Aufmerksamkeitsdefizit bei Erwachsenen
“Ein Aufmerksamkeitsdefizit bei Erwachsenen? Aber nein, das haben doch die Kinder!” Dies war, über lange Zeit hinweg, eine allgegenwärtige Annahme. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sie ungenau, wenn nicht sogar falsch ist. Tatsächlich haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass ein Aufmerksamkeitsdefizit bei Erwachsenen bestehen kann. Dies spiegelt sich sehr deutlich in den medizinischen Berichten und Fallstudien wider, die veröffentlicht werden.
So ist nun nachgewiesen, dass das Aufmerksamkeitsdefizit keine Störung ist, die ausschließlich im Kindesalter besteht. Tatsächlich setzt sich die Erkrankung bei einem hohen Anteil Betroffener bis ins Erwachsenenalter fort. Auf der anderen Seite ist es einem Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit eher als dem Kind möglich, gewisse Strategien zur Bewältigung zu entwickeln. Dadurch können auftretende Schwierigkeiten erfolgreicher kompensiert werden.
Ein Aufmerksamkeitsdefizit, ob mit oder ohne Hyperaktivität, gibt es sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen.
Verheerende Wirkungen
Bestimmte Daten, die Forscher veröffentlichten, zeigen, dass etwa 3 % der erwachsenen Bevölkerung an einem Aufmerksamkeitsdefizit bzw. einer Impulskontrollstörung leiden. Darüber hinaus können Betroffene auch Hyperaktivität zeigen. Schließlich deuten andere Studien auf einen noch höheren Prozentsatz hin. 67 % der Kinder, bei denen eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, diagnostiziert wurde, zeigt auch im Erwachsenenalter eine entsprechende Symptomatik. Dadurch kann ihre Leistung in verschiedenen Bereichen, wie beispielsweise in persönlichen Beziehungen, in der Ausbildung oder im Verlauf ihres Studiums sowie am Arbeitsplatz beeinträchtigt werden. Mit dieser Störung aufzuwachsen, ohne es zu wissen, hat besonders verheerende Auswirkungen.
Die Existenz eines Aufmerksamkeitsdefizits bei Erwachsenen ist unwiderlegbar. Darüber hinaus sind Frauen häufiger betroffen. Bei ihnen überwiegt allerdings die Unaufmerksamkeit, was bedeutet, dass die Störung ohne Hyperaktivität vorliegt. Weil das Fehlen der Hyperaktivität das Problem oft verschleiert, wird es nicht als echte Störung erkannt. Auf der anderen Seite erhöhen sich durch auf dem Aufmerksamkeitsdefizit beruhenden Verhaltensweisen die emotionalen, intellektuellen und körperlichen Risiken, die mit der Erkrankung einhergehen. Tatsächlich hat man erst in den letzten Jahren damit begonnen, das Aufmerksamkeitsdefizit ohne Hyperaktivität bei Erwachsenen zu diagnostizieren und zu behandeln.
Ein chronischer Mangel an Aufmerksamkeit bringt schlussendlich enorme Schmerzen und Konflikte mit sich. Der ständige Versuch, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, spiegelt sich auf unterschiedliche Weise wider: Die Folgen können eine geringe Leistung, impulsive Entscheidungen, mangelndes Selbstwertgefühl oder familiäre Probleme sein.
Für einen Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit ist es schwierig, das eigene Leben zufriedenstellend zu organisieren. Es sei denn, er hat Strategien entwickelt, die diese Schwierigkeit kompensieren.
Komplizierte Diagnose
Wie bei anderen Erkrankungen auch bleiben nach wie vor offene Fragen. Es besteht jedoch kein Zweifel mehr an der Existenz dieser Störung bei Erwachsenen. Sie ist nachweisbar. Darüber hinaus lässt sie sich, einmal diagnostiziert, behandeln. Für das alltägliche Leben eines Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit ist es wichtig, dass die Störung erkannt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Diagnose einfach zu stellen sei. In der Tat ist es in den meisten Fällen ein kompliziertes Unterfangen.
Früher glaubte man, dass das Aufmerksamkeitsdefizit eine Reihe von Schwierigkeiten in der Kindheit umfasse. Es wurde angenommen, dass sie mit der Entwicklung des Betroffenen weniger werden und schließlich verschwinden. Leider ist das in vielen Fällen aber nicht so. Für einen Großteil der Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit bestehen diese Schwierigkeiten ein Leben lang. In vielen Fällen verändert sich das Aufmerksamkeitsdefizit in einigen seiner Erscheinungsformen, wenn der Jugendliche langsam erwachsen wird. Jedoch bleiben die wesentlichen Probleme konstant bestehen.
Behinderungen häufen sich und haben schmerzhafte und komplizierte Nachwirkungen. Sowohl für das Selbstkonzept als auch für die daraus resultierenden Gefühle, vor allem für das Selbstwertgefühl, sind sie schädlich. Ein niedriges Selbstbewusstsein ist eine typische Folge des Aufmerksamkeitsdefizits bei Erwachsenen.
Ein Erwachsener mit Aufmerksamkeitsdefizit hat oft ein geringes Selbstwertgefühl.
Aber wie lässt sich das Aufmerksamkeitsdefizit bei Erwachsenen denn diagnostizieren? Es ist wichtig klarzustellen, dass ein Aufmerksamkeitsdefizit sich in unterschiedlichen Symptomen zeigen kann. Je nach klinischem Bild werden Patienten in Gruppen eingeordnet: Dominanz von Aufmerksamkeitsdefizit, Impulsivität oder Hyperaktivität. In diesem Sinne gilt es, sich daran zu erinnern, dass jemand an dieser Störung leiden kann, auch wenn er nicht alle Symptome zeigt.
