Der Tanz der Waldgeister: Eine wunderschöne japanische Fabel

Der Tanz der Waldgeister: Eine wunderschöne japanische Fabel
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 28. Juni 2023

Diese japanische Fabel erzählt, dass an einem fernen Ort zwei Männer am selben Tag zur selben Zeit geboren worden seien. Beide kamen aus sehr bescheidenen Familien. Zur Überraschung aller kamen sie mit der gleichen körperlichen Deformität auf die Welt: Beide hatten eine kugelige Vorwölbung auf der Stirn.

Diese Fabel besagt weiter, dass Tse, einer der beiden Männer, eine zutiefst arrogante Familie gehabt habe. Man fühlte sich den Mitmenschen überlegen und genoss deren Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite hatte Yung, der andere Mann, eine bescheidene und friedliche Familie. Die Mitglieder seiner Familie waren liebevoll und freundlich zueinander und zu anderen.

“Die besten Ärzte der Welt sind Doktor Ernährung, Doktor Entspannung und Doktor Freude.”

Jonathan Swift

In der Folge ihrer Arroganz schämte sich Tses Familie zutiefst, als sie bemerkten, dass der jüngste Nachwuchs einen körperlichen Defekt hatte. Sie konnten nicht akzeptieren, dass jemand aus ihrer Familie mit solch einem unansehnlichen Etwas im Gesicht geboren wurde. Sie versuchten, die Deformation zu überdecken, aber all ihre Versuche waren vergebens.

Währenddessen verhielt sich Yungs Familie ganz anders. Sie glaubten, dass das Kind mehr Liebe bräuchte als die anderen, um glücklich zu werden. So behandelten sie es mit Sanftmut und Zuneigung. Sie lehrten den Jungen, dass er würdig sei und dass die Deformität seiner Stirn nichts sei, dessen er sich schämen müsse.

Und die beiden Jungen sind groß geworden …

Tse wuchs im Unglück auf. Seine Familie schämte sich für ihn und versuchte, ihn so weit wie möglich zu verstecken. Sie bedeckten seinen Kopf mit Hüten, damit er nicht auffiel. Im Laufe der Zeit wuchs Tse zu einem traurigen, verbitterten jungen Mann heran.

Mann, der unter einem Baum sitzt

Auf der anderen Seite wuchs Yung wie alle anderen Kinder auf. Diese machten sich über sein merkwürdiges Gesicht zwar lustig, doch das interessierte ihn nicht. Er hatte sogar gelernt, sich über sich selbst lustig zu machen und mit den anderen zu lachen. So hörten die anderen Kinder schließlich auf, Yungs körperlichen Defekt zu sehen, und konzentrierten sich stattdessen auf seinen guten Humor und die Tatsache, dass er ein so guter Freund war.

Yung wurde ein fröhlicher und neugieriger junger Mann. Er war mutig und abenteuerlustig. Tse aber hasste die Menschen. Er war frustriert und verstand nicht, warum er so viel Pech im Leben hatte.

Die Waldgeister

Eines Tages ging Yung in den Wald und bevor er es bemerkte, war es bereits dunkel geworden. Er beschloss, im Wald zu bleiben und sich auszuruhen. Es war schon spät, als er die Geräusche einer Feier hörte. Er näherte sich vorsichtig einem Lagerfeuer und sah aus einem Dickicht heraus, was dort los war: Er sah eine Gruppe fantastischer Wesen, die um das Feuer tanzten. Es war eine Gruppe von Geistern.

Yung hatte Angst, aber die Feier schien so unterhaltsam zu sein, dass er nicht widerstehen konnte. Er kam näher und begann vor den überraschten Blicken der Geister mitzutanzen. Laut dieser japanischen Fabel seien die Geister von Yungs Enthusiasmus begeistert gewesen. Sie tanzten zusammen, bis die Sonne aufging. Sie verbrachten die Nacht damit, zu lachen und sich Seite an Seite zu amüsieren.

Wald, in dem Geister tanzen

Als für Yung die Zeit gekommen war, sich zu verabschieden, wollten die Geister einen Teil von ihm behalten. Deshalb nahmen sie die Deformität von seiner Stirn. Sie hielten dieses merkwürdige Etwas in den Händen und sagten: “Wir behalten das, damit du wiederkommst und wieder mit uns tanzt.”  Sie wussten nicht, dass es eine Erleichterung für Yung war, diesen Teil seines Körpers loszuwerden. Daher hatte er eigentlich kein Interesse daran, das, was sie ihm genommen hatten, jemals zurückzuholen.

Das interessante Ende der japanischen Fabel

Yung kehrte ohne seine Deformität in das Dorf zurück und alle waren geschockt. Er erzählte ihnen von der außergewöhnlichen Feier, die er erlebt hatte, doch niemand glaubte ihm. Dann bat Tse Yung, ihm seine Kleider zu leihen, damit er so tun könnte, als wäre er er. Er wollte die Geister besuchen, damit sie auch ihm dieses lästige Etwas von seiner Stirn nehmen könnten.

Tse ging in den Wald und hörte am frühen Morgen die Geister. Er näherte sich ihnen und bat sie, ihm dieses Etwas abzunehmen. Nichts anderes war für ihn wichtig. Deshalb tanzte er nicht und beteiligte sich nicht an der Feier. Die Geister versuchten, ihn in die Feier einzubeziehen, aber er zog sich jedes Mal wütend und verärgert zurück.

Angler auf Fluss in Fernost

Als die Sonne aufgehen wollte, kam einer der Geister auf Tse zu und legte die von Yung entfernte Deformität auf seine Stirn. Er sagte: „Nimm das mit. Es ist Zeit für dich, zu gehen … und mache dir keine Mühe, zurückzukommen.“  Laut der japanischen Fabel kehrte Tse also mit Vorwölbungen in das Dorf zurück. So vermittelte er die Lektion, dass Freude und Großzügigkeit wunderbares Glück bringen. Wut und Selbstsucht allerdings führen zu Unglück und Einsamkeit.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.