Warum ist Gähnen ansteckend?

Wusstest du, dass 60 % der Menschen gähnen, wenn sie jemanden sehen, der gähnt? Aber warum ist Gähnen eigentlich ansteckend? Was sagt die Wissenschaft zu diesem Thema?
Warum ist Gähnen ansteckend?

Letzte Aktualisierung: 14. November 2020

Hast du schon einmal vom Echophänomen gehört? Das bedeutet, dass Menschen automatisch die Worte oder Handlungen anderer Menschen wiederholen. Ein Beispiel für dieses Phänomen ist, wenn du jemanden gähnen siehst und ihn dann praktisch ganz automatisch imitierst, indem du ebenfalls gähnst. Aber warum ist Gähnen eigentlich ansteckend? Gibt es eine neuronale Erklärung dafür?

Der Psychologe Robert Provine sagte im Jahr 1986 Folgendes dazu: “Gähnen könnte sich von anderen menschlichen Verhaltensweisen darin unterscheiden, dass sie eine der am wenigsten verstandenen ist.” Aber können wir nun über 30 Jahre später diese Frage mit Hilfe der Neurowissenschaften klären? Gibt es nur eine Erklärung oder sogar mehrere? Das wollen wir in unserem heutigen Artikel herausfinden.

Warum ist Gähnen ansteckend?

Obwohl viele Tiere gähnen, konnte laut einer Studie von Romero et al. (2014) nur bei Menschen, Schimpansen, Hunden und Wölfen dieses “ansteckende” Gähnen beobachtet werden. Aber was macht das Gähnen eigentlich ansteckend? Wir wollen dieser Frage in Bezug auf den Menschen nachgehen und uns ansehen, was die relevantesten Erklärungen dazu besagen.

Warum ist Gähnen ansteckend - gähnender Mann

Aktivierung des Motorkortex

Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität von Nottingham (England) führte im Jahr 2017 eine Studie durch, die in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht wurde. Die Forscher wollten eine Antwort auf die Frage finden, warum Gähnen ansteckend ist.

Nach Aussagen der englischen Forscher erfolgt diese Handlung aufgrund eines automatischen Reflexes in deinem Gehirn. Er wird exakt in dem Bereich aktiviert, der für die Kontrolle der motorischen Funktionen verantwortlich ist. Daher stammt dieser Studie zufolge die Neigung, das Gähnen anderer Menschen zu imitieren, aus dem primären Motorkortex des Gehirns. Das ist der Bereich, der für die Ausführung von Bewegungen durch neuronale Impulse verantwortlich ist.

Wie genau erfolgte das Experiment?

Insgesamt nahmen an der Studie 36 erwachsene Freiwillige teil. Zuerst wurde ihnen beigebracht, wie sie ihr Gähnen unterdrücken konnten. Anschließend baten die Forscher die Probanden, sich Videoclips von gähnenden Menschen anzusehen. Es wurden alle ausgelösten Gähner gezählt (einschließlich der unterdrückten).

Mittels transkranieller Magnetstimulationstechniken (TMS) analysierten die Forscher den möglichen Zusammenhang zwischen der neuronalen Basis des Gähnens und der motorischen Erregbarkeit.

Aufgrund der so gewonnenen Ergebnisse fanden die Wissenschaftler heraus, dass die “Anfälligkeit einer Person für “ansteckendes Gähnen” von der jeweiligen kortikalen Erregbarkeit und der physiologischen Unterdrückung des primären Motorkortex abhängt. 

Darüber hinaus wäre dies auch eine Erklärung dafür, warum manche Menschen mehr und manche weniger gähnen. Außerdem erklärt diese Erkenntnis, warum einige Menschen scheinbar das Gähnen anderer Menschen nachahmen, während andere dies weniger häufig tun.

Können wir das Gähnen unterdrücken?

Sind wir also beinahe genetisch vorprogrammiert, ebenfalls zu gähnen, wenn wir einen gähnenden Menschen sehen? Oder können wir diesen Reflex auch kontrollieren? Dieselben englischen Forscher sagen hierzu, dass die Fähigkeit, dieser ansteckenden Wirkung zu widerstehen, begrenzt ist. Außerdem schlussfolgerten sie, dass die Tatsache, dass du versuchst, dieses Gähnen zu unterdrücken, tatsächlich dein Bedürfnis zu Gähnen noch verstärken könnte.

Tatsächlich konnten die Wissenschaftler durch elektrische Stimulation während des Experimentes beobachten, wie eine steigende motorische Erregbarkeit auch die Neigung erhöhte, das Gähnen anderer Menschen zu imitieren. Daher ist die Wahrheit die, dass wir dieses “ansteckende Gähnen” nicht wirklich kontrollieren können, da wir eine angeborene Prädisposition dafür haben.

