Wieso wir nur so sehr daran gewöhnt sind, im Stillen zu leiden

Wieso wir nur so sehr daran gewöhnt sind, im Stillen zu leiden

Letzte Aktualisierung: 22. August 2017

Viele von uns verstecken sich in ihrem Schneckenhäuschen, um in Einsamkeit zu leiden, ganz still und leise, damit niemand es mitbekommt. Wir tun so, als könnte unser Schneckenhäuschen allem standhalten und nichts und niemand könnte einen Weg hinein finden, während wir im Inneren Kämpfe austragen, die keinen Waffenstillstand kennen. Das tun wir so lange, bis wir eines Tages plötzlich zusammenbrechen.

Wir sind soziale Wesen und dennoch entscheidet sich die Mehrheit von uns dafür, ihr Leid mit sich selbst auszumachen. Wir teilen lieber unser Lachen und schöne Momente mit anderen und halten an unserer alltäglichen Routine in unserem sozialen Umfeld fest, denn so haben wir zumindest das Gefühl, ein Stück weit die Kontrolle zu haben, so als würde nichts passieren und als könnte nichts unsere Gefühlswelt erschüttern.

„Um Leid die Stirn zu bieten, bedarf es mehr Mut als zum Sterben.“

Marlene Dietrich

Sowohl Psychologen als auch Psychiater wissen sehr gut, dass Traumata und Stillschweigen fast immer Hand in Hand gehen. Es fällt nicht leicht, auszusprechen, was uns wehtut, und das aus genau zwei Gründen: Wir haben Angst davor, verurteilt zu werden und unsere Verletzlichkeit zu zeigen. Denn in dieser unerbittlichen Welt triumphieren starke Persönlichkeiten, die mit allem umgehen können, die sich nicht beschweren und sich motiviert, optimistisch und selbstsicher geben.

Das führt zweifellos dazu, dass uns dieses grauenvolle Gefühl überkommt, dass Leid Schwäche bedeute. Das führt uns einmal mehr vor Augen, wieso es so viele Menschen gibt, die an einer Depression leiden und keine Behandlung suchen, und warum die Selbstmordrate bei jungen Menschen erschreckend hoch ist.

Wir möchten dich dazu einladen, mit uns darüber nachzudenken.

Wieso du nicht im Stillen leiden solltest

Vor Kurzem wurde in der digitalen Ausgabe einer bekannten Zeitung ein Leserbrief einer Frau veröffentlicht, die zugab, mit ihrem Leben nicht klarzukommen. Sie war zum dritten Mal Mutter geworden und fühlte sich nicht dazu in der Lage, am Morgen aus ihrem Bett aufzustehen. Unglaublicherweise war die Mehrzahl der erhaltenen Kommentare äußerst verächtlich und teilweise sogar grausam.

Liebe dich ein wenig mehr und du wirst weniger leiden…

Postnatale Stimmungskrisen oder die schwierige Zeit des Wochenbetts sind auch heute noch Tabuthemen. Wenn eine Frau diese Stimmungskrisen erlebt, wird sie verurteilt, weil man von ihr erwartet, dass sie 100% für ihr Baby gibt, glücklich und stets zur Stelle ist. Aus diesem Grund leiden viele Mütter im Stillen, trauen sich nicht, ihre Gefühle auszusprechen, aus Angst vor den Kritiken der Gesellschaft.

Das Gleiche passiert auch Jugendlichen, die am eigenen Leib erfahren, was es heißt, gemobbt zu werden, aber mit niemandem darüber reden, nicht um Hilfe bitten, im Käfig der Gesellschaft und hinter verschlossener Tür ihres Zimmers verharren, weil dies der einzige Ort ist, an dem sie sich sicher fühlen. Das ist allerdings kein angemessener Umgang mit der Situation. Es ist dringend notwendig, zu reagieren, bevor es zu spät ist, bevor ihr Wille noch mehr geschwächt wird und ihre Existenz für sie keinen Sinn mehr hat.

