Sensomotorische Zwangsstörung oder Hyperbewusstseinsstörung: Was ist das?
Die sensomotorische Zwangsstörung (auch Hyperbewusstheitszwangsstörung oder Hyperawareness-OCD) bewirkt, dass sich Betroffene zwanghaft auf körperliche Empfindungen konzentrieren, unter anderem auf die Atmung, das Schlucken oder den Herzschlag. Es ist etwa so, wie wenn man bei Reizhusten ständig an den Husten denkt und seine Gedanken nicht davon ablenken kann.
Dieser Zustand führt zu Erschöpfung und Angst, denn die inneren oder äußeren Stimuli nehmen die gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch. Es handelt sich um eine Subkategorie der Zwangsstörung, die sich sehr einschränkend auf das Leben der Patienten auswirkt. Erfahre heute Interessantes über die sensomotorische Zwangsstörung.
“Ich konzentriere mich ständig auf meinen Herzschlag. Ich weiß, dass das unnütz ist, kann dieses Verhalten jedoch nicht kontrollieren.”
Die sensomotorische Zwangsstörung: Definition und Merkmale
Der menschliche Körper ist ein außergewöhnliches Konstrukt: Er ist in der Lage, gleichzeitig verschiedenste Prozesse auszuführen, wobei wir uns über die meisten davon nicht bewusst sind. Wir müssen die Herzfunktionen oder die Verdauung nicht aktiv steuern oder kontrollieren, der Körper funktioniert ohne unser bewusstes Zutun.
Menschen mit einer Hyperbewusstseinsstörung konzentrieren sich jedoch bewusst auf bestimmte automatische Abläufe: Sie spüren jedes Blinzeln, hören jeden Herzschlag, fühlen jeden Kontakt mit einem Kleidungsstück oder nehmen jedes Ohrgeräusch wahr.
Die Universität Jyväskylä in Finnland hebt in einer Studie hervor, dass es sich um ein Zwangsverhalten handelt: Betroffene können ihre Gedanken von diesen Triggern nicht abwenden, sie haben keine Kontrolle über ihr Verhalten.
Sensomotorische Zwangsstörung: mögliche Symptome
Patienten mit dieser Zwangsstörung erleben bestimmte Körperempfindungen bewusst und so intensiv, dass dies ihr Alltagsleben stark beeinträchtigt. Wenn jede Schluck- oder Atembewegung die gesamte Aufmerksamkeit erfordert, ist es nicht mehr möglich, alltäglichen Aufgaben nachzukommen. Häufige Symptome der Hyperbewusstseinsstörung sind:
- Bewusste Wahrnehmung der Atmung (Betroffene fokussieren sich auf jeden einzelnen Atemzug)
- Bewusstheit über jedes Blinzeln (manche zählen jedes Blinzeln)
- Bewusste Schluckbewegungen und das Gefühl von Schluckbeschwerden
- Übertriebene Körperempfindungen (Wärmeempfindung, Juckreiz, Kribbeln…)
- Bewusster Herzschlag, Konzentration auf den Herzrhythmus und die Intensität
- Bewusste Wahrnehmung von Glaskörpertrübungen im Auge
- Bewusstheit über Verdauungsprozesse, Blähungen, Bauchschmerzen…
- Bewusste Ohrgeräusche (Tinnitus, Klingeln im Ohr…)
- Übertriebene Wahrnehmung von äußeren Geräuschen (Kaugeräusche anderer Personen, Verkehrsgeräusche, Musik…)
- Wahrnehmung von Gelenkknacken und das Bedürfnis, es zu wiederholen, um Ängste zu lindern
- Übertriebene Empfindungen durch Haar auf der Kopfhaut oder im Gesicht, das Gefühl, dass die Haare nicht an ihrem Platz sind oder dass sie ständig gekämmt werden müssen
Extreme Formen der Hyperbewusstheitsstörung können zu Psychosen führen.
Charakteristische Gedanken und Zwänge
Die Brown Medical School in Providence, USA, berichtet in einer Studie, dass diese Zwangsstörung schleichend beginnt und sich kontinuierlich entwickelt. Daraus kann eine ernste psychiatrische Krankheit entstehen, die sich unter anderem durch Psychosen äußert. Obwohl diese Störung auf einem Spektrum liegt, ist es möglich, dass sie das Leben stark einschränkt.
