Was ist wichtiger: Liebe oder Leidenschaft?
Ist es Liebe oder Leidenschaft? Am Anfang dominiert das Bedürfnis nach dem Sinnesrausch der Verliebtheit, der durch Endorphine, Dopamin, Oxytocin, Adrenalin und andere körpereigene Drogen gesteuert wird. Was kommt nach den Schmetterlingen im Bauch, nach dem körperlichen Begehren und dem grenzenlosen Glücksgefühl? Ist Liebe ohne Leidenschaft möglich? Was ist wichtiger?
Dr. John Gottman¹⁺², der bereits 1986 das Love Lab – ein Liebeslabor – an der Universität von Washington einrichtete, erklärt, dass die Leidenschaft im Laufe der Zeit an Intensität verliert und Zuneigung die wahre Grundlage einer jeden Beziehung ist. Wir gehen anschließend etwas näher auf die anfangs gestellten Fragen ein und laden dich ein, mit uns über diese Thematik nachzudenken.
“Liebe ist nichts Natürliches. Es erfordert vielmehr Disziplin, Konzentration, Geduld, Glauben und die Überwindung des Narzissmus. Es ist kein Gefühl, es ist eine Übung.”
Erich Fromm³
Liebe oder Leidenschaft?
Die Anthropologin Helen Fisher erklärt in ihrem Buch Warum wir lieben⁴, dass Leidenschaft in der Regel zwischen 18 Monaten und drei Jahren dauert. Bedeutet das, dass die Beziehung bedeutungslos wird, wenn diese Komponente nicht mehr so intensiv ist? Ganz und gar nicht. Glückliche und dauerhafte Beziehungen werden durch reife Liebe, Zuneigung und Engagement genährt.
Es stimmt jedoch, dass Leidenschaft und Liebe fast immer gleichzeitig erwähnt werden. Es ist schwierig, das eine vom anderen zu trennen, doch es gibt deutliche Unterschiede, die wir uns anschließend ansehen.
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1. Liebe oder Leidenschaft: Was ist das?
Liebe ist ein tiefes und dauerhaftes Gefühl, das Zuneigung, Fürsorge und Engagement umfasst. Sie verändert sich im Laufe der Zeit von einem leidenschaftlichen Bedürfnis zu einem stabilen, ruhigen und ausgeglichenen Gefühl. Ein in der Fachzeitschrift Indian Journal of Endocrinology and Metabolism veröffentlichter Artikel erinnert daran, dass diese emotionale Erfahrung von einem Cocktail aus Neuropeptiden und Neurotransmittern gesteuert wird. Sie kann nicht von dieser neurobiologischen Grundlage getrennt werden.
Die Natur der Leidenschaft ist flüchtiger. Sie strebt nach sexueller Befriedigung und entsteht durch eine intensive körperliche Anziehungskraft, die impulsiv ist, jedoch in ihrer Intensität schwankt.
2. Die Zutaten
In seinem Buch Die Kunst des Liebens³ beschreibt Erich Fromm die Fürsorge als Motor der Liebe. Sie zeichnet sich durch ein Kaleidoskop von Emotionen, Erkenntnissen und Verhaltensweisen aus, die Beziehungen schützen, da sie wichtig für uns sind. Über den sexuellen Aspekt hinaus wird sie durch den Wunsch einer gemeinsamen Zukunft gefestigt und durch folgende Zutaten genährt:
- Zuneigung
- Freundschaft
- Respekt
- Fürsorge
- Hingabe
- Verantwortung
- Emotionale Intimität
Leidenschaft kann jedoch auch ohne Liebe existieren. Wir sprechen von einer körperlichen Anziehung, die von neurochemischen Verbindungen gesteuert wird. Sie ist an folgenden Merkmalen zu erkennen:
- Sexuelles Verlangen
- Romantik
- Körperliche Intimität
- Euphorie und Erregung
- Bedürfnis, zusammen zu sein
3. Dauerhaftigkeit
Leidenschaft nimmt mit der Zeit an Intensität ab, Liebe hingegen ist dauerhaft, was jedoch noch lange nicht bedeutet, dass es keine Enttäuschungen geben kann. In der Regel durchläuft jedoch eine Beziehung folgende Phasen:
- Verliebtheit und Leidenschaft: Die Gefühle sind intensiv, impulsiv und überwältigend. Es gibt Schmetterlinge im Bauch, ständige Gedanken an den geliebten Menschen und eine Idealisierung der Beziehung.
- Aufbau von Vertrautheit: Während die Beziehung fortschreitet, baut das Paar eine tiefere, authentische emotionale Verbindung auf. Es teilt Gedanken, Gefühle und Träume, das Vertrauen vertieft sich. Ein Artikel der Fachzeitschrift Frontiers in Psychology stellt fest, dass sich Vertrautheit und Leidenschaft in dieser Phase gegenseitig verstärken.
- Engagement: In dieser Phase treffen Paare bewusste Entscheidungen über ihre langfristige Beziehung. Dazu können Verpflichtungen wie Exklusivität, Zusammenleben oder Heirat gehören.
- Dauerhafte Liebe: Mit der Zeit lässt die Leidenschaft nach, aber die Liebe kann zu einem dauerhaften, ruhigen und tiefen Gefühl reifen, das auf Engagement, Vertrauen und emotionaler Verbundenheit beruht.