Die Ursachen bestimmter Störungen verstehen

Darüber hinaus könnte diese Studie tatsächlich auch den Wissenschaftlern helfen, die andere Störungen und Erkrankungen erforschen. Denn sie könnten dazu in der Lage sein, die Gründe präziser zu bestimmen, die sich hinter Störungen verbergen, bei denen eine erhöhte kortikale Erregbarkeit oder verringerte physiologische Unterdrückung auftritt.

Wir sprechen hier unter anderem über Störungen wie Demenz, Autismus, Epilepsie oder das Tourette-Syndrom. Von diesen Störungen betroffene Patienten können bestimmte Echophänomene (wie das Gähnen), Echolalie (Wiederholung von Wörtern oder Phrasen, die von einer anderen Person geäußert wurden) oder Echopraxie (automatische Wiederholung der Handlung eines anderen Menschen) zeigen.

In diesem Kontext erklärt Georgina Jackson, die Direktorin der Studie und Professorin für kognitive Neuropsychologie am Institute of Mental Health in Nottingham, Folgendes:

“Wir gehen davon aus, dass diese Erkenntnisse insbesondere zum Verständnis des weiteren Zusammenhangs zwischen der motorischen Erregbarkeit und des Auftretens von Echophänomenen bei einer Vielzahl klinischer Erkrankungen sehr wichtig sind. Dabei handelt es sich um klinische Erkrankungen, die mit einer erhöhten kortikalen Erregbarkeit und/oder einer verminderten physiologischen Unterdrückung in Zusammenhang gebracht werden, wie beispielsweise Epilepsie, Demenz, Autismus und das Tourette-Syndrom” 

-Georgina Jackson, Direktorin der Studie-

Darüber hinaus ergänzt Jackson, dass Patienten mit Tourette-Syndrom durch eine Reduktion der motorischen Erregbarkeit geholfen werden könnte. Denn dadurch würden sich die auftretenden Ticks verringern.

Warum ist Gähnen ansteckend? Weitere Erklärungen: Empathie, Genetik und Synchronisation

Vor dieser Studie versuchten andere Wissenschaftler, diese Frage in anderer Weise zu beantworten. Viele von ihnen vermuteten, dass der Ausdruck von Empathie eine mögliche Erklärung für dieses Verhalten sein könnte. Wenn wir einen Menschen gähnen sehen, fühlen wir unbewusst mit diesem Menschen. Ohne dass wir dies verhindern können, führen wir die gleiche Geste aus. So als wären wir das Spiegelbild dieser Person.

Diese Theorie hat viele Anhänger und Befürworter. Sie geht davon aus, dass die Fähigkeit zu interpretieren, wie andere Menschen fühlen, dazu führt, dass wir uns in sie hineinversetzen können, sogar bei so “primären” Handlungen wie dem Gähnen. Infolgedessen bist du auch nicht in der Lage, ein Gähnen zu unterdrücken, wenn du jemanden siehst, der ebendies tut.

Einige Studien, die nach Erklärungen dafür suchen, warum Gähnen ansteckend ist, beziehen sich auf die Aktivierung bestimmter Hirnkreisläufe, die für Empathie charakteristisch sind. Das sind jene Kreisläufe, die die berühmten Spiegelneuronen enthalten. Diese Neuronen agieren als interner Spiegel der Bewegungen, die wir bei anderen Menschen beobachten.

Darüber hinaus bezieht sich eine andere Erklärung dieses Phänomens auf Kommunikation und Synchronisierung. In diesen Zusammenhang sagt der Forscher und Psychologieprofessor Matthew Campbell Folgendes:

“Eine Möglichkeit ist, dass bei sozialen Spezies, die ihre Aktivitätsniveaus koordinieren, das Imitieren des Gähnens zur Synchronisierung der Gruppe beitragen kann.”

-Matthew Campbell-

Die Gruppe synchronisieren

Diese Erklärung geht davon aus, dass es eine nachahmende Handlung gibt und dass das Kopieren des Gähnens die Gruppe synchronisieren würde. Campbell sagt, dass wir dies auch bei unseren Essgewohnheiten beobachten können. Wenn es Zeit zum Essen ist, isst jeder. Daher könnten wir auch das Essen als etwas Ansteckendes bezeichnen. Das könnte ebenfalls zutreffen, wenn wir versucht sind, die Bewegungen und Körperhaltungen anderer Menschen zu imitieren.

Wie du siehst, gibt es zwei grundlegende Erklärungen für dieses Phänomen. Und du kannst nun die auswählen, von der du glaubst, sie wäre die korrekte!


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Georgina, M. Jackson et al. (2017). A neural basis for contagious yawning. Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2017.07.062.
  • Romero T, Ito M, Saito A, Hasegawa T (2014). Social Modulation of Contagious Yawning in Wolves. PLoS ONE 9(8): e105963. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0105963

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.