Wie wirkt sich eine Zwangsstörung auf Beziehungen aus?
Eine Zwangsstörung drängt Betroffene häufig in die Isolation. Die Beziehungen zur Familie, zum Partner oder zur Partnerin und auch zu Freunden können problematisch sein. Diese Krankheit bewegt sich auf einem Spektrum, deshalb sind große individuelle Unterschiede zu beobachten. Oft sind jedoch soziale Kontakte aller Art eine Herausforderung.
Angst, aufdringliche Gedanken und Zwangshandlungen oder Rituale kennzeichnen diese Störung. Nahestehende Menschen benötigen deshalb viel Geduld und Verständnis, um mit gewissen Verhaltensmustern zurechtzukommen. Häufig stoßen Personen mit Zwangsstörung auf Unverständnis und Ablehnung.
Die Schwierigkeiten, denen Menschen mit einer Zwangsstörung begegnen, hängen vom Ausmaß ihrer Störung ab. Vielfach kommt es in den Bereichen Gesundheit, Hygiene und Beziehungen zu Konflikten.
Wie sich eine Zwangsstörung auf das soziale Umfeld auswirkt
Wie sich eine Zwangsstörung auf Familie, Beziehungen oder Freundschaften auswirkt, ist individuell sehr verschieden. Viele Patientinnen und Patienten spüren, dass sie nahestehende Menschen belasten und häufig Konflikte auslösen. In einem in der Zeitschrift Oxford Academic veröffentlichten Artikel sprechen Dr. Keith D. Renshaw und Dr. Catherine M. Caska über die Häufigkeit von sozialen zwischenmenschlichen Konflikten, zu denen es bei Zwangsstörungen kommt.
Nahestehende Personen fühlen sich oft hilflos: Sie möchten helfen, sind jedoch nicht in der Lage, dies effektiv zu tun. Psychoedukation ist in diesen Fällen von zentraler Bedeutung. Sowohl Betroffene als auch ihr Umfeld müssen lernen, mit dieser Situation besser umzugehen.
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1. Die Auswirkungen auf die Familie
Die Auswirkungen der Zwangsstörung auf die Familie sind oft komplexer, als du vielleicht denkst. Ein Grund dafür ist, dass die Krankheit häufig falsch diagnostiziert wird. Tatsächlich werden fast 50 % der Fälle fehldiagnostiziert oder sogar unzureichend behandelt (Glazier et al., 2013, 2015; Perez et al., 2022).
- Dies führt dazu, dass der Familienkreis leidet. Die Angehörigen wissen nicht, wie sie der psychisch kranken Person helfen können, da sie ihre Verhaltensmuster und Zwänge nicht verstehen.
- Das Umfeld entwickelt falsche Muster, wie Kritik oder Spott an den Ritualen, Verhaltensweisen oder Sorgen der kranken Person.
- Die Person mit Zwangsstörung fühlt sich unverstanden, was ihre ängstlichen und beunruhigenden Gedanken intensiviert.
- Oft beziehen diese Patienten auch ihre Familienmitglieder in ihre Rituale mit ein. Dies wird als familiäre Anpassung bezeichnet und bedeutet, dass die Routinen geändert werden, damit die Person mit Zwangsstörung ihre zwanghaften Verhaltensweisen integrieren kann.
Viele Familien passen sich den zwanghaften Ritualen der OCD-Patienten an, um sie nicht zu verärgern und ihnen nicht noch mehr Stress zu bereiten oder weil sie glauben, dass es sich um eine vorübergehende Manie handelt.
2. Auswirkungen auf Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen
Menschen mit Zwangsstörungen haben in der Regel ein geringes Selbstwertgefühl. Zu diesem Merkmal kommt häufig eine verdeckte Depression hinzu, die durch die Last ihrer Ängste und unbehandelten Zwangsgedanken verursacht wird. All dies beschreibt eine psychologische Anatomie voller Schwierigkeiten, wenn es darum geht, gesunde soziale Beziehungen aufzubauen.
- Sie fühlen sich von Bekannten oder Kollegen diskriminiert.
- Betroffene leiden unter einem hohen Maß an Unsicherheit im täglichen Umgang mit Bekannten und Arbeitskollegen.
- Sie sind von einem Gefühl der Scham geprägt und haben Angst, wegen ihrer Obsessionen oder Rituale beurteilt oder gehänselt zu werden.
- Für Betroffene ist es schwierig, Freundschaften zu pflegen. Sie schwanken oft zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung durch andere und dem Wunsch nach Isolation.
