Und suchen, was meine Seele liebt

"Wenn wir auf unsere Träume achten, in Kontakt mit unserer Sehnsucht bleiben, unserer Intuition vertrauen und keine Angst haben, Fehler zu machen, wird uns unsere Seele an unser Ziel bringen." Ein Gastbeitrag von Anja Mannhard
Und suchen, was meine Seele liebt
Anja Mannhard

Geschrieben und geprüft von der Autorin, Illustratorin und Malerin Anja Mannhard.

Letzte Aktualisierung: 16. April 2024

Wenn wir von der Wiederkehr der Seele sprechen, möchten wir mit unserer inneren Essenz in Kontakt kommen. In ihr geborgen sind unsere Selbstheilungskräfte. Sie im Hier und Jetzt (nach schweren Zeiten wieder) zum Leben zu erwecken, kann uns helfen, aus voller Kraft heraus unseren ureigenen Weg weiterzugehen. Jederzeit und selbst im größten Scherbenhaufen unseres Lebens haben wir diese Möglichkeit, ganz unabhängig davon, wie gestresst, erschöpft oder überfordert wir uns fühlen. Der Autor Mark Whitwell meint, dass wir in jeder Situation den Zugang zu unserer Lebenskraft finden können, die uns unablässig nährt.

Mit einer guten Verbindung zu unserer Seelenstärke haben wir Vertrauen, dass es immer weitergehen wird. Auch wenn uns einmal der Boden unter den Füßen weggezogen wird, und die alten, oft geübten Tritte nicht mehr tragen, nehmen wir in Verbundenheit mit unserer Seele unser Leben (wieder) in die eigene Hand. „Ein Quäntchen Mut, Abenteuergeist und die Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen“, sieht die Heilpraktikerin Maren Schneider als wesentliche Faktoren für die Resonanz mit der inneren Essenz und den eigenen Selbstheilungskräften an.

Vielleicht sind Krisenzeiten gerade die Herausforderung, um neue, bislang ungeahnte Fähigkeiten aus unserer Seele hervorzubringen? „Blüten und Früchte im dunklen Raum des Inneren anzusetzen, von denen noch keiner etwas geahnt hat“, wie es der Autor Florian Roder als einen wichtigen Schritt auf dem Schulungsweg der Seelenkunst meint? Für ihn ist die Antwort auf diese Frage die vorbehaltlose Annahme dessen, was in den Ereignissen unseres Lebens zu uns spricht.

Der deutsche Schriftsteller Novalis sprach gar vom Ich als einem Kunstwerk. Ein Künstler befasst sich einerseits mit freiem, andererseits mit an innere Gesetze gebundenem Material. Übertragen auf unsere Seele ist das Material unsichtbar, denn der nicht sinnliche Stoff besteht aus unseren Stimmungen, Strebungen und Vorstellungen. Das Ergreifen dessen geht von unserer innersten Instanz aus.

Die Rubensfrauen vom Bodensee | Copyright Anja Mannhard
Die Rubensfrauen vom Bodensee | Copyright Anja Mannhard

Die Sehnsucht nach dem Seelischen drückt den Wunsch aus, uns selbst zu verwirklichen und authentisch zu leben. Nicht nur Freude und Glück erfahren wir dabei, auch Angst und Ohnmacht. Wenn es uns schwerfällt, uns anzunehmen, neigen wir dazu, manche Schattierungen unseres Seelenlebens abzulehnen. Wir stellen stattdessen ein Bild davor, das wir von uns haben oder anderen zeigen wollen. Die Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross sah uns Menschen als eins mit unserer Seele. Die Seele nimmt uns an, wie wir sind. Deshalb ihre Frage: „Wie kann es sein, dass du nicht liebst, was deine Seele liebt?“

Wir dürfen unserer Seele vertrauen. Unserer inneren Stimme, die uns sagt, was unser Weg ist. Wir müssen uns aber auch den Raum und die Zeit nehmen, um zu hören, was sie uns mitteilen will. Wenn wir auf unsere Träume achten, in Kontakt mit unserer Sehnsucht bleiben, unserer Intuition vertrauen und keine Angst haben, Fehler zu machen, wird uns unsere Seele an unser Ziel bringen.