4. Der Beziehungsansatz
Wenn du liebst, sorgst du dich um das Wohlbefinden und das Glück deines Partners. Manchmal geht das sogar so weit, dass du die Bedürfnisse der anderen Person über deine eigenen stellst. Nur wenige Gefühle sind so überwältigend wie die Liebe. Plötzlich wird diese Person zu einem leuchtenden Planeten, zu dem du dich unweigerlich hingezogen fühlst.
Wir sind emotionale, bindungsorientierte Wesen: Dauerhafte Bindungen und gemeinsame Projekte geben uns Sicherheit und Stabilität. Und wie schaut es mit der Leidenschaft aus? Sie ist vorwiegend auf die Befriedigung sexueller Wünsche ausgerichtet, jedoch wechselhaft und launisch.
Leidenschaft oder Liebe: Was ist wichtiger?
In einer Beziehung sind beide Aspekte wichtig: Die Liebe ist die Musik, die allem Sinn gibt, die Leidenschaft ist der Tanzpartner, der in der Anfangsphase Begeisterung und Anziehungskraft entfacht. Allerdings ist es die reife und engagierte Liebe, die Dauerhaftigkeit möglich macht. Ein gesundes Gleichgewicht ist deshalb die beste Grundlage für eine stabile Beziehung.
Natürlich dürfen wir die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben nicht vergessen. In einer offenen oder rein sexuellen Beziehung können tiefere Gefühle zu Konflikten führen.
Liebe und Leidenschaft unter einem Hut
Eine in der Fachzeitschrift Journal of Social and Personal Relationships veröffentlichte Untersuchung weist darauf hin, dass Paare ihre Leidenschaft durch Erfahrungen der Selbsterweiterung steigern. Was bedeutet das? Wenn du neue Dinge über deinen geliebten Menschen entdeckst, wird dein Verlangen neu entfacht. Die Leidenschaft hält so länger an, die Liebe verstärkt sich. Folgende Tipps helfen dir dabei:
- Neue Erfahrungen: Reisen, das gemeinsame Erlernen einer neuen Fähigkeit oder anregende Aktivitäten sind es wert sind, ausprobiert zu werden.
- Überraschungen und romantische Gesten: Deinen Partner mit etwas Unerwartetem überraschen, z. B. mit Geschenken, Abendessen oder Ausflügen, ist ein weiterer sehr bereichernder Faktor.
- Gegenseitige Fürsorge und Unterstützung: Liebe und Leidenschaft entstehen auch durch gegenseitige Fürsorge und Unterstützung – in guten und schlechten Zeiten.
- Zeit für sich selbst: Gemeinsame Zeit ist wichtig du musst dich jedoch auch um dich selbst kümmern, dich weiterentwickeln und darfst deine Individualität nicht verlieren.
- Pflege der Freundschaft: Neben der Leidenschaft ist es wichtig, eine solide Freundschaft aufzubauen, um eine dauerhafte Liebe zu ermöglichen.
- Gemeinsame Qualitätszeit: Vermeide es, in die Routine zu verfallen. Zögere nicht, regelmäßige Verabredungen, romantische Ausflüge oder unterschiedliche und anregende Aktivitäten mit deinem Partner zu planen.
- Sexuelle Erkundung: Körperliche Intimität kann auf viele Arten neu entfacht werden. Es ist wichtig, über sexuelle Wünsche und Fantasien zu sprechen, experimentierfreudig zu sein und zum Beispiel gemeinsam erotische Spiele zu erkunden.
- Liebevolle Demonstrationen: Wie Erich Fromm sagte, ist die Liebe eine Kunst, die täglich mit Gesten der Zuneigung, Fürsorge und Sorge füreinander gepflegt werden muss. All das hält den Funken der Leidenschaft am Leben.
- Offene und ehrliche Kommunikation: Ein einfühlsamer und respektvoller Dialog ist die Struktur, die einer liebevollen Bindung Kraft verleiht. Offen und ehrlich über Wünsche, Bedürfnisse, Erwartungen und Sorgen zu sprechen, stärkt die emotionale Verbindung.
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Die Kunst der Liebe und Leidenschaft
Du kannst dich Hals über Kopf in einen Menschen verlieben und eine intensive Beziehung aufbauen. Dauerhafte Liebe benötigt jedoch Nahrung und Pflege. Engagiere dich täglich für eure gemeinsamen Projekte und lass dich nicht von der Routine mitreißen. Mach dir keine Sorgen, wenn die Leidenschaft schwankt oder mit der Zeit an Intensität abnimmt, das ist ganz normal.
▶ Lese-Tipps
- 8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte, damit die Liebe lebendig bleibt, Dr. John M. Gottman, Dr. Julie Schwartz Gottman, Ullstein 2022
- Die Vermessung der Liebe: Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen, Dr. John M. Gottman, Nan Silver, Klett Cotta 2019
- Die Kunst des Liebens, Erich Fromm, Open Publishing 2014
- Warum wir lieben… und wie wir besser lieben können, Helen Fisher, Knaur 2007
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Aykutoğlu, B., & Uysal, A. (2017). The relationship between intimacy change and passion: A dyadic diary study. Frontiers in Psychology, 8, 2257. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5744063/
- Fisher, H. (2004). Por qué amamos. Taurus.
- Fromm, Erich. (2008). El arte de amar. Paidós.
- Seshadri, K. G. (2016). The neuroendocrinology of love. Indian Journal of Endocrinology and Metabolism, 20(4), 558-563. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4911849/
- Sheets, V. L. (2014). Passion for life: Self-expansion and passionate love across the life span. Journal of Social and Personal Relationships, 31(7), 958-974. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0265407513515618