Shape of Water: die wahren Monster
Die Oscar-Gala ist das Ereignis des Jahres in der Welt des Kinos und 2018 war Shape of Water – Das Flüstern des Wassers einer der Spitzenreiter. Der mexikanische Filmemacher Guillermo del Toro ist bekannt für seine besondere Art der Vermischung von Fiktion und Realität. Seit seiner Kindheit von Monstern fasziniert, hat er immer wieder versucht, uns in eine poetische Fantasie einzuhüllen, in der der Schein trügt.
Dank einer ausgeprägten Ästhetik gelingt es ihm, uns visuell zu fesseln, und im Falle von Shape of Water verbleibt er nicht nur beim Visuellen und Ästhetischen, sondern geht noch weiter und begleitet sein eigentümliches Skript mit einem Diskurs der Liebe zum Anderssein. Ein Diskurs, der heute dringend benötigt wird und der uns einlädt, Unterschiede anzunehmen und soziale Barrieren zu überwinden.
Shape of Water ist eine Art zeitgenössische, aktualisierte Fassung von Die Schöne und das Biest. Das “Biest” muss hier kein Mensch werden und die “Schöne” ist keine Prinzessin. Obwohl es sich um einen Fantasyfilm handelt, liefert del Toro Plausibilität, versetzt uns zurück in die 60er Jahre und führt uns dort zu realen und nahen Charakteren. Diese Art, Fiktion mit Realität zu vermischen, uns glauben zu lassen, was wir sehen, die Magie, die die Szenen und die Musik vermitteln, machen Shape of Water zum Film des Jahres 2018.
Andersartigkeit in Shape of Water
Die Geschichte scheint weiße, starke und mächtige Männer westlicher Abstammung immer belohnt zu haben; alle anderen wurde auf niedrigere Ebenen verbannt. Frauen, Homosexuelle, Einwanderer, Schwarze … alle wurden unterdrückt und ihr Kampf für Gleichberechtigung wurde (und wird) verspätet geführt. Guillermo del Toro definiert sich als Teil dieser Andersartigkeit. Ein in den Vereinigten Staaten lebender Mexikaner, egal wie gut er als Filmemacher auch sein mag, kann dieses Einwandererlabel nicht loswerden.
Außerdem gilt er seit seiner Kindheit als eigentümlicher, anderer Mensch mit großer Vorstellungskraft, was ihn an die Spitze der Filmwelt gebracht hat. Das Kino kann Barrieren beseitigen – oder verstärken. Es hat die Macht, die Welt zu verändern, einen politischen Diskurs auf die Gesellschaft auszurichten. Guillermo del Toro würdigt mit Shape of Water das Anderssein, nimmt Unterschiede an und überwindet Barrieren.
Der Film zeigt zunächst eine Frau, die in den 60er Jahren allein lebt, die trotz ihrer Einsamkeit glücklich scheint und jeden Morgen ihrer Routine vor der Arbeit nachgeht: Sie bereitet Essen zu, putzt ihre Schuhe und masturbiert in der Badewanne. Eine ganz normale Frau und Szenen mit großem Naturalismus, der mit den fantastischen Aspekten des Films kontrastiert. Diese Frau, genannt Elisa, ist stumm und eine Waise, aber das hat sie nicht daran gehindert, ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Elisa arbeitet als Putzfrau in einem geheimen Regierungslabor, wo sie sich mit einer Afroamerikanerin namens Zelda anfreundet.
Beide Frauen vertreten die unterste Stufe in der Laborhierarchie. Sie sind Frauen und sie “machen auch Scheiße weg”; außerdem ist Elisa stumm und Zelda Afroamerikanerin, was ihre Situation nicht verbessert. Neben ihnen gibt es noch Elisas Freund Giles, einen alten, schwulen Künstler, der mit seinen Katzen lebt. Diese drei Charaktere sind das Spiegelbild des Andersseins und im Laufe des Films werden wir mit ihnen sehr unbequeme und schwierige Situationen erleben: Rassismus, Homophobie, Chauvinismus …
Mitten im Kalten Krieg und auf dem Höhepunkt der Eroberung des Weltraums trifft ein seltsames Wesen im Labor ein, das im Amazonas gefangen genommen wurde, wo es wie eine Gottheit verehrt und behandelt worden war. Dieses Wesen hat menschenähnliche Merkmale, ist aber eine Amphibie. Elisa entdeckt es und spürt eine gewisse Schwäche für das Geschöpf; sie ist ein unvollständiger Mensch (sie kann nicht sprechen) und das fremde Geschöpf beobachtet sie ohne Vorurteile, ohne zu merken, dass sie unfähig ist, zu sprechen. Zwischen beiden entsteht eine ganz besondere Verbindung.