Sie wird es uns jedoch nicht immer leicht machen. Sie mutet uns auf unserem Weg so manches an Unsicherheit, Angst und Schmerz zu. Doch diese Erfahrungen gehören zu unserem Wachstum und unserem Weg, der gezeichnet ist vom Aufbrechen und Gehen. Deshalb wird es immer den Mut brauchen, um unserer inneren Stimme zu trauen und ihr zu folgen. Der Theologe und Psychologe Wunibald Müller meint, dass es unsere Seele ist, die aus unserer inneren Stimme spricht und uns antreibt, zu leben. Ihr nicht zu folgen käme einer Stagnation gleich.

Mut statt Trägheit! Mut ist nach Jörg Ahlbrecht – Pastor und Referent – keine Empfindung, sondern eine Entscheidung. Der Entschluss, das Richtige zu tun, auch wenn man dadurch Nachteile in Kauf nehmen muss. Mutige Menschen tun das Richtige einfach deshalb, weil es richtig ist. Demnach sei Mut der Gegenpol zur Trägheit, da diese unbeweglich und faul ist. Sie will ihre Ruhe und alles dabei belassen, wie es ist.

Trägheit steht nicht auf, um das Richtige zu tun oder zu sagen. Mut hingegen weiß, was richtig ist und macht sich auf den Weg. Ahlbrecht nimmt die Geschichte von David und Goliath zum Anlass, um zu betonen, dass Mut nicht aus einem einzigen Moment heraus im Kampf gegen einen Riesen geboren wird. Vielmehr wächst er in den Kämpfen unseres Alltags. Wenn unser Lebensprinzip ist, das Richtige auch in den kleinen Dingen zu tun, entwickeln wir den Mut, uns auch in den großen Dingen treu zu sein. Wir brauchen dafür Mut und Entschlossenheit.

Lust auf eine kreative Übung? Eine Collage ist eine gute Möglichkeit, verschiedene Bilder zu einem Seelenbild zu fertigen und das Kunstwerk eine geraume Zeit auf sich wirken zu lassen. Man benötigt dafür verschiedene Zeitschriften, Stichworte oder Zitate aus Texten, Schere, Kleber und eine größere Papierunterlage zum Bekleben. Man mische Vorstellungskraft mit Intuition und kombiniere diese mit ein paar aussagefähigen Bildern und Worten. So wird jeder zum Künstler und Seelenforscher!

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Ganz praktisch: Sinnvoll ist, zunächst eine Vielzahl an Bildern für das eigene Seelenleben herauszusuchen, um sich dann während des kreativen Prozesses für eine Auswahl zu entscheiden. Diese repräsentieren letztendlich die unterschiedlichen und einzigartigen Facetten der individuellen Seele.

Wichtig: Bei der Gestaltung eines Seelenbilds sollten Bewertungen außen vor bleiben. Hier gibt es keine Trennung in Gut und Böse oder Positiv und Negativ. Anfangs wurde hier gesagt, dass die Seele das nicht stoffliche Material unserer Stimmungen, Strebungen und Vorstellungen ist, demnach dürfen alle Facetten offen ins Bild eingeladen werden. Alle Anteile gehören zu uns und jede gute Seite hat, wenn wir sie übertreiben, auch eine schlechte. Umgekehrt kann etwas Schlechtes einen guten Kern enthalten, zum Beispiel kann die feine Dosis einer Giftpflanze zur Medizin werden.

