Vergebungsbriefe - ein mächtiges Werkzeug zur emotionalen Befreiung

Wenn du Gepäck aus der Vergangenheit, Wut, Groll oder Ärger mit dir herumträgst, ist es schwierig, Wohlbefinden zu erreichen. Finde heraus, wie dir Vergebungsbriefe helfen können, dich zu befreien.
Vergebungsbriefe - ein mächtiges Werkzeug zur emotionalen Befreiung
Elena Sanz

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Elena Sanz.

Letzte Aktualisierung: 14. Februar 2023

Wer eine Therapie macht oder sich verändern möchte, will möglichst schnelle Ergebnisse erzielen. Doch was tun, um sich besser zu fühlen und Veränderungen zu erreichen? Das Herz (und der Verstand) muss zuerst geleert werden, um es wieder bereichern zu können. Vergebungsbriefe sind ein mächtiges Werkzeug zur emotionalen Befreiung.

Du musst dir bewusst sein, dass du keine solide Zukunft auf einem schwankenden Fundament aufbauen kannst. Veränderung bedeutet, nach innen zu schauen, in die Vergangenheit, in die dunklen Ecken deines Wesens, die dir Angst machen, in denen aber der Schlüssel zu deiner Befreiung liegt.

Wenn du bereit bist, dich auf diesen mutigen Prozess einzulassen, wirst du das Werkzeug lieben, über das wir heute sprechen.

Warum sind Vergebungsbriefe notwendig?

Wir verdanken vieles unseren Erfahrungen, die wir im Umgang mit anderen machen. Eltern, Freunde, Partnerin oder Partner prägen unsere Persönlichkeit. Wir fühlen uns geliebt und sicher, oder auch enttäuscht und entmutigt. Wir alle machen Erfahrungen, die zu einem gewissen Groll führen: Eltern, die keine bedingungslose Akzeptanz zeigen, Geschwister, die in allem besser sind, aggressive Mitschüler oder ein Partner oder eine Partnerin, die uns enttäuscht hat.

Doch das Leben geht weiter und wir glauben, diese Erfahrungen zurückzulassen. In Wirklichkeit tragen wir sie jedoch meistens mit uns und der Groll wiegt zum Teil schwer. Wut und Hass machen uns krank… Es ist deshalb wichtig, diese negativen Erfahrungen zu überwinden, zu vergeben und ihnen eine andere Bedeutung zu geben.

Traurige Frau schreibt Vergebungsbriefe
Vergebungsbriefe begünstigen die emotionale Entlastung.

Was sind Vergebungsbriefe?

Viele Menschen verstehen nicht, warum Vergebung so wichtig ist. Das ist nicht verwunderlich, denn wir verbinden damit Güte, Verzicht und die Akzeptanz von Fehlern. Warum also einer Person vergeben, die dich stark verletzt hat? Bedeutet das nicht, ihr Verhalten zu akzeptieren und dich selbst zu verraten?

Du musst Vergebung als Entscheidung verstehen, um dich selbst von der Last  der Vergangenheit zu befreien. Du vergibst nicht, um die andere Person von ihrer Schuld zu befreien oder eine Wiedergutmachung zu erreichen. Die Vergebung gilt nur dir allein, denn sie hilft dir, die Vergangenheit zurückzulassen, damit sie dein Leben nicht bestimmt und die Gegenwart nicht mehr beeinflusst. Es ist ein Geschenk, das du dir selbst machst, damit du weitermachen kannst.

Die andere Person muss sich nicht entschuldigen oder Reue zeigen. Du musst auch nicht mit ihr sprechen, denn du schreibst einen Brief, den du nicht abschickst und den diese Person nicht liest. Dieses Ritual ist ein Werkzeug, das dir hilft, deine eigenen Gefühle zu verarbeiten. Du wirst jedoch überrascht sein, wie mächtig es ist.

Vergebungsbriefe schreiben

Vergebungsbriefe haben eine konkrete Struktur, die es dir ermöglicht, einen tiefen und vollständigen Prozess zu durchlaufen: von der Identifizierung der Gefühle über den Ausdruck und die Verarbeitung bis hin zur Befreiung. Hier sind die Schritte, um diese Übung durchzuführen:

Identifizierung von Emotionen

Bestimme zunächst , welche Aspekte oder Erlebnisse deiner Vergangenheit dich negativ geprägt haben. Was ist passiert, wer sind die beteiligten Personen?

Du wirst verschiedenste Erfahrungen und Personen in Erinnerung rufen und solltest für jede dieser Personen einen Brief verfassen. Wenn auch deine Mutter zu diesen Personen zählt, beginne mit ihr und denke darüber nach, wie sie dich verletzt oder was sie falsch gemacht hat. Danach kannst du beginnen, einen Brief zu schreiben.

