Bewusste Gleichgültigkeit - Was ist das und wie funktioniert sie?

Bewusste Gleichgültigkeit - Was ist das und wie funktioniert sie?
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 28. Juni 2023

“Bewusste Gleichgültigkeit” ist ein noch recht neuer Terminus, der anfänglich vor allem in Bezug auf Paarbeziehungen verwendet wurde. Das Konzept hat jedoch auch in anderen Bereichen der Psychologie Zuspruch gefunden, nachdem man festgestellt hatte, dass sich damit eine Vielzahl an Situationen und Verhaltensweisen charakterisieren ließen.

Als bewusste Gleichgültigkeit wird jenes Verhalten definiert, das darauf abzielt, nach außen hin sichtbare Reaktionen auf einen gegebenen Reiz zu unterdrücken. Wie der Begriff schon andeutet, beruht dieses Verhalten auf einer bewussten Entscheidung. Die Person gibt sich, als wäre ihr der Reiz egal, als hätte er keinerlei Einfluss darauf, was sie denkt und fühlt. So suggeriert sie Indifferenz, aber dieser Eindruck steht in einem starken Kontrast zu dem, was in ihrem Inneren tatsächlich geschieht. Mit ihrem Verhalten strebt sie danach, zu verbergen, was ihr tatsächlich durch den Kopf geht.

“Wo auch immer Menschen sich sicher fühlen, werden sie sich gleichgültig geben.”

Susan Sontag

Worum es letztendlich geht, ist also, die eigenen Gedanken und Gefühle nicht zu verraten. Vielleicht mag dieses Verhalten den Anschein erwecken, dass derjenige, der es zeigt, täuschen und manipulieren möchte, aber nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. In Wirklichkeit wird versucht, die eigenen Schwächen zu kaschieren, um sich eben nicht manipulierbar durch andere zu machen. Das gilt insbesondere in Situationen, in denen Menschen interagieren, die auf unterschiedlichen Stufen einer Hierarchieleiter stehen. Die bewusste Gleichgültigkeit ist ein Verteidigungsmechanismus für den sich die Person bewusst entscheidet.

Bewusste Gleichgültigkeit und die Liebe

Lieber und Paarbeziehungen sind manchmal ein wahrer Rosengarten – in all seiner Pracht, in all seiner Schönheit und seinen Düften, aber eben auch voller Dornen. Hierarchie und Macht spielen in mehr Beziehungen eine Rolle, als wir es vielleicht annehmen möchten. Und dabei beziehen wir uns nicht auf das omnipräsente Problem des Machismo, denn auch Frauen sind es gewohnt, ihre Fäden der Macht zu ziehen.

Wann tun sie das? Eine der Phasen, in denen Machtspiele besonders häufig zu beobachten sind, ist die des “Sondierens”. In der Politik werden Sondierungsgespräche wenigstens als solche bezeichnet, aber wenn es um Partner geht, weiß einer der beiden meist nicht, dass der andere gerade austestet, wie weit er gehen kann, wie viel Macht der über ersteren hat. Das kann geschehen, wenn die Beziehung sich noch in ihren Anfängen befindet, wenn die Partner ihren Stand zueinander erst noch definieren müssen. Aber es wird auch sondiert, wenn einem der beiden langweilig geworden ist und er eine Veränderung herbeisehnt – wie auch immer die aussieht. Oder wenn die Beziehung kurz vor dem Aus steht und einem der Partner alle Mittel recht sind, sie zu “retten”.

Partner wenden sich den Rücken zu

Es ist wie ein Tauziehen. Und bewusste Gleichgültigkeit ist nicht notwendigerweise eine schlechte Antwort auf das Sondieren seitens des Gegenübers: vortäuschen, nichts zu fühlen, entweder, um zu vermeiden, dass die Manipulation zum Abschluss gebracht wird, und um zu verhindern, dass eine Beziehung, die bereits der Vergangenheit angehört, wiederhergestellt wird. Das ist kein Betrug, sondern vielmehr eine Strategie, die versucht, ein höheres Gut zu schützen.

Bewusste Gleichgültigkeit und konfliktive Beziehungen

Bewusste Gleichgültigkeit ist auch dann eine adäquate Reaktion, wenn wir in konfliktiven Beziehungen bestehen müssen, die wir nicht problemlos auflösen können. Als Beispiel sei die Beziehung zu einem Arbeitskollegen genannt, die permanent zu Reibungen und Unbehagen führt. Aber leider sind wir nicht in der Lage, uns unsere Arbeitskollegen auszusuchen – und eine Kündigung ist selten eine gültige Option. Wir können uns bemühen, mit diesem Kollegen zu einer Einigung zu gelangen, aber es gibt Menschen, mit denen wir einfach nicht auf einen grünen Zweig kommen.

