Axel Honneth und seine Theorie der Anerkennung
Wir Menschen befinden uns in einem fortwährenden Kampf um Anerkennung. Genau mit diesem Kampf beschäftigt sich Axel Honneth in seiner Theorie. Früher kämpften Menschen für die Anerkennung ihrer Nationen oder für die Menschenrechte. Und auch heute noch streben wir fortwährend nach Anerkennung, denn unsere Gesellschaft verändert sich permanent.
Wenn wir diese Theorie verstehen, dann werden wir dadurch unsere heutige Lebenssituation besser verstehen. Wir leben in einer globalisierten und hypermodernen Welt. Zygmunt Bauman stellt fest, dass die strengen sozialen Strukturen und Gefüge, in denen wir einst lebten, heute nicht mehr existieren. Dabei beschleunigen die rasanten Entwicklungen in Kommunikation, Wirtschaft und Technologie diesen Prozess immer weiter.
Hinterfragen wir eigentlich noch die Geschwindigkeit, die in der heutigen Welt herrscht? Fragen wir uns noch, welche Rolle wir dabei spielen?
Wir leben im Zeitalter der technologischen Revolution und werden vom Internet und der Cyberwelt beherrscht. Je schneller sich unsere Kommunikationsmöglichkeiten und damit auch wir als Menschen uns verändern, desto mehr gerät auch das Raum-Zeit-Gefüge aus dem Gleichgewicht. Da wir uns als Menschen permanent verändern, ändert sich dadurch auch unsere Rolle, die wir als Mensch und Individuum spielen.
Wir sind so sehr in Bewegung, dass wir beinahe wie Nomaden leben, die sich an Objekten und materiellen Dingen festhalten. Außerdem finden die meisten unserer Aktivitäten heute in unserem “Netzwerk” statt. Alles wird geteilt und veröffentlicht. Die Frage, die wir uns daher unbedingt stellen sollten: wie wirkt sich all das auf uns aus?
Axel Honneth: Begründer der Theorie der Anerkennung
Axel Honneth ist ein deutscher Philosoph und Soziologe, der 1949 geboren wurde. Er gehörte zur dritten Generation der Frankfurter Schule, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main hervorgegangen ist.
Er gilt als Schüler von Jürgen Habermas, da er auch von ihm die Analyse der Philosophie sozialer Bewegungen übernommen hat. Außerdem knüpfen seine Arbeiten an die Konzepte von Immanuel Kant und Hegel an.
Axel Honneth entwickelte eine moralisch-soziologische Theorie des menschlichen Leidens. Das Leiden ist das Resultat mangelnder Anerkennung, welche in unserer heutigen Welt die Ursache für viele soziale Konflikte darstellt.
Dabei hat Honneth drei Dimensionen der menschlichen Anerkennung identifiziert: Liebe, Gesetz und Solidarität.
- Zunächst einmal liefern Gesetze die Richtlinien, die verschiedene Arten der Anerkennung ermöglichen. Außerdem werden Regeln definiert, welche die Dynamik und Interaktion zwischen den einzelnen Dimensionen sicherstellen.
- Der zweite Aspekt ist die Liebe. Sie ist die Grundlage für die anderen zwei Dimensionen und unterstützt Fürsorge und Aufmerksamkeit.
- Soziale Wertschätzung ist die Grundlage für Solidarität. In dieser Dimension werden die Qualitäten und Fähigkeiten eines Menschen in seinem Umfeld anerkannt und gewürdigt.
Was passiert, wenn die Dimensionen nicht mehr intakt sind?
Die einzelnen Dimensionen der Anerkennung harmonieren nicht immer miteinander. Es besteht eine permanente Spannung zwischen ihnen, wodurch sich die Grenzen erweitern. Die Konsequenzen, die sich durch fehlende Anerkennung ergeben, unterscheiden sich in den einzelnen Dimensionen.
Axel Honneth versteht unter Gerechtigkeit den Erwerb von Rechten und Pflichten außerhalb der sozialen Ordnung. Dieses Verständnis von Gerechtigkeit ist aber nur möglich, wenn eine Person sich von moralischen Traditionen freimachen würde. Stattdessen würde sie sich dann von den universellen Prinzipien leiten lassen.
Soziale Konflikte erweitern den Rahmen für Rechte und Pflichten. Daher können wir Störungen in dieser Dimension feststellen, wenn die Fähigkeit eines Individuums, die moralische Verantwortung für sich und seine Handlungen zu übernehmen, nicht anerkannt wird. Wenn wir also durch das Gesetz keine Anerkennung erfahren, dann entsteht ein Ungleichgewicht zwischen unserer Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig unsere Rechte wahrzunehmen.
