Vom Leben überholt: das Resignationssyndrom bei traumatisierten Kindern
Daria ist sieben Jahre alt, Ukrainerin und lebt in Schweden. Sie reagiert nicht, wenn man mit ihr spricht oder sie berührt. Sie wird über eine nasogastrale Sonde ernährt. Ihre Geschichte und die anderer Kinder sind Gegenstand des Dokumentarfilms Life Overtakes Me (Vom Leben überholt), produziert von Netflix. Daria hat eine seltene neuropsychiatrische Erkrankung: das Resignationssyndrom. Seit den 1990er-Jahren werden in Schweden Fälle von Kindern mit diesem Syndrom gemeldet, die aus Flüchtlingsfamilien aus den ehemaligen jugoslawischen und sowjetischen Republiken stammen.
Das Syndrom beginnt schleichend: Die Kinder ziehen sich zurück, verlieren ihren Appetit, gehen nicht zur Schule und geraten in einen Stupor (Zustand teilweiser Bewusstlosigkeit, der dem Koma nahe kommt), der zu einem katatonischen und bewusstlosen Zustand führt, der Monate oder sogar Jahre dauern kann.
In den Jahren 2003 bis 2005 verzeichnete Schweden 424 Fälle, inzwischen
Was ist das Resignationssyndrom?
Das Resignationssyndrom ist eine merkwürdige Störung, die in Schweden seit Jahrzehnten bei Flüchtlingskindern und -jugendlichen auftritt. Im Jahr 1958 beschrieb die schwedische Psychiaterin Anna-Lisa Annell das Syndrom als eine äußerst seltene Störung, die vorwiegend nach schweren psychischen Traumata auftritt.
1998 wurde in Schweden der erste Fall des Syndroms registriert, das als psychische Störung traumatisierter Kinder und Jugendlicher mit Migrationshintergrund beschrieben wird. Im Jahr 2014 nahm das schwedische National Board of Health and Welfare das Resignationssyndrom als eigenständige Diagnose auf. Kinder und Jugendliche, die unter diesem Syndrom leiden, werden in Schweden im Volksmund als apathische Kinder (apatiska barn) bezeichnet.
Wie äußert sich dieses Syndrom und wie kommt es dazu?
Anfangs sind depressive Phasen zu beobachten. Allmählich kommt es zu extremer Apathie, Unbeweglichkeit und Mutismus ohne erkennbaren biologischen Grund. Das betroffene Kind nimmt immer weniger am täglichen Leben teil, es verliert jede Motivation und hat kein Interesse an Aktivitäten. Schließlich geraten diese Kinder monate- oder jahrelang in einen katatonischen, komatösen Zustand, sind unbeweglich und träge.
Elisabeth Hultcrantz, eine ehrenamtlich tätige Ärztin, weist darauf hin, dass die Verweigerung des Asyls als Auslöser dient. Auch andere Experten weisen darauf hin, dass diese extrem stressige Situation, die Familien dazu zwingt, wieder in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und die traumatischen Erfahrungen zu den Hauptursachen für das Resignationssyndrom zählen.
Neuere Forschungen zum Resignationssyndrom
Hultcrantz und Knorring führten 2019 eine Untersuchung mit 46 Kindern durch, die an einem Resignationssyndrom leiden. Sie betonen, dass alle asylsuchenden Kinder, die in Schweden das Resignationssyndrom entwickelten, Traumata, Verfolgung und Gewalt ausgesetzt waren. Neben diesen schwierigen Situationen spielt auch die individuelle Anfälligkeit eine Rolle: Es waren nicht alle Kinder einer Familie betroffen. Außerdem hatten die meisten Kinder eine Vorgeschichte mit psychischen Erkrankungen, depressiven Störungen und posttraumatischen Belastungsstörungen.
Weitere gemeinsame Merkmale der Kinder waren, dass die meisten unterdrückten und verfolgten ethnischen Minderheiten angehörten, z. B. auf dem Balkan, in der ehemaligen Sowjetunion, in Jugoslawien oder in Syrien.
Das Durchschnittsalter, in dem die ersten Symptome auftraten, lag bei elf Jahren. In den meisten Fällen gerieten die Kinder in diesen Zustand, nachdem ihre Familien über eine bevorstehende Abschiebung informiert wurden. In der Regel handelte es sich um Kinder, die sich für ihre Familie verantwortlich fühlten, unter anderem, weil sie als Übersetzer fungierten. Oder sie hatten bereits im Herkunftsland traumatische Erfahrungen wie Gewalt und Mord an einem oder mehreren Familienmitgliedern erlebt oder wurden selbst zu Opfern.
Wurde das Resignationssyndrom nur in Schweden beobachtet?
Nein, auch in anderen Ländern gibt es Fälle von Kindern und Jugendlichen mit denselben oder ähnlichen Symptomen, allerdings nur sehr wenige. In Australien wurde auf der Insel Nauru ein fast identisches Syndrom bei Flüchtlings- und Asylbewerberkindern beobachtet.
Abgesehen davon, dass das Resignationssyndrom mit früheren Traumata und drohender Abschiebung zusammenhängt, sind die genauen Ursachen und der Grund dafür, dass es fast ausschließlich in Schweden auftritt, nicht bekannt. Eine mögliche Erklärung wären soziale und kulturelle Faktoren.
Die beiden Schwestern Djeneta und Ibadeta, die aus dem Kosovo flohen, leiden beiden an diesem Syndrom. Deren Foto wurde 2018 den World Press Photo Award. Djeneta war zweieinhalb Jahre lang bettlägerig, ohne zu reagieren, und ihre Schwester Ibadeta mehr als ein halbes Jahr lang.
Es gibt viele unbekannte Faktoren, die genauer erforscht werden müssen, um den betroffenen Kindern wie Daria mit einer spezifischen Behandlung helfen zu können. Das Resignationssyndrom bedeutet für die ganze Familie eine untröstliche Tragödie, denn ihre Kinder ziehen sich komplett aus dem Leben zurück, sie verweigern die Teilnahme an allen Aktivitäten.
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- Sallin, K., Lagercrantz, H., Evers, K., Engström, I., Hjern, A. y Petrovic, P. (2016). Resignation Syndrome: Catatonia? Culture-Bound?. Frontiers in behavioral neuroscience, 10, 7.
- von Knorring, AL. y Hultcrantz, E. (2019). Asylum-seeking children with resignation syndrome: catatonia or traumatic withdrawal syndrome?. Eur Child Adolesc Psychiatry 29, 1103–1109.