Deine Realität ist nicht meine Realität
Ich möchte dir von einer Erfahrung erzählen, die ich gemacht habe. Ich bin dabei noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen und nun bin ich hier, um dich – der du am anderen Ende des Bildschirmes sitzt – davor zu bewahren, denselben Fehler zu begehen. Aber dies ist auch Teil eines nicht enden wollenden Kreises. Wenn du weiterliest, wirst du verstehen, wovon ich rede.
Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern so, wie wir sind…
Halte für einen Moment inne und denke darüber nach.
Du, mit all deinen Tugenden und Lastern, mit deinen Erfahrungen, die auf deinen Schultern lasten, woher sie auch kommen mögen und wo du auch gerade sein magst: Sieh dir dein Leben an, das, was gerade darin vor sich geht in Übereinstimmung mit all deinen Eigenarten und Vorlieben.
Ich, mit allen meinen Tugenden und Lastern, mit meinen Erfahrungen, die auf meinen Schultern lasten, woher sie auch kommen mögen und wo ich auch immer gerade sein mag: Ich sehe mir mein Leben an, das, was gerade darin vor sich geht in Übereinstimmung mit all meinen Eigenarten und Vorlieben.
Und in unserem Dialog passiert es uns, dass wir versuchen, unsere Welten miteinander auszutauschen und zu denken, dass sie ein und dasselbe sind. Und genau aus diesem Grund ist es manchmal so schwierig, sich auf etwas Bestimmtes einigen zu können oder einander zu verstehen.
Vielleicht halten wir beide uns gerade mit derselben Sache auf oder wir durchleben gerade dieselbe Situation. Trotzdem erlebt jeder von uns sie auf seine eigene, ganz persönliche Art und Weise in Übereinstimmung mit seiner Erfahrung, seinen Vorlieben, seinem Glauben. Das bedeutet nichts anderes als: in Übereinstimmung mit der Art, wie jeder von uns ist.
Aus diesem Grund zählt jede Meinung genauso viel wie die unsrige und aus diesem Grund ist das Leben und die Art, wie wir unsere eigene Realität konstruieren, etwas so Subjektives. Du, mit all deinen Erfahrungen, ich, mit all meinem Gepäck – wir beide haben unsere Blicke vielleicht auf ein und dieselbe Sache gerichtet und trotzdem nehmen wir sie als zwei unterschiedliche Realitäten war.
Schauen wir uns dazu ein Beispiel an:
Wir beide wurden auf eine Party eingeladen und wir beide haben uns dazu entschieden, hinzugehen. Doch gerade als du dabei warst, dich auf den Weg zu machen, erhältst du den Anruf eines Freundes, der dir erklärt, dass du den Job in seiner Firma erhalten hast und dass er sich dabei ganz sicher sei. Ich für meinen Teil hatte gerade einen handfesten Streit mit meinem Freund und wir haben uns am Ende dazu entschieden, miteinander Schluss zu machen. Jeder Teil meines Körpers bettelt förmlich danach, zu Hause zu bleiben. Aber ich fasse mir ein Herz und denke, mich hier zu Hause zu verstecken würde nur dazu führen, dass ich noch tiefer in diesem Loch versinken würde. Also entscheide ich mich, mich doch an die ursprünglich gefassten Pläne für den Abend zu halten.
Dann treffen wir uns dort. Du strahlst förmlich vor Glück und ich drohe in Traurigkeit zu versinken und gebe mein Bestes, dies zu verbergen.
Ungeachtet dessen essen wir beide, reden wir beide und tanzen wir beide… und an irgendeinem Punkt mitten in der Nacht wird ein Lied gespielt, das mich an ihn erinnert. Ich kann mich kaum dagegen wehren und die Atmosphäre der Party wird zu etwas Verwirrendem und Nostalgischem voller Melancholie. Du hingegen tanzt fröhlich weiter, als gäbe es kein Morgen mehr… und am Ende, als ich mich gerade dazu entschieden habe, zu gehen, möchtest du dort noch ein bisschen länger bleiben.
Als ich mich nun an die Party vom Vorabend erinnere, fällt mir wieder das Lied ein, das mich so traurig gemacht hat, das Essen, das er so gern gemocht hätte und die Maske, die ich ständig aufhaben musste, damit ja niemand etwas von meiner Traurigkeit mitbekommen kann und darauf kommen würde, dass meine Beziehung beendet ist. Du hingegen erinnerst dich daran, wie du voller Inbrunst getanzt hast und dass du noch ausgelassener und fröhlicher als sonst warst.
Es scheint fast so, als seien wir auf zwei unterschiedliche Partys gegangen oder nicht? Dabei handelte es sich doch eigentlich um ein und dieselbe Feier. Der Unterschied war allerdings, dass du gerade etwas Großartiges und ich etwas Furchtbares erlebt hatte. So hat jeder von uns seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt.
Brauchst du noch mehr Beispiele?
Oft reden wir über Gefühle oder über abstrakte Konzepte wie zum Beispiel Liebe, Freundschaft, Vertrauen oder Freiheit. Wir glauben dann, über ein und dieselbe Sache zu reden, dabei stoßen wir allerdings auf einige Unterschiede.
Ich schlage vor, dass du deine Freunde einmal fragst, was sie unter diesen Konzepten verstehen und du wirst überrascht sein, wie ihre Sicht auf die Dinge ist. Mit Sicherheit werden sie alle ihren ganz eigenen Blick haben.
Aus diesem Grund ist es, wenn wir uns in einer Unterhaltung befinden, so wichtig, dass wir unser Gegenüber genau fragen, was er oder sie unter diesem Thema versteht. Und auf diese Weise beginnen wir, die Perspektive des anderen wirklich zu entdecken – seine Welt und seine Realität.
Bei einer Begegnung zweier Menschen fließen auch immer zwei Welten zusammen – zwei Realitäten, die sich einander angleichen müssen, wenn wir uns gegenseitig wirklich kennenlernen wollen.
Aus diesem Grund musst du mit der anderen Person Zeit verbringen und versuchen, ihr nicht deine eigene Sicht auf die Dinge aufzudrücken.
Halte dir immer vor Augen: Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, wir sehen die Dinge so, wie wir sind. Und dann habe den Mut, andere Welten und andere Realitäten zu entdecken!