Wenn wir die Möglichkeiten der Kommunikation ausgeschöpft haben, ohne Erfolge verbuchen zu können, ist die bewusste Gleichgültigkeit die beste Alternative. Sie bedeutet, dass wir nicht länger auf Provokationen eingehen, beleidigende Kommentare überhören und schlicht darauf verzichten, irgendeine Beziehung zu dieser Person zu definieren. Wir wollen die Reize, die sie beständig in unsere Richtung sendet, nicht mehr mit einer Antwort belohnen, weil wir verstanden haben, dass uns das nur in Problemsituationen brächte, aus denen unser Gegenüber gar keinen Ausweg finden wollte.

Arbeitskollegen streiten

Mit der Zeit zeigt sich, das bewusste Gleichgültigkeit ein wirksames Gegenmittel für das toxische Verhalten des Kollegen ist. Sobald er einsieht, dass wer an seinem Spiel nicht teilnehmen, wird er aufhören, uns dazu einzuladen. Früher oder später wird es müde werden, immer wieder zu sticheln. Er wird verstehen, dass er seine Ressourcen vergeudet, und seine Bemühungen einstellen.

Ein nützliches Werkzeug für unterschiedlichste Situationen

Das Verhaltensmuster der bewussten Gleichgültigkeit kann auch in anderen Situationen zum Einsatz kommen, in denen wir uns mit Konflikten konfrontiert sehen. Meinungsunterschiede gehören zu unserem Alltag dazu und die überwiegende Mehrzahl solcher Differenzen ist entweder völlig irrelevant oder erweitert unseren Horizont. Aber es gibt leider auch unsinnige Streits, denen wir dennoch nicht aus dem Weg gehen können, wie wir im obigen Beispiel gesehen haben. Wie dem auch sei, wir müssen ständig entscheiden, ob wir uns einem Konflikt stellen oder ihn an uns vorbeiziehen lassen.

Wir tun das mehrmals täglich, oft, ohne auch nur drei Gedanken daran zu verschwenden. Aber in einigen Fällen ist die Entscheidung, wem oder was wir welche Wichtigkeit einräumen, wegweisend für unseren weiteren Lebensweg. Und dann wird sie plötzlich zu einer komplexen Angelegenheit, in die wir unsere Persönlichkeit, unser Selbstbewusstsein und unsere Erfahrungen einbringen müssen. Die Fähigkeit, derartige Entscheidungen zu treffen, ist auf sozialer Ebene äußerst nützlich, denn sie erlaubt es uns, unsere Ideale und Werte zu verteidigen. Grenzen zu setzen, wenn jemand in unseren persönlichen Freiraum eindringen möchte. Diejenigen zu unterstützen, die dazu momentan nicht in der Lage sind.

Um nicht auch unsere Ressourcen und die zu vergeuden, ist es essenziell, zu lernen, zu entscheiden, wann es sich lohnt, in den Kampf zu ziehen. Nicht jedes Problem, nicht jeder Streit verdienen eine Reaktion unsererseits. Das Nicht-Reagieren auf solche Konflikte ist Teil der bewussten Gleichgültigkeit. Auf die eine Seite der Waage liegen wir die Bedeutung der Angelegenheit und die negativen Folgen, die es hätte, wenn wir nicht reagieren. Auf die andere Seite kommt die Energie, die wir aufbringen müssen, um unsere Position zu verteidigen, und den Nutzen, den wir bei einem Sieg davontrügen. In welche Richtung neigt sich die Waage? Ist es sinnvoll, einem Betrunkenen zu widersprechen? Möglicherweise – wenn seine Taten besonders hoch geschätzte Werte in Gefahr bringen. Es wird uns jedoch nicht gelingen, ihn von den unseren zu überzeugen.

Die bewusste Gleichgültigkeit ist also ein nützliches Werkzeug, ganz unterschiedliche Situationen auf intelligente Weise zu bewältigen. Manchmal ist das Beste, was wir tun können, nichts zu tun. Dieses interessante Konzept dreht sich genau darum, in der Lage zu sein, zu erkennen, wann das der Fall ist, und inneren Impulsen zu widerstehen.


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Roca, E. (2014). Cómo mejorar tus habilidades sociales. Acde.
  • Carmona, C. G. H., & Melo, N. A. (1999). Comunicación interpersonal: programa de entrenamiento en habilidades sociales. Alfaomega.
  • Moreno-Jiménez, B., Blanco-Donoso, L. M., Aguirre-Camacho, A., De Rivas, S., & Herrero, M. (2014). Habilidades sociales para las nuevas organizaciones. Psicología conductual, 22 (3), 585.

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.