6 triftige Gründe, wieso wir nicht länger im Stillen leiden sollten

Der erste Grund, wieso wir nicht länger im Stillen leiden sollten, ist so einfach, wie offensichtlich: dadurch leiden wir nur noch länger. Falls wir diesen Schritt nicht gehen und nicht um Hilfe bitten, wird unser Schmerz nur noch intensiver werden. Er wird zu einem Schatten, der sich über alles legt und so schnell nicht wieder verschwinden will.

  • Die Symptome werden noch intensiver, wir verlieren uns als Menschen und werden das Spiegelbild unseres Leids, mit einer schlimmeren und komplizierteren Symptomatik.
  • Negative Gedanken verstärken sich.
  • Irgendwann kommen wir an einen Punkt, an dem uns der soziale Kontakt unangenehm ist und wir ihm sogar aus dem Weg gehen. Umarmungen, emotionale Berührungen und nette Worte verlieren für uns ihre eigentliche Bedeutung. Wir vertrauen ihnen nicht mehr und fassen sie als Bedrohung auf.
  • Zu verleugnen, dass wir Hilfe brauche, führt dazu, dass der Umgang mit dem Leid nur schwieriger wird.
  • Wir zögern das Leid nur unnötig hinaus. Diesen Schritt nicht zu wagen, die Hilfe eines Spezialisten nicht in Anspruch nehmen zu wollen oder uns einer vertrauensvollen Person anzuvertrauen, verstärken die Vorstellung nur, dass Trauma und Leid im Stillen stattfinden müssten.

Zu guter Letzt, aber genau so wichtig, ist, dass wir uns über die Tatsache im Klaren sein müssen, dass uns Leid verändert. Es zieht uns in seinen Bann und macht uns zu einem anderen Menschen. Wir bleiben uns somit uns selbst nicht mehr treu und das ist etwas, das niemand verdient.

Der Kontakt zu uns selbst und zu anderen heilt uns

Leiden isoliert, aber der Kontakt zu unseren Mitmenschen und zu einem selbst ist therapeutisch und heilt. Nachdem wir unsere Verwundbarkeit und den Schmerz mit der richtigen Person oder einem qualifizierten Spezialisten geteilt haben, können wir Fortschritte machen. Der erste besteht darin, uns selbst nicht länger zu sabotieren. Niemand entscheidet sich dafür, unter postnatalen Stimmungskrisen zu leiden. Niemand verdient es, Mobbing-Opfer, Sklave einer traumatischen Vergangenheit oder einer verlorenen Kindheit zu sein. Es verdient auch niemand, sich selbst zu vernachlässigen, bis er sich eines Tages selbst nicht mehr liebt.

„Wenn du leidest, zwinge dich dazu, an schöne Momente zu denken. Ein einziges Glühwürmchen ist das Ende der Dunkelheit.“

Alejandro Jodorowsky

Der zweite Vorteil ist, dass es uns so gelingt, eine angemessene emotionale Katharsis zu entwickeln. Viele Menschen besuchen eine Psychotherapie, weil sie von dem bitterem Gefühl der Wut heimgesucht werden, das sie verstecken, damit niemand sieht, wie zerbrechlich sie in ihrem Inneren sind. Jeden Tag an der Aussöhnung und einer angemessenen Verbindung zum sozialen Umfeld zu arbeiten, hilft, um sich nach und nach von den Fesseln des Leids zu befreien.

Es ist zweifellos ein langsamer und arbeitsintensiver Prozess, aber er lohnt sich für jeden von uns. Dadurch leiden wir nicht länger im Stillen und können auf jemanden zählen, der uns versteht und uns hilft. Wir sollten einen Moment innehalten und darüber nachdenken, aus unserem gezwungenermaßen einsamen Schneckenhäuschen herauskommen, um uns selbst zu ermöglichen, furchtlos wieder wir selbst zu sein.

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