Dieses seltsame Wesen wird zum Ziel der Russen und der US-Amerikaner. Sie misshandeln es und wollen es für weitere Untersuchungen töten. Andererseits tut Elisa zusammen mit ihren Freunden und einem russischen Spion, der im Labor arbeitet, alles, um es zu retten. In diesem Fall sind die Helden das Anderssein und die Mächtigen die wahren Monster – ein ganzer politischer Diskurs inmitten einer Fantasiewelt. Aber nicht nur in den realistischen Charakteren finden wir das Anderssein, sondern auch im Amphibienmenschen, der das Extrem des Andersseins im Anderssein ist, ein einzigartig anderes und folglich gequältes Wesen.
Die Form der Liebe
Die für den Film gewählte Farbpalette bringt uns der Wasserwelt näher. Die kalten Farben, Grün- und Blautöne, sind konstant, von der Szenerie bis zu den Kostümen dreht sich alles um das Wasser. Der Titel selbst scheint kurios, denn Wasser hat keine Form, und die Liebe auch nicht. Del Toro hat bei mehr als einer Gelegenheit erklärt, dass der Titel eine Anspielung auf die Liebe sei, auf eine Liebe, die keine Formen oder Barrieren verstehe.
Er hat auch anerkannt, dass der Film ein Dorn ist, den er in seiner Kindheit im Auge hatte, als er Der Schrecken vom Amazonas sah, einen Film mit einer ähnlichen Handlung, in dem aber das Monster und das Mädchen nicht zusammenkommen. Del Toro hielt dies für einen Fehler, denn er sah sich sehr mit dem Monster identifiziert, mit diesem seltsamen und anderen Wesen, das bei den meisten Sterblichen Ablehnung hervorrief. Für ihn muss es solche Liebesgeschichten geben. Sie müssen zeigen, dass die Liebe keine Barrieren versteht und dass jeder sich verlieben und seine Liebe voll genießen kann.
Auf diese Weise entsteht Shape of Water, wo das Tier nicht vermenschlicht oder zum Prinzen werden muss, um mit seiner Geliebten glücklich werden zu können. Gleichzeitig gehört die Frau auch nicht zum Königtum und ist kein unerreichbares Wesen von außerordentlicher Schönheit. Sie ist eine Frau, die kämpft und ihren eigenen Weg geht.
Die Monster in Shape of Water
Ungeachtet des äußeren Erscheinungsbildes ist Colonel Richard, der Mann, der das “Monster” gefangen genommen hat, die monströseste Figur im Film. Ein mächtiger, ehrgeiziger Charakter, der jeden verachtet, der nicht wie er ist.
Es gibt einen bedeutsamen Moment, in dem er mit Zelda über das Monster spricht und zu sagen wagt, dass “Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat”, in Anspielung auf die Tatsache, dass das “Monster” keinerlei Respekt verdiene, aber er fügt korrigierend hinzu, dass Gott ihm ähnlicher sei als Zelda, und ohne es ausdrücklich zu sagen, bringt er diese völlig rassistische Haltung zum Ausdruck, die deutlich macht, dass Gott einem weißen Mann sehr ähnlich sein müsste.
Sein irriges Weltverständnis bringt ihn auch dazu, Frauen zu verachten, sie zu objektifizieren. Wir sehen sexuelle Belästigung gegen Elisa, aber auch eine Beziehung der absoluten Herrschaft mit seiner eigenen Frau. Richard ist sich seiner Hierarchie sehr bewusst: erst die weißen Männer, dann die Frauen, dann alles andere. Wer ist das wahre Monster?
Shape of Water hinterlässt ein hoffnungsvolles Gefühl, weit entfernt von anderen tragischen Filmen des Filmemachers. Guillermo del Toro lädt uns ein, Vorurteile beiseite zu lassen, diese Fantasie zu genießen, die ein Liebeslied auf das Anderssein, auf das Andere, etwas, das mehr als notwendig in unseren Tagen ist, voraussetzt.
Wenn ich an sie denke, fällt mir nur ein Gedicht ein.