Symptome, die sich auf einen Mangel an Aufmerksamkeit beziehen
- Die betroffenen Personen widmen Details keine Aufmerksamkeit. Es werden vermehrt Fehler bei den Hausaufgaben, auf der Arbeit oder bei anderen Aktivitäten begangen.
- Aufgaben, die eine anhaltende geistige Anstrengung erfordern, werden deshalb vermieden.
- Anweisungen werden häufig nicht befolgt und Aufgaben oder Verpflichtungen nicht beendet.
- Es erweist sich für die Person als schwierig, bei Aufgaben oder spielerischen Aktivitäten aufmerksam zu bleiben.
- Betroffene scheinen oft nicht zuzuhören, wenn sie direkt angesprochen werden.
- Man träumt vor sich hin.
- Betroffene werden leicht von irrelevanten Reizen abgelenkt.
Symptome im Zusammenhang mit Impulsivität
- Betroffenen Personen fällt es schwer, Reihenfolgen und Zuweisungen zu respektieren.
- Obwohl eine Frage noch nicht zu Ende gestellt wurde, werden übereilte Antworten gegeben.
- s wird sich häufig in die Tätigkeiten anderer eingemischt oder diese werden unterbrochen.
Symptome in Bezug auf die Hyperaktivität
- Hände und Füße werden übermäßig bewegt.
- Die Personen sind häufig “in Bewegung” oder wirken, als ob sie von einem Motor angetrieben würden.
- Sie reden häufig sehr viel.
- Es erweist sich schwierig für sie, ruhigen Freizeitaktivitäten nachzugehen.
Untersuchungen zeigen gewisse Defizite, von denen einige bereits erwähnt wurden und die im Folgenden noch etwas genauer beschrieben werden sollen. Ein Aufmerksamkeitsdefizit begrenzt und erschwert nicht nur die Fähigkeit zuzuhören. Es kann zum Beispiel auch eine echte Herausforderung sein, sich auf der Arbeit zu organisieren und seine Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten.
Darüber hinaus kann es Probleme geben, die Energie und die Anstrengung auf ein bestimmtes Ziel zu fokussieren. Auch Stimmungsschwankungen und Empfindlichkeit gegenüber Kritik können vorkommen. Das Gedächtnis funktioniert zuweilen nicht einwandfrei. Infolgedessen können Betroffene Schwierigkeiten haben, bereits erlernte Konzepte abzurufen, sich Namen, Daten und Informationen im Allgemeinen zu merken.
Sowohl diejenigen, die an einem Aufmerksamkeitsdefizit und einer Impulskontrollstörung leiden, als auch diejenigen, die zudem hyperaktiv sind, verspüren die weitreichenden Auswirkungen der zuvor beschriebenen Symptome. Eine Reihe verschiedener Leidensformen und Nebenwirkungen, von denen die meisten auf Unverständnis treffen, sind die Folge.
Es gibt Belege für eine genetische Komponente der Aufmerksamkeitsdefizitstörung.
Andere Merkmale des Aufmerksamkeitsdefizits bei Erwachsenen
Folgende weitere Charakteristika können Erwachsene mit Aufmerksamkeitsdefizit aufweisen:
- Häufige Müdigkeit, wenn sie eine zeitintensive Aufgabe erfüllen müssen.
- Schwierigkeiten, Emotionen zu regulieren und sich für etwas zu motivieren.
- Probleme mit Selbstkontrolle und Verhaltensregulierung.
- Geringes Selbstwertgefühl.
- Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen.
- Schwierigkeiten mit der eigenen Impulsivität in Bereichen, die ein erhebliches Risiko bergen: Ausgaben, Süchte, Nahrung, körperliche Sicherheit, sexuelle Beziehungen usw.
- Probleme, Versuchungen zu widerstehen.
Wie wir wissen, konzentriert sich der Großteil der Veröffentlichungen über das Aufmerksamkeitsdefizit auf Kinder und Jugendliche. Es ist jedoch an der Zeit, ohne dabei die Arbeit mit Kindern mit dieser Störung zu vernachlässigen, sich auch mit den Erwachsenen zu beschäftigen.
Und du? Identifizierst du dich mit den genannten Symptomen? Bist du ein Erwachsener mit Aufmerksamkeitsdefizit? Wenn die Antwort positiv ausfällt, empfehlen wir dir, einen Spezialisten aufzusuchen. Denn das Aufmerksamkeitsdefizit bei Erwachsenen kann behandelt werden. Die Schwierigkeiten, die sich in deinem täglichen Leben ergeben, lassen sich dann hoffentlich leichter bewältigen.
Literatur:
Barkley RA (2017): Das große Handbuch für Erwachsene mit ADHS. Hogrefe Verlag, Göttingen, 2017.
Hallowell EM, Ratey JJ: Attention Deficit Disorder: Recognising and Coping with Attention Deficit Disorder from Childhood Through Adulthood. Pantheon Books, New York City, 1994. (zu Deutsch: Aufmerksamkeitsdefizit: Erkennung und Bewältigung des Aufmerksamkeitdefizits von der Kindheit bis zum Erwachsenwerden, noch nicht auf Deutsch verfügbar)