übungen erreichen diese Verbindung – und am Ende auch die Katharsis.

Später beginnt die Gesprächstherapie, in der die erlebten Erfahrungen, die begleitenden Gedanken und die leidverursachenden Emotionen bearbeitet werden. Die Heilung dieser Erfahrungen braucht Zeit. Selbstmitgefühl und Vergebung ermöglichen eine angemessene Reise der Befreiung und des Wohlbefindens.


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