Welcher Zusammenhang besteht zwischen Erinnerung und Trauma?
Es wurden bereits zahlreiche Studien durchgeführt, um herauszufinden, welche Auswirkungen Traumata oder intensive emotionale Erlebnisse auf die Art und Weise haben, wie ein Mensch Erinnerungen klassifiziert, speichert und abruft. Besteht ein Zusammenhang zwischen Erinnerung und Trauma? Hinterlassen traumatische Erinnerungen tiefere Spuren als normale Erinnerungen?
Einige Menschen sind davon überzeugt, dass wir traumatische Erlebnisse anders verarbeiten als normale. Dieser Unterschied äußert sich in Form einer veränderten Erinnerung, die schwieriger abrufbar ist. Allerdings gibt es auch Menschen, die behaupten, dass die Qualität von Erinnerungen nicht durch Stress verändert wird. Daher sind sie davon überzeugt, dass wir alle Erinnerungen auf die gleiche Weise verarbeiten.
Beide Überzeugungen basieren auf klinischen Studien. Allerdings ist es sehr schwierig, traumatische Situationen in einem kontrollierten und sicheren Umfeld zu simulieren und zu reproduzieren. Um den Zusammenhang zwischen Erinnerungen und Traumata zu untersuchen, ist es daher am sinnvollsten, die Menschen zu analysieren, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.
Einige Statistiken zu PTBS und der Zusammenhang zwischen Erinnerung und Trauma
Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wird definiert als mögliche Folgereaktion von Menschen, die ein traumatisches, zerstörerisches oder schmerzhaftes Erlebnis hatten. Dennoch ist es falsch, wenn diese Reaktionen als “nicht normal” bezeichnet werden. Letztendlich sind es Reaktionen von normalen Menschen, die Erlebnisse oder Erfahrungen gemacht haben, die sie nie zuvor erlebt haben.
Aufgrund der Unfähigkeit, sich mit diesen Erinnerungen auseinanderzusetzen und sich mit ihnen zu konfrontieren, erfahren diese Menschen daraufhin intrusive Symptome, die mit dem traumatischen Erlebnis in Zusammenhang stehen.
Dabei können folgende Symptome auftreten: wiederkehrende und angsterfüllte Erinnerungen, Träume, Albträume, Dissoziationen (beispielsweise vorübergehender Bewusstseinsverlust), psychisches Unwohlsein, Vermeidung aller Situationen, die auch nur die geringste Beziehung zu diesem Erlebnis haben und intensive physiologische Reaktionen.
Zu den häufigsten Auslösern posttraumatischer Belastungsstörungen gehören Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Erdbeben, Tsunamis usw.), Unfälle und Krankheiten. Allerdings gibt es einen Auslöser, durch den zwischen 70 und 80% aller Betroffenen eine PTBS entwickeln: menschliche Gräueltaten. Hierzu gehören körperliche Übergriffe, Terrorismus, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und Konzentrations- und Gefangenenlager.
Die diagnostischen Kriterien von PTBS: Gedächtnisverlust nach dem Trauma
Eines der diagnostischen Kriterien im DSM-V (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) für die Diagnose einer PTBS ist die Unfähigkeit, sich an bestimmte relevante Aspekte des traumatischen Ereignisses zu erinnern. Dieses Symptom wird auch als dissoziative Amnesie bezeichnet. Obwohl es scheint, als wären die Erinnerungen überhaupt nicht vorhanden, sind sie tatsächlich vorhanden und können das Verhalten des Betroffenen beeinflussen.
Wenn sich ein kleines Mädchen beispielsweise nicht mehr daran erinnern kann, dass sie in einem Badezimmer sexuell missbraucht wurde, kann es passieren, dass sie unbewusst öffentliche Toiletten vermeidet. Außerdem kann es auch sein, dass sie sich im eigenen Badezimmer zuhause unwohl fühlt. Dies geschieht, obwohl sie keine bewusste Erinnerung an den Missbrauch hat.
Kernsymptome von PTBS: Flashbacks (Rückblenden)
Zu den häufigsten Symptomen, die Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung am meisten beeinträchtigen, gehören unter anderem Vermeidung, Unterdrückung von Emotionen, Hyperaktivierung, das Wiedererleben von Ereignissen und intrusive Erinnerungen.
Darüber hinaus erleben die Betroffenen bei den letztgenannten Symptomen das traumatische Erlebnis erneut. Dieses Wiedererleben kann in Form von Albträumen, intrusiven Erinnerungen oder Flashbacks (Rückblenden) erfolgen.
Obwohl diese Dinge geschehen, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Betroffenen gleichzeitig auch Erinnerungslücken haben. Sie können sich oft nicht an alles erinnern, was in dieser Situation geschehen ist. Dennoch können bestimmte Details oder einzelne Szenen für einen kurzen Moment vor ihrem geistigen Auge erscheinen. Dabei ist das größte Problem, dass sie diese Flashbacks weder kontrollieren noch verhindern können.
Flashbacks sind keine Erinnerungen
Außerdem ist es wichtig zu verstehen, dass Flashbacks keine Erinnerungen sind, wie etwa intrusive Erinnerungen. Wenn jemand einen Flashback erlebt, dann verliert er dabei jegliches Zeitgefühl. Daher fühlt es sich für die Betroffenen an, als würden sie das traumatische Erlebnis erneut durchleben.
Dies passiert in der Regel, wenn neutrale Reize auftreten, die du weder als positiv noch negativ erlebst. Diese unklaren und mehrdeutigen Reize können Flashbacks bei dir auslösen.