- Sie haben auch Schwierigkeiten, ihren Job zu behalten. Es fällt ihnen schwer, pünktlich und produktiv zu sein. Sie fürchten, von Vorgesetzten oder Kollegen wegen ihres Verhaltens ausgegrenzt oder stigmatisiert zu werden.
- Viele Menschen mit Zwangsstörungen leiden im Stillen darunter, dass sie sich nicht in ihr soziales Umfeld integrieren können und nicht so effektiv agieren, reagieren und auftreten wie andere.
3. Wie wirkt sich eine Zwangsstörung in einer Paarbeziehung aus?
Die Auswirkungen der Zwangsstörung auf eine Paarbeziehung sind meist problematisch. Betroffene zweifeln an jeder Bindung und sind nicht in der Lage, Liebe zu genießen.
- Sie sind an einer komplexen Kombination aus ängstlicher und vermeidender Bindung zu erkennen. Das heißt, dass sie sich nach ständiger Bestärkung durch die geliebte Person sehnen, gleichzeitig jedoch Angst haben, verlassen zu werden. Sie greifen deshalb auf Mechanismen wie Vermeidung und Distanzierung zurück.
- Dieses chaotische Verhalten erschöpft ihre Partner und es kommt häufig zu Trennungen. In einem solchen Szenario entsteht eine Wunde nach der anderen, die das Muster aus Angst, Beklemmung und wiederkäuenden Gedanken weiter anheizt.
- Viele Menschen mit einer Zwangsstörung entwickeln eine Beziehungszwangsstörung. In diesem Zustand nimmt der Partner ihre ganze Zeit und Besessenheit in Anspruch. Sie haben Angst, verlassen zu werden, und das anhaltende und selbstzerstörerische Bedürfnis, dem anderen endlose Zuneigungsbekundungen zu geben.
Personen mit einer Beziehungszwangsstörung sind nicht in der Lage, einem Job nachzugehen oder sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf den geliebten Menschen. Die Besessenheit geht einher mit der Angst, verlassen zu werden, und mit rituellen Verhaltensweisen, um diese Angst loszuwerden.
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Wie kannst du helfen?
Wenn eine nahestehende Person an einer Zwangsstörung leidet, musst du dich zunächst über alle Facetten dieser Krankheit informieren, um die Auswirkungen verstehen zu können. Psychoedukation über Zwangsstörungen hilft der Gesellschaft, einen sensibleren Blick auf diese Realität zu haben. Außerdem gibt sie nahestehenden Personen einige Richtlinien an die Hand, damit sie Betroffene besser verstehen und unterstützen können.
Raum für Sorgen lassen, ohne Zwänge zu verstärken
Es gibt Angehörige, die als Verstärker von Ritualen fungieren. Sie helfen dem geliebten Menschen mit Zwangsstörung zum Beispiel dabei, Lebensmittel nach Farben zu trennen. Du kannst dich nicht an die zwanghaften Verhaltensmuster der betroffenen Person anpassen oder deine Routinen für sie ändern. Am besten gibst du ihr Raum, um über ihre Ängste und Zwänge zu sprechen, aber unterstütze niemals ihre Rituale.
Erlaube der Person nicht, Vermeidungsverhalten zu entwickeln
Eine Zwangsstörung kann dazu führen, dass sich Betroffene ihren Verantwortungen und Aufgaben entziehen. Sie entwickeln Vermeidungsverhalten, was jedoch ihre Angst nur zusätzlich schürt. Du solltest das nicht zulassen. Sprich mit der Person und unterstütze sie, damit sie nicht in die Vermeidungsschleife gerät.
Fachärztliche Behandlung
Die Auswirkungen der Zwangsstörung auf zwischenmenschliche Beziehungen können immens sein. Dies führt zu einem Zustand der psychosozialen Erschöpfung, in dem sich andere Komorbiditäten wie Depressionen einstellen. Wenn eine nahestehende Person eine Zwangsstörung entwickelt, solltest du sie dazu anregen, fachärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Expositions- und Verhaltenstherapie mit Reaktionsvermeidung ist sehr wirksam bei der Behandlung dieser Erkrankung. Eine Studie der Northwestern University bestätigt, dass diese Methode ausreichend wissenschaftlich belegt ist. Sie erleichtert es den Betroffenen, die Störung zu verstehen und ihre Angst zu reduzieren, um Zwänge oder Rituale zu vermeiden.
Auf dieser therapeutischen Reise lernen Betroffene, Ängste loszulassen und eine gesündere mentale Einstellung zu entwickeln. Jeder Mensch hat es verdient, glückliche und erfüllende Beziehungen aufzubauen. Du kannst der geliebten Person unterstützend zur Seite stehen, um ihr Wohlbefinden zu fördern.
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