Der Zusammenhang zwischen Bindungstrauma und Selbstkritik
Nur wenige Gefühle sind so zerstörerisch wie Selbsthass – ein Phänomen, das viel verbreiteter ist, als wir uns denken würden. Auch Kinder und Jugendliche leiden daran. Sie haben das Gefühl, alles falsch zu machen und der Liebe unwürdig zu sein. Der Ursprung dieser vernichtenden Selbstkritik liegt in der Regel in einer dysfunktionalen Familie, in der es an Zuneigung mangelt oder in der Vernachlässigung und Gewalt dominieren. Übermäßige Selbstkritik ist eine häufige Folge.
“In einer Zeit, in der man die Mutter-Kind-Beziehung noch nie so gut verstanden hat, waren Säuglinge noch nie so allein.”
Boris Cyrulnik
Kindliche Bindungstraumata
Wenn die primären Bezugspersonen – in der Regel die Eltern – das Kind vernachlässigen, seine Bedürfnisse nicht beachten oder es sogar misshandeln, bleiben tiefe Wunden zurück. Diese Kinder wachsen in einer bedrohlichen Umgebung auf, es mangelt ihnen an Zuneigung und sie entwickeln Angst und Unsicherheit. Eine Forschungsarbeit der Medizinischen Universität Graz zeigt auf, dass die Bindung die Grundlage für die psychobiologische Entwicklung bildet. Fehlt die verlässliche emotionale Unterstützung, wirkt sich das auch auf die Entwicklung des Gehirns aus.
Kinder, die von ihren Eltern Sicherheit und Nähe erhalten, wachsen in einer Matrix auf, die eine gesunde neurobiologische und psychologische Entwicklung ermöglicht. Fehlen diese Werte jedoch, funktionieren die Kinder im Überlebensmodus und entwickeln großteils Bindungstraumata.
Eine Erziehung ohne solide, sichere und nährende Zuneigung führt zu Selbstkritik, da sich Betroffene selbst die Schuld geben, dass ihre Eltern sie nicht lieben.
Selbstkritik als Folge einer tiefen Wunde
Wir experimentieren alle immer wieder negative Selbstwahrnehmungen und ärgern uns über Fehler. An manchen Tagen läuft alles schief und wir wissen, dass wir selbst einiges dazu beitragen. Menschen mit einem Bindungstrauma hingegen praktizieren zerstörerische Selbstkritik und entwickeln Selbsthass. Sie sabotieren sich auf alle nur denkbaren Arten.
1. Der soziale Vergleich
Wie Leon Festinger in seiner Theorie des sozialen Vergleichs erklärte, haben wir alle den Drang, uns mit anderen zu vergleichen. Wir tun das, um zu lernen, um uns zu definieren, um unsere Fähigkeiten, Meinungen usw. zu analysieren. Menschen mit einem Bindungstrauma neigen jedoch dazu, sich ständig an anderen zu orientieren, um sich selbst zu bewerten.
Dabei sehen sie nur Unzulänglichkeiten, Mängel und Aspekte, die sie verachten. Andere scheinen immer glücklicher zu sein und mehr Liebe verdient zu haben. Das Leben anderer Menschen scheint immer besser zu sein, der zermürbende innere Dialog nährt diese Wahrnehmung zusätzlich.
2. Schwierigkeiten, glückliche Beziehungen aufzubauen
Das Bindungstrauma und die Selbstkritik manifestieren sich primär in den Beziehungen zu anderen. Wer nie erfahren hat, was es bedeutet, geliebt zu werden, ist kaum in der Lage, andere zu lieben. Diese Menschen haben immer Zweifel, ihre innere Stimme warnt sie davor, dass sie aufs Neue verletzt werden könnten. Zweifel, Ängste, das Bedürfnis, geliebt zu werden, und quälende Gedanken zerstören Beziehungen und Freundschaften.
3. Alles oder Nichts
Schwarz-Weiß-Denken ist eine kognitive Verzerrung, die uns nur die Extreme der Realität sehen lässt. Du redest dir selbst ein, dass dich niemand liebt, dass du alles falsch machst und nichts erreichst. Bindungstraumata und Selbstkritik bauen diesen Dialog auf, der jeden persönlichen Wert reduziert und die Realität in ein unsicheres Szenario verwandelt. Bedrohung, Verrat und Untergang scheinen präsent zu sein.
4. Das Gefühl der Wertlosigkeit
Unbewusste Selbstmanipulation ist häufig die Folge eines kindlichen Traumas. Betroffene haben die Tendenz, ihre Ziele zu boykottieren und ihr Potenzial zu untergraben. Außerdem entwickeln sie Vermeidungsverhalten und bevorzugen, schwierigen Situationen auszuweichen, anstatt sich für ihre Ziele zu engagieren. Das Gefühl der Wertlosigkeit bestimmt ihr Handeln.
Bindungstraumata beeinträchtigen das Leben in vielen Bereichen. Das Gehirn verändert sich, wenn Kinder bedrohlichen Situationen ausgesetzt sind. Außerdem entwickeln sie kein gesundes Selbstwertgefühl und haben eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Die EMDR-Therapie (Eye Movement Desensitisation and Reprocessing) von Dr. Francine Shapiro kann Betroffenen helfen. Befindest du dich in dieser Lage, solltest du unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
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- Shapiro F. The role of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) therapy in medicine: addressing the psychological and physical symptoms stemming from adverse life experiences. Perm J. 2014 Winter;18(1):71-7. doi: 10.7812/TPP/13-098. PMID: 24626074; PMCID: PMC3951033.