Was passiert in unserem Gehirn, wenn Liebe zu Hass wird?
Von Liebe zu Hass ist oft ein kleiner Schritt. Es handelt sich dabei um leidenschaftliche Emotionen, die sich auf derselben Gefühlsskala bewegen. Diese auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinenden Zustände sind in Wahrheit eng miteinander verbunden und sehr komplex. Viel mehr als ein paar Schritte, bewegen wir uns zwischen diesen beiden Emotionen auf einer zweispurigen Schnellstraße, die uns in beide Richtungen führen kann.
Diese starken und prägenden Emotionen sind gut erforscht, es stehen uns also interessante neurowissenschaftliche Daten zur Verfügung. Erfahre heute, was passiert, wenn Liebe zu Hass wird.
Literatur und Film haben uns gelehrt, dass der Hass umso intenisver, je intensiver die Liebe ist. Die Wissenschaft beweist, dass diese Prämisse richtig ist.
Liebe und Hass: ein emotionaler Sturm im Gehirn
Liebe kann sich innerhalb von Sekunden in Hass verwandeln. Ein einziges Ereignis kann plötzlich alles verändern. Eine Meinungsverschiedenheit reicht aus, um eine stürmische Reaktion auszulösen, die in Hass umschlägt. Diese seltsame Alchemie hat schon immer die Aufmerksamkeit von Film, Fernsehen und Literatur auf sich gezogen. Auch die Wissenschaft hat sich intensiv mit diesem Thema befasst.
Ist es tatsächlich richtig, dass wir nur jene Personen hassen können, die wir lieben? Das klingt sehr poetisch, doch wir können Hass und Verachtung auch Menschen gegenüber entwickeln, zu denen wir keine persönliche Beziehung pflegen. Wenn wir jedoch eine nahestehende Person hassen, ist dies eine intensive und zum Teil sogar gefährliche Erfahrung.
Manchmal kann Hass auch zu Aggression führen, was in emotionalen und familiären Kontexten häufig vorkommt. Ein Beispiel dafür ist die Gewalt, die in Paarbeziehungen oder in elterlich-familiären Bindungen entsteht. Manchmal ist derjenige, der uns am meisten liebt, auch derjenige, der uns am meisten wehtut.
“Du weißt, wenn ich dich hasse, dann nur, weil ich dich so sehr liebe, dass meine Seele aus den Angeln gehoben wird.”
Julie de Lespinasse
Die insulare Region, das Gebiet der emotionalen Qualen
Dank der Fortschritte in der Neurobildgebung können wir viele Geheimnisse des Gehirns besser verstehen. Liebe und Hass werden mithilfe der Magnetresonanztomographie untersucht. Eine der bemerkenswertesten Studien wurde 2008 vom University College London durchgeführt.
Das Wissenschaftlerteam stellte fest, dass die Insula die Gehirnregion ist, die die emotionale Intensität und Valenz moduliert, das bedeutet, dass sie den Emotionen einen positiven oder negativen Wert gibt. Die Forscher konnten entdecken, wie dieser Bereich den Effekt der Emotionserregung erzeugt. Dieses Phänomen ermöglicht die Veränderung des emotionalen Zustands von positiv (Liebe) zu negativ (Hass) innerhalb von Sekunden.
Liebe und Hass teilen sich die gleichen Gehirnregionen
Von Liebe zu Hass ist es nicht weit, denn beide teilen sich im Gehirn die gleichen Bahnen und Strukturen. Der Neurologe Semir Zeki, Autor der oben zitierten Arbeit, weist darauf hin, dass sowohl die Insula selbst als auch das Putamen bei diesen beiden Emotionen aktiviert werden. Es gibt keinen Unterschied. Wir erleben Verliebtheit in denselben neuronalen Regionen, in denen wir Hass, Verachtung und Abneigung gegenüber einer bestimmten Person empfinden.
Es ist auch wichtig zu wissen, dass Aggression und gewalttätiges Verhalten in denselben Bereichen des Putamens und der Insula aktiviert werden können. Ebenfalls auffällig ist, dass Ereignisse wie der Wunsch nach Rache und Verletzung in denselben Strukturen verarbeitet werden, die auch die romantische Liebe vermitteln.
Das erklärt viele gewalttätige Verhaltensweisen in Beziehungen. Manche Menschen, die von Eifersucht, vorübergehendem Hass oder Enttäuschung getrieben werden, setzen diese störenden Gefühle in Aggression um. Und sie tun das, obwohl sie die Person, die sie verletzen, lieben. Natürlich spielen bei dieser Art von Reaktion noch viele weitere Variablen eine Rolle, wie z. B. die Impulskontrolle oder die Erziehungsmodelle, mit denen man aufgewachsen ist.
Die gleichzeitige Erfahrung von Liebe und Hass erzeugt große Widersprüche und Erschöpfung. Diese emotionale Ambivalenz dient jedoch einem Zweck, nämlich der Stärkung des Selbstbewusstseins.
Emotionale Ambivalenz hat einen Sinn
Es kann beunruhigend sein, dass Liebe und Hass im Gehirn wie eine Autobahn in zwei Richtungen verlaufen. Und dass sie bei manchen Menschen der Auslöser für Gewalt sein können. Es gibt jedoch noch eine weitere Tatsache, die uns zu denken geben sollte.
Emotionale Ambivalenz, also das gleichzeitige Erleben von zwei widersprüchlichen Gefühlen, hat einen Zweck und eine Bedeutung. Dr. Laura Rees von der Universität Michigan zeigt in einer Studie, dass dieses unangenehme Gefühl uns zur Selbsterkenntnis antreibt. Es drängt uns auch dazu, Urteile zu fällen und Entscheidungen zu treffen.
Diese psychologische Spannung, die durch den Widerspruch unserer Gefühle entsteht, ist ein Beweis für Unbehagen. Etwas stimmt mit der Beziehung nicht und deshalb müssen wir das Problem lösen. Hier kommen Prozesse wie Reflexion und emotionale Intelligenz ins Spiel.
Bevor wir uns also von Geschrei und Meinungsverschiedenheiten hinreißen lassen, sollten wir den Dialog fördern und unsere Differenzen beilegen. Lass die Liebe immer über den Hass siegen.
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