Auch die Dimension der Solidarität kann gestört werden. Dies geschieht, wenn Menschen das Gefühl bekommen, dass sie in ihrer Gemeinde, ihrer Nachbarschaft oder bei ihrer Arbeit nicht die nötige Anerkennung erhalten. Dadurch, dass wir uns nicht mehr als bedeutenden Teil unseres täglichen Umfeldes empfinden, kann unser Selbstwertgefühl und auch unsere Beziehung zu unseren Mitmenschen leiden. Dieser Mangel resultiert aus einer Stigmatisierung und hat Auswirkungen auf unser Ehrgefühl und unsere menschliche Würde.
Im Gegensatz dazu ist die Liebe eine besondere Dimension, denn sie ist abhängig von der Referenzgruppe des Individuums. Unsere tiefsten und fundamentalsten Bindungen an unsere Familie, unseren Partner und unsere Freunde sind die tragenden Säulen der Anerkennung. Die Anerkennung durch einen Arbeitskollegen lässt sich nicht mit der Liebe unserer Familie oder uns nahe stehender Menschen vergleichen.
Axel Honneth über soziale Interaktion
Nach der Theorie der Anerkennung sind soziale Bindungen sehr wichtig, da es durch sie möglich wird, dass wir uns auf unterschiedliche Weise ausdrücken können.
Daher kann die exzessive Nutzung sozialer Netzwerke ein typisches Symptom für mangelnde Anerkennung sein. Aufgrund der großen Unsicherheit, die viele Menschen heute verspüren, sind sie darum bemüht, ein Bild von sich zu erschaffen, das von anderen bewundert und geschätzt wird.
Im Gegensatz dazu ist es möglich, dein psychisches Wohlbefinden durch folgende Verhaltensweisen zu verbessern:
- Beteilige dich aktiv an moralischen und gesellschaftlichen Themen, die dich interessieren und berühren.
- Baue dir Verbindungen auf, die über die Kontakte in sozialen Netzwerken hinaus gehen. Pflege Kontakte mit den Menschen aus deiner unmittelbaren Umgebung und unterhalte dich häufiger persönlich mit ihnen.
- Konzentriere dich mehr auf persönliche Kontakte mit Menschen. Bei dieser zwischenmenschlichen Kommunikation gibt es keine “likes” oder ähnliche Kommentare über Photos, die du gepostet hast. Hierbei geht es um reale menschliche Gesten der Zuneigung durch einen engen Freund oder einen Verwandten.
Axel Honneth und die Bewegungen, die für Anerkennung kämpfen
Wie wir bereits erwähnt haben, geht der Kampf um Anerkennung über die drei Dimensionen Gesetz, Liebe und Solidarität hinaus. Lass uns einige Beispiele hierfür betrachten:
- In der Dimension des Gesetzes haben ökologische Bewegungen immer eine besondere Rolle eingenommen. In den vergangenen Jahren gab es viele Anstrengungen, die Atomkraft stärker zu regulieren. Das Ergebnis in Deutschland war beispielsweise, dass sich die politischen Parteien über einen Atomausstieg geeinigt haben. Daher haben die Bestrebungen, unsere Technologien nachhaltiger zu machen und unsere Welt zu erhalten, zu neuen Regeln und Gesetzen über die Verwendung von Rohstoffen geführt.
- In der Dimension der Solidarität hat die LGBT Bewegung nicht nur Rechte eingefordert. Sie hat auch dafür gekämpft, dass Lesben, Schwule, Transgender und bisexuelle Menschen von der restlichen Gesellschaft als gleichwertige Mitglieder anerkannt und nicht weiter stigmatisiert werden.
- Die Interpretation der Dimension Liebe ist aufgrund ihres sehr persönlichen und intimen Charakters am schwierigsten. Jede Störung, die hier auftritt, hat unmittelbaren Einfluss auf die anderen Dimensionen. Zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen mangelnder Zuneigung und der Ausprägung von Suchtverhalten und sozialer Ablehnung. Gleichzeitig gibt es aber auch immer mehr Initiativen, die sich für emotionale und sexuelle Aufklärung an Schulen engagieren.
Abschließende Gedanken
Daher ist die Theorie der Anerkennung sehr wichtig, wenn wir versuchen, unsere zwischenmenschlichen Verbindungen und unsere soziale Dynamik besser zu verstehen.
Hast du dich jemals gefragt, was einem negativen oder depressiven Menschen fehlen könnte? Dabei ist es völlig unerheblich, ob du Therapeut, ein Freund oder ein Angehöriger bist. Hast du dich schon einmal gefragt, ob diese Person sich moralisch, sozial oder persönlich als Mensch anerkannt und geschätzt fühlt?
Außerdem inspiriert uns die Theorie der Anerkennung von Axel Honneth dazu, uns auch selber zu hinterfragen. Was ist unsere eigene Rolle in den Gruppen, denen wir angehören? Fühlen wir uns genügend anerkannt? Diese Fragen sollten wir uns immer wieder stellen.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Honneth, A., (1997), La lucha por el reconocimiento, Traducción española de Manuel Ballestero, Barcelona, Crítica (citado como LpR).
- Honneth, A., (2003), Kamf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt, Suhrkamp (citado como KuA).