Die Seele ist das ganze Selbst. In der Collage können sich drei Dimensionen entwickeln: Das, worin wir unseren Ursprung sehen (und wohin wir vielleicht irgendwann zurückkehren); das, was wir als unser einzigartiges Potenzial ansehen; das, was unser Bewusstsein und unseren Geist ausmacht. Das entstandene Bild wird zu unserem Spiegel. Um diesen abstrakten Ebenen näherzukommen, helfen Antworten (in Bildern) auf die folgenden Fragen:

  • Welche Menschen sind mir wirklich wichtig?
  • Welche Facetten meiner Vorfahren erkenne ich in mir?
  • Welche Menschen haben mich bisher geprägt und welche habe ich beeinflusst?
  • Bei wem hole ich mir Rat?
  • Wen kann ich bei einem wichtigen Problem auch mitten in der Nacht anrufen?
  • An welche Orte gehe ich gerne?
  • Womit beschäftige ich mich häufig, und das gerne?
  • Welche Tiere mag ich?
  • Wie sieht meine Beziehung zu Kindern aus?
  • Welche Herausforderungen haben mir zu Wachstum verholfen?
  • Was sind meine kühnsten Träume?
  • Was tue ich, wenn ich ängstlich oder traurig bin?
  • Womit kann man mich verletzen?
  • Wer oder was inspiriert mich?
  • Wie übernehme ich Verantwortung für mein Leben?
Die Rubensfrauen vom Bodensee | Copyright Anja Mannhard
Die Rubensfrauen vom Bodensee | Copyright Anja Mannhard

Mehr als alles hüte dein Herz, denn aus ihm strömt Leben (Sprüche 4,23). John Ortberg schreibt in seinem Buch ‚Hüter der Seele‘: „Die meisten Menschen an den meisten Orten in den meisten Epochen glauben und haben geglaubt, dass der Mensch in irgendeiner Form eine Seele besitzt“. Gemeint ist hier die Seele als die Mitte unseres inneren Lebens. Jörg Ahlbrecht glaubt, dass sich die Seele einem vollen Verständnis entzieht. Ihre Tiefe können wir nicht vollständig ergründen, sie bleibt in gewisser Weise verborgen. Das bedeutet, dass die Seele weit über uns hinausgeht und das eigene Verständnis übersteigt – welch wundervolles Geheimnis!

Wichtig scheint zu sein, dass wir mit allen Facetten unseres Seelenlebens in Einklang sind. Dazu gehören unsere Absichten, unsere Gedanken und Gefühle, unsere Werte, unsere Persönlichkeit und das, was uns im Kern ausmacht. Die Seele wohnt in unserem Körper und beide beeinflussen sich wechselseitig. Deshalb hängen seelische, geistige, emotionale und körperliche Befindlichkeiten zusammen und bestimmen den Zustand unseres Lebens. Hier ist nicht wirklich wichtig, was uns widerfährt, sondern wie wir es seelisch bewerten. Unsere Seele ist bedeutender als die Umstände, in denen wir leben.

Die Vorstellung, dass die Seele nach dem Tod den Körper des Menschen verlässt, ist uralt. Manche stellen sie sich in der Form eines Körpers vor, andere in der Gestalt eines Engels, Vogels oder als sonstige Lebewesen mit Flügeln. Die Vorstellung, eine Seele zu haben, ist tröstlich. Da sie über uns hinausgeht, verbinden wir mit ihr grenzenlose Freiheit, fernab von einem objektivierbaren Ding oder dass wir ihren Sitz lokalisieren könnten. Jedoch weist der Professor für klinische Psychiatrie Daniel Hell darauf hin, dass der Seele nicht gedient sei, wenn wir sie sentimentalisieren, beschönigen oder wie einen Götzen behandeln. Von einem solchen Seelenbild würden sich Sinn suchende oder in Not geratene Menschen enttäuscht abwenden.

Zurückzukommen auf den Reichtum der traditionellen Seelenvorstellungen darf das am häufigsten verwendete Symbol der Taube nicht fehlen. Sie verkörpert wie kein anderes Lebendigkeit, Freiheit, Hoffnung, Geistigkeit, Frieden und Liebe. In der Bibel bringt die Taube einen Ölzweig im Schnabel als Symbol der Hoffnung. Dieses Bild wurde von Picasso künstlerisch dargestellt. Nach Professor Hell hat das Seelische vor allem mit Beziehungen zu tun, denn es schwinge mit und schaffe Resonanz. Es gehört zum Menschen, jedoch nicht als Besitz, sondern als Beziehung schaffender Raum, der nicht durch das Selbst begrenzt wird. Die Beschäftigung mit dem Seelischen ist ein herausragendes Charakteristikum des Menschen.