Emotionaler Ausdruck und Loslösung

Beginne den Brief, indem du die gewählte Person in der ersten Person ansprichst, und mache die Absicht des Briefes deutlich. Zum Beispiel: “Mama, ich schreibe diesen Brief, um auszudrücken, was ich dir nie sagen konnte.” Beschreibe danach die Ereignisse oder Verhaltensweisen, die dich verletzt haben und wie du dich fühlst. 

Nimm dir für diesen Schritt Zeit, sei ehrlich und verwende keine Filter oder Grenzen. Niemand wird diesen Brief lesen. Erlaube dir, Wut, Schmerz, Traurigkeit, Hass oder jedes andere Gefühl, das dich überkommt, auszudrücken.

Schreibe deine Erfahrungen auf, deine Gefühle, deine Vorwürfe, deine Sehnsüchte und deine Enttäuschung. Bringe auch zum Ausdruck, wie du die Dinge gerne erlebt hättest. Vergiss für einen Moment die Moral oder die politische Korrektheit, mach dir keine Gedanken über die Schrift oder den Satzbau, schreib einfach, was dir in den Sinn kommt.

Verarbeitung und Vergebung

Nach der Beschreibung deiner Emotionen und Enttäuschungen (ein Prozess, der hart ist und dich tief im Inneren erschüttert) ist es an der Zeit, diese Gefühle zu verarbeiten. Nenne deinen Wunsch und deine Absicht zu vergeben und die Gründe, warum du dich dafür entscheidest. Zum Beispiel: “Trotz alledem entscheide ich mich heute, dir zu vergeben, weil ich diesen Schmerz nicht länger mit mir herumtragen will”, “Ich vergebe, weil ich es nicht verdiene, mit Groll in meinem Herzen zu leben”, “Ich verzeihe, um diese Erlebnisse zurückzulassen, sie sollen meine Gegenwart nicht mehr bestimmen”,

Optional, und wenn du dazu in der Lage bist, kannst du das Geschehene in einen Kontext setzen. In der Regel wurden die Menschen, die dich verletzen, selbst verletzt, wer nicht lieben kann, wurde nicht geliebt. Ihre Vergangenheit und ihre Umstände zu verstehen, kann dir helfen, loszulassen. Du kannst also hinzufügen: “Ich verstehe, dass du mit dem, was du damals wusstest, dein Bestes getan hast, und heute durchbreche ich den Kreislauf des Schmerzes.”

Lernprozess und Dankbarkeit

Die Forschung bestätigt, dass viele Menschen in der Lage sind, Widrigkeiten nicht nur zu überwinden, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen, indem sie wertvolle Fähigkeiten aus dem Erlebten gewinnen. Dies wird als posttraumatisches Wachstum bezeichnet.

Einer der wichtigsten Schlüssel zu diesem Wachstum ist es, aus der Erfahrung zu lernen, zu erkennen, wie sie zu deiner persönlichen Entwicklung beigetragen hat, was sie dich gelehrt hat. Und zweifellos ist jede Erfahrung ein Lernprozess.

Wer zum Beispiel in der Kindheit die Wunde des Verlassenseins erlitten hat, wird einfühlsamer und liebevoller, oder wer zurückgewiesen wurde, kann eine Autonomie und Unabhängigkeit entwickeln, die anderen fehlt. Natürlich wünschen wir uns alle, Leid zu vermeiden, doch wenn dies nicht möglich ist, ist es unser Recht, die Qualitäten, die wir als Ergebnis dieses Schmerzes entwickelt haben, zu beobachten und zu schätzen.

In diesem Abschnitt der Vergebungsbriefe geht es also um das Lernen, um die Fähigkeit, über den Schmerz hinauszusehen und Lehren daraus zu ziehen. Du bedankst dich dafür, dass du aus deinen Erfahrungen Wertvolles gelernt hast. Das kannst du zum Beispiel so ausdrücken: “Ich bin dankbar, dass die Abwesenheit, die ich gespürt habe, mich gelehrt hat, mich selbst zu begleiten und mich nie zu verlassen.”

Frau schreibt Vergebungsbriefe
Vergebungsbriefe helfen dir, die Vergangenheit loszulassen und dich von Lasten und Schuldgefühlen zu befreien, um auf deinem Weg voranzukommen.

Vergebungsbriefe als therapeutisches Werkzeug

Sobald deine Vergebungsbriefe fertig sind, überlegst du dir, wie du dich von ihnen symbolisch verabschieden möchtest. Du kannst die Briefe verbrennen, zerreißen, in Wasser versenken… Vergiss nicht: Dieser Brief ist nur für dich, du wirst ihn nicht verschicken.

Vergebungsbriefe eignen sich hervorragend, um mit der Vergangenheit abzuschließen und zu trauern, aber auch, um sie zu “klären”, bevor du einen Therapieprozess beginnst. Ohne diesen Schritt werden Veränderungsversuche möglicherweise nicht erfolgreich sein. Auch wenn du anfangs zögerst, das Gefühl hast, dass es nicht nötig oder zu schmerzhaft ist, vertraue, denn dies kann der erste Schritt zur Befreiung sein.


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