Wie bereits erwähnt, wurzelt die sensomotorische Zwangsstörung in einer übertriebenen Wahrnehmung von Körperempfindungen. Es kann jedoch so weit kommen, dass die betroffene Person ihren eigenen Körper als ein fremdes, störendes Element betrachtet, das sie verrückt macht. Die psychische Belastung der Zwangsgedanken kann enorm sein.
- Betroffene denken, dass ihr Körper aufhört zu funktionieren, wenn sie sich nicht auf bestimmte Prozesse konzentrieren.
- Sie werden besessen davon, die Anzahl der Empfindungen zu zählen.
- Manche fixieren sich auf einen bestimmten Finger, ein Auge oder ein Ohr, andere konzentrieren sich gleichzeitig auf mehrere Organe.
- Um ihre Aufmerksamkeit von den sensomotorischen Symptomen abzulenken, entwickeln sie Zwänge (sich wiederholende Verhaltensmuster oder Gedanken).
Noch ein interessanter Beitrag: Wie wirkt sich eine Zwangsstörung auf Beziehungen aus?
Sensomotorische Zwangsstörung: Was tun?
Die Zwangsstörung beginnt schleichend, es ist jedoch wichtig, bereits bei den ersten Symptomen ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese psychische Erkrankung kann zwar einen genetischen Ursprung haben, aber auch mit neurologischen, traumatischen und sozialen Faktoren zusammenhängen.
In einer Therapie erhalten Patienten Werkzeuge an die Hand, um Zwangsvorstellungen und reaktive Ängste abzubauen. Die übertriebene Wahrnehmung von Körperempfindungen muss reguliert werden, um ihnen zu helfen. Folgende Maßnahmen kommen bei dieser Art von Zwangsstörung zum Einsatz:
1. Psychoedukation
Die Patienten müssen verstehen, wie es zu einer Zwangsstörung kommt und wie sich diese auf ihren Alltag auswirkt. Die Psychoedukation ermöglicht es ihnen, durch besseres Verständnis zu lernen, dass keine Gefahr besteht, da der Körper autonom funktioniert.
Wenn ein Familienmitglied an einer Zwangsstörung leidet, ist die Gefahr, selbst daran zu erkranken, höher.
2. Expositions- und Reaktionspräventionstherapie (ERP)
Die Expositions- und Reaktionspräventionstherapie ist die nützlichste Therapie zur Behandlung von Zwangsstörungen und ihren Unterformen. Die Zeitschrift Psychology Research and Behavior Management hebt ihre Wirksamkeit hervor. Patienten lernen, mit ihren aufdringlichen Gedanken zu leben, ohne ihnen übermäßige Bedeutung beizumessen oder Zwangsverhalten zu entwickeln.
Diese Methode, die auf der kognitiven Verhaltenstherapie basiert, ermöglicht die Entwicklung eines flexibleren Geistes, der aufhört, diese Empfindungen als etwas Beunruhigendes wahrzunehmen.
3. Achtsamkeitsbasiertes Body Scanning
Die Body Scan Meditation ermöglicht es Patienten, sich zu entspannen, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Körperempfindungen lenken. Diese Methode fördert das Verständnis dafür, was im eigenen Körper passiert. Damit können Betroffene Ängste abbauen.
Sensomotorische Zwangsstörung: Ist Prävention möglich?
Sensomotorische Zwangsstörungen haben, wie das gesamte Spektrum der Zwangsstörungen, eine genetische Komponente. Wenn Familienmitglieder an dieser Krankheit leiden, besteht ein bestimmtes Risiko, sie auch selbst zu entwickeln. Eine Möglichkeit, nicht in diese Form der verzerrten Angst abzudriften, wäre, zu einer flexiblen und rationalen Denkweise beizutragen.
Es ist jedoch sehr schwierig, diese Erkrankung zu 100 % zu verhindern. Bei ersten Anzeichen solltest du unbedingt eine Fachkraft aufsuchen, um entsprechende Strategien zu entwickeln, die ernstere Probleme verhindern.
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