Im Sinne von Martin Bubers „Das Ich wird am Du zum Ich“ meinte der Psychoanalytiker C. G. Jung, dass ein Mensch, der sich nicht auf andere bezieht, nichts Ganzes habe. Die Ganzheit erreiche er nur durch die Seele, die nicht sein könne ohne die andere Seite, welche sie im Du fände. Wir sehnen uns nach Liebe, wobei wir oft sehr Unterschiedliches darunter verstehen. Zu lieben und geliebt zu werden ist das, was uns Menschen auszeichnet. Doch auch wenn uns die Erfahrung des Geliebtwerdens zeitweise fehlt, steht uns nach der Philosophin Simone Weil die Liebe als Ausdruck unseres Inneren, als Blick der Seele, zur Verfügung. Diese Liebe erweckt die Seele, und die Seele erweckt die Liebe. Überlassen wir der Seele die Führung in unserem Leben, laden wir die Liebe ein.

Unsere Seele will, dass unser Leben nach unserer individuellen persönlichen Bestimmung zur Entfaltung kommt. Wenn wir ihr folgen, unterstützt sie unsere Verwirklichung. Wir spüren es, wenn wir den Kontakt zu ihr verloren haben. Sie steht mit unserer inneren Stimme und Intuition in Verbindung und weiß mehr als unser Bewusstsein. Sie spricht zum Beispiel in unseren Träumen zu uns und will korrigierend eingreifen und mahnen, wenn wir von unserem Weg abkommen.

Für ein Leben im Einklang mit unserer Seele gibt es kein Rezept und keinen Plan. Vielmehr dürfen wir unsere eigene innere Landkarte entwerfen, die eine Vielzahl an möglichen neuen oder ausgebesserten und verschönerten alten äußeren Wegen enthält. Die Landkarte wird detaillierter, umso mehr wir mit den ganzen Facetten unserer Seele in Kontakt stehen und uns immer wieder auch in unbekannte Gebiete vorwagen. Die Landkarte nimmt durch unsere Erkenntnisse und Erfahrungen Gestalt an und dient uns als Wegweiser im Hier und Jetzt. Die Lyrikerin Rose Ausländer drückt dies in einem einzigen Satz aus: „Mein Atem heißt JETZT.“

Es lohnt sich, wenn wir uns immer wieder einmal gefundene und gelebte Überzeugungen anschauen, ob sie heute zu uns und unserem Leben noch passen. Oder schleppen wir sie als alte Relikte aus der Vergangenheit weiter mit uns herum? Die Familientherapeutin Virginia Satir rät aufzuschreiben, welche neuen Einstellungen wir uns wünschen und was wir ausprobieren möchten, oder welche vorhandenen wir besser kennenlernen wollen. Dann sollten wir uns drei Wege überlegen, wie wir dahin gelangen können. Wenn wir drei neue Zugänge finden, verfangen wir uns weniger in einem Schwarz-Weiß-Denken bzw. in einer Entweder-Oder-Situation. Nachdem wir drei Wege notiert haben, überlegen wir uns, wie wir anfangen wollen und was wir konkret als Nächstes anpacken werden.

Die Rubensfrauen vom Bodensee | Copyright Anja Mannhard
Die Rubensfrauen vom Bodensee | Copyright Anja Mannhard

Aus dem Bauch und Herzen heraus in Verbundenheit mit dem Seelischen zu leben heißt zu vertrauen – der Seele zu trauen. Das ist die Erfahrung, die uns der Theologe Dietrich Bonhoeffer gelehrt hat: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“. Der Trapezkünstler Rodleigh drückt es so aus: „Der Springer muss mit ausgestreckten Armen und offenen Händen darauf vertrauen, dass sein Fänger da sein wird“. So dürfen wir das Leben wagen und es leben, leben bis zum Schluss. Sich nicht von anderen oder den Umständen davon abhalten lassen, unser Leben für uns und andere zum Segen werden zu lassen!

Alle Bilder: Copyright Anja Mannhard


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.