Wir wollen dies an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn jemand einen Terroranschlag erlebt hat, kann es passieren, dass er einen Flashback erlebt, weil jemand einen blauen Schal trägt. Es kann sein, dass das Einkaufszentrum, in dem dieser Anschlag geschah, blaue Wände hatte. Daher sind Flashbacks weitaus mehr als nur schmerzhafte Erinnerungen. Durch sie durchleben die Betroffenen das erlittene Trauma, das traumatische Erlebnis und die damit verbundenen Emotionen erneut.
Amnesie und Hypermnesie nach dem Trauma
Darüber hinaus hat eine posttraumatische Belastungsstörung konkrete Auswirkungen auf das Gehirn der Betroffenen. Daher könnte es passieren, dass sie eine Amnesie (Gedächtnisverlust) erleiden, welche eine Desorganisation oder Fragmentierung des Gedächtnisses oder ein komplettes oder partielles Vergessen zur Folge haben kann.
Allerdings kann durch eine PTBS auch eine Hypermnesie (verstärkte Erinnerungsfähigkeit) auftreten. Hierbei kommt es zu intrusiven Erinnerungen, Flashbacks und Albträumen. Außerdem ist es möglich, dass sowohl eine Amnesie als auch eine Hypermnesie gleichzeitig auftreten. Dies hängt nur von den Dingen ab, die der Betroffene vergessen hat, den Dingen, die er erlebt hat und auch von der Art des erlittenen Traumas.
Welcher Teil des Gedächtnisses wird durch ein Trauma verändert?
Das Trauma scheint spezifisch mit dem autobiografischen Gedächtnis eines Menschen verbunden zu sein. Dabei ist das autobiografische Gedächtnis ein Teil unseres expliziten Gedächtnisses. Es hilft uns dabei, uns an die Dinge zu erinnern, die in unserem Leben und unserem Umfeld geschehen sind. Daher sorgt dieser Teil unseres Gedächtnisses dafür, dass wir ein logisches Verständnis des Lebensflusses entwickeln können.
Allerdings ist deine Erinnerung an das Trauma nicht so konsistent wie normale autobiografische Erinnerungen. Daher glauben Forscher, dass genau hier das Problem liegt. Deine Erinnerungen an das traumatische Ereignis sind meist bruchstückhaft und fragmentiert. Daher kannst du auch das Gefühl bekommen, als würde diese Erfahrung nicht zu deinem Leben gehören. Weil sich das Erlebte so fremd für dich anfühlt, empfindest du die Erinnerungen daran dann als intrusiv.
Gibt es einen Unterschied zwischen traumatischen Erinnerungen und normalen Erinnerungen?
Die Antwort auf diese Frage lautet ja. Ein Unterschied besteht darin, dass einige spezielle Mechanismen im Gedächtnis ablaufen, wenn du Situationen erlebst, die mit sehr viel Stress verbunden sind.
Traumatische Erinnerungen
Nachfolgend nennen wir dir einige der wichtigsten Aspekte traumatischer Erinnerungen:
- Kompliziertes Abrufen dieser Erinnerungen. Die Fragmente dieser Erinnerungen werden an den Rändern deines Bewusstseins abgespeichert. Dadurch können emotionale Flashbacks verursacht werden.
- Eine zeitliche Distanz zu den Ereignissen kann sich positiv auf dein Erinnerungsvermögen auswirken. Je mehr Zeit verstreicht, desto wahrscheinlicher wird es, dass du dich wieder erinnern kannst.
- Wenn du dich wieder erinnern kannst, dann sind diese Erinnerungen sehr lebendig und langanhaltend. Sobald du sie wieder hast, werden sie sich nicht mehr verändern.
- Allerdings gibt es auch einen Zusammenhang zwischen der zeitlichen Dauer der traumatischen Erlebnisse und der Erinnerung an diese. Wenn eine Frau über Jahre missbraucht wurde, dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie die Erinnerung an dieses Trauma abrufen kann, geringer, als dies bei einem einmaligen Missbrauch der Fall wäre.
- Traumatische Erinnerungen treten automatisch und unkontrolliert auf, wobei sie durch Katalysatoren (neutrale, aber konditionierte Reize) ausgelöst werden.
Normale Erinnerungen
Bei normalen Erinnerungen scheint sich alles genau gegensätzlich zu verhalten:
- Es ist einfach, diese Erinnerungen abzurufen und sie sind ein Teil deiner konsistenten Lebensgeschichte.
- Im Laufe der Zeit verblassen diese Erinnerungen oftmals. Daher hat die zeitliche Distanz einen negativen Einfluss auf diese Erinnerungen. Je mehr Zeit vergangen ist, desto schwerer wird es für dich sein, dich an diese Erlebnisse zu erinnern.
- Darüber hinaus variiert auch die Lebendigkeit und Langlebigkeit dieser Erinnerungen. Sie sind sehr formbar und können sich im Laufe der Zeit stark verändern.
- Je öfter du dich im Laufe der Jahre an diese Erlebnisse erinnert hast, desto wahrscheinlicher wird es auch, dass du sie immer wieder abrufen kannst.
Wenn wir alles in Betracht ziehen, worüber wir heute gesprochen haben, dann können wir feststellen, dass intensive und sehr belastende emotionale Erlebnisse einen unmittelbaren Einfluss auf die Art und Weise haben, wie wir Informationen klassifizieren, speichern und abrufen.
Sinngemäß sagte Pierre Janet (1904): es ist unmöglich, schreckliche Erlebnisse in deine normalen Glaubens-, Anschauungs- und Bedeutungssysteme zu integrieren. Daher wirst du diese Erfahrungen auf andere Weise abspeichern, was dazu führt, dass sie von deinem bewussten Geist getrennt und außerhalb deiner Kontrolle sind.