Was ist Präsentismus?

Was ist Präsentismus?
Gema Sánchez Cuevas

Geschrieben und geprüft von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Letzte Aktualisierung: 15. Juli 2018

Seit längerer Zeit leiden Unternehmen unter der Geißel des Absentismus. Viele Angestellte und Arbeiter halten sich nicht an ihre Arbeitszeiten, kommen zu spät oder erscheinen erst gar nicht am Arbeitsplatz. Dieses „Krankfeiern“ hatte zu alarmierenden Verlusten in den Betrieben geführt. Doch nun gibt es einen neuen, gegenteiligen Trend, der noch schlimmer ist als der vorherige: der Präsentismus.

Was ist Präsentismus? Präsentismus bedeutet, zwar am Arbeitsplatz zu sein, sich allerdings oft und/oder lange ausschließlich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht arbeitsbezogen sind. Das Problem betrifft die sogenannte Work-Life-Balance. Mitarbeiter müssen ihre Kinder zur Schule bringen, sich um kranke Familienmitglieder kümmern und noch vieles weitere mehr. Und irgendwann müssen sie auch noch ihr eigenes Leben regeln, was sie nicht selten auf Arbeit tun.

Fehlende Motivation, Frustration und schlechte Beziehungen zu Arbeitskollegen sind häufige Gründe sowohl für Absentismus als auch Präsentismus. Der große Unterschied besteht darin, dass der Arbeitnehmer bei der Präsenz am Arbeitsplatz seine Stundenzahl einhält, obwohl er nur wenig arbeitet.

Ein Mann liest ein Buch, während er am Laptop arbeiten sollte

Was verursacht Präsentismus?

Die Wirtschaftskrise hat zum Präsentismus beigetragen. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit führt dazu, dass viele Angestellte ihren Job nicht kündigen, obwohl sie unmotiviert sind und unter den langweiligen und frustrierenden Arbeitbedingungen leiden. Dennoch lassen diese Gegebenheiten die Hemmschwelle sinken, sich vor der eigentlichen Arbeit zu drücken. Die Folgen sind selbstständig verlängerte Mittagspausen oder häufige Besuche in der Raucherecke. Auch die Nutzung des Internets am Arbeitsplatz für private Zwecke, das Lesen in Zeitschriften oder sogar das Spielen von Videospielen sorgen für die ersehnte Abwechslung am Arbeitsplatz.

Der Präsentismus beeinflusst nicht nur die Produktivität eines Unternehmens, sondern auch die Gesundheit des Arbeitnehmers. Ein Mangel an Motivation und beruflichen Zielen kann zu Enttäuschung über die eigene Entwicklung führen, was wiederum Depressionen nach sich ziehen kann. Ähnlich verhält es sich mit Arbeitnehmern, die arbeiten gehen, obwohl sie krank sind. Die eigenen Kollegen dem Risiko des Ansteckens auszusetzen, ist zudem in hohem Maße fahrlässig.

“Viele Hände, Herzen und Köpfe tragen zu den bemerkenswerten Leistungen eines jeden bei.”

Walt Disney

Bedauerlicherweise zwingen einige Unternehmen ihre Angestellten, unbezahlte Überstunden zu leisten, wenn sie nicht gefeuert werden wollen. Dieses Verhalten ist selbstverständlich nicht zu rechtfertigen und zudem rechtlich mehr als fragwürdig. Dennoch akzeptieren viele Arbeitnehmer ein solches Vorgehen. Wenn nicht aus Angst vor der Kündigung, dann zumindest aufgrund anderer befürchteter Nachteile. Wir sehen uns in diesen Fällen mit der Situation konfrontiert, dass ein ethisch bedenklich erlangter Vorteil dem Versuch vorgezogen wird, Alternativen der Zeitoptimierung und Leistungssteigerung zu finden.

Präsentismus symbolisiert durch eine Frau, die gerade am Laptop arbeitet und auf ihr Smartphone schaut

Gibt es eine Lösung für Präsentismus?

Präsentismus bei Arbeitnehmern – oder zumindest ein großer Teil des Problems – kann gelöst werden. Sanktionen oder eine strikte Forderung nach der Einhaltung von Zeitplänen erweisen sich allerdings häufig als wirkungslos. Im Gegenteil, solche Maßnahmen sorgen lediglich für noch mehr Stress, Ängste und Ernüchterung bei den Mitarbeitern. Sie werden einfach weiterhin auf unterschiedliche Weise ihre Zeit „absitzen“. Unternehmen, die sich mit Sanktionen zur Wehr setzen, laufen zudem Gefahr, jene Menschen zu bestrafen, die tatsächlich motiviert bei der Sache sind.

Konkrete Maßnahmen, welche die Mitarbeiter miteinbeziehen, können wesentlich positivere Auswirkungen erzielen. Wir sprechen hier von sozialer Anerkennung einschließlich Gruppenanerkennung und individueller Anerkennung. Wenn der Mitarbeiter merkt, dass andere seine Arbeit schätzen, hebt das seine Motivation. Unter dem Strich ist es viel effektiver für ein Unternehmen, gute Leistungen anzuerkennen und anzusprechen, als nur die schlechten.

Wenn der Arbeitnehmer mit seinen Aufgaben und der Atmosphäre am Arbeitsplatz zufrieden ist, werden positive Veränderungen eingeleitet. Es ist viel vernünftiger, sich darauf zu konzentrieren, den Angestellten zu helfen und ihre Situation zu verbessern, als Sanktionen anzuwenden.

Je nach Position und Verantwortung eines Arbeitnehmers können auch Programme zur Förderung von selbstständiger Arbeit und Kreativität hilfreich sein. Derlei Ansätze streben eine Änderung der Einstellung des Arbeitnehmers an und setzen nicht auf die Einhaltung von Regeln aus Angst vor Konsequenzen. Je angenehmer der Arbeitsplatz ist, desto besser werden die Ergebnisse sein.

Die Einführung einer Gleitzeit bietet dem Arbeitnehmer ebenfalls die Chance, sein Berufsleben mit seinem Familienleben in Einklang zu bringen. Indirekt beeinflusst auch das seine Motivation. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance, wie sie in immer mehr Jobs angestrebt wird, hat zweifellos unzählige Vorteile. Die Mitarbeiter werden dafür dankbar sein und produktiver arbeiten.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.