Mit zunehmendem Alter werden Menschen introvertierter
Stephen Hawking erwähnte einmal, dass stille Menschen die lautesten Gedanken haben. Die Innenwelt introvertierter Menschen ist spannend, interessant, fantasievoll und tiefgründig. Hinter ihrem stillen Wesen verbergen sich sensible, ehrliche, loyale, gewissenhafte und selbstständige Persönlichkeiten, die wir oft unterschätzen. Die Psychologin Susan Cain weist darauf hin, dass wir mit zunehmendem Alter introvertierter werden. Sie nennt dieses Phänomen die innere Reifung. Erfahre anschließend mehr darüber.
“Deine Visionen werden nur klar werden, wenn du in dein eigenes Herz schaust. Wer außerhalb schaut, träumt; wer im Innern schaut, erwacht.”
Carl G. Jung
Warum werden wir mit zunehmendem Alter introvertierter?
Je mehr Kerzen auf der Geburtstagstorte stehen, desto weniger Lärm brauchen wir um uns herum. Mit zunehmendem Alter sind wir weniger impulsiv, dafür jedoch nachdenklicher und introvertierter. Wir beschäftigen uns vermehrt mit unserer Innenwelt und beschränken uns auf den Kontakt zu Familie und den engsten Freunden. Junge Menschen hingegen sind deutlich offener für neue Bekanntschaften und Erfahrungen, auch wenn sie introvertiert sind, benötigen sie soziale Kontakte.
Mit der Zeit werden wir jedoch wählerischer und bevorzugen wenige, dafür jedoch tiefgehendere Freundschaften. Viele ziehen sich mit zunehmendem Alter zurück und entdecken ihre gewählte Einsamkeit als einen freundlichen Raum, den sie genießen.
“Wenn du Tiefe magst, zwinge dich nicht zur Breite.”
Susan Cain
Emotionale Stabilität und innere Reifung
In ihrem Bestseller Still: Die Kraft der Introvertierten¹ beschreibt Susan Cain die introvertierte Persönlichkeit und macht deutlich, wie wichtig sie für unsere Gesellschaft ist. Persönlichkeiten wie Gandhi, Darwin, Einstein oder Chopin haben durch ihre Introversion Meisterleistungen erzielt.
Vor ein paar Jahren veröffentlichte Susan Cain einen Artikel, in dem sie argumentiert, warum wir mit zunehmendem Alter introvertierter werden. Ältere Menschen entwickeln in der Regel mehr emotionale Stabilität. Sie brauchen nicht unbedingt einen Adrenalin- oder Dompaminkick, um sich lebendig zu fühlen. Vielmehr ziehen sie Ruhe und Gelassenheit den emotionalen Höhenflügen vor.
Das National Institute on Aging in Baltimore hat diese Tatsache ebenfalls in einer Forschungsstudie hervorgehoben. Ab dem mittleren Alter kommen wir der inneren Reifung näher. Das bedeutet, dass Freundlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Ausgeglichenheit und Selbstbeobachtung zunehmen. Viele der impulsiven Tendenzen verschwinden und machen der Mäßigung Platz.
Introvertiertheit in der Lebensmitte ist evolutionär sinnvoll
Wir verändern uns ständig und passen uns an neue Situationen an – auch unsere Persönlichkeit. Natürlich sind nicht alle Menschen mit zunehmendem Alter introvertierter, doch diese Tendenz ist auf jeden Fall zu beobachten. Susan Cain weist darauf hin, dass es einen ganz bestimmten Grund dafür gibt: Die Entwicklung einer größeren Introvertiertheit ist evolutionär sinnvoll und hat damit zu tun, dass wir unserem Leben einen Sinn geben. Während wir in der ersten Lebenshälfte wie Entdecker auf der Suche nach Erfahrungen und Lernerlebnissen sind, fördert die Reife andere Verhaltensweisen.
Wir verspüren nicht mehr den fast ständigen Wunsch, zu gesellschaftlichen Veranstaltungen zu gehen. Mit zunehmendem Alter haben wir eher das Bedürfnis, zu Hause zu sein und die Gesellschaft des Lebenspartners und der Familie zu genießen. Die Impulsivität nimmt ab und macht Platz für die Selbstbeobachtung, die uns hilft, einen tieferen Sinn im Leben zu finden. Diese Veränderungen ermöglichen uns ein befriedigendes und gesundes Altern. “
“Das Privileg deines Lebens ist es, zu werden, wer du wirklich bist.”
Carl G. Jung
Die Persönlichkeit kann sich ändern, das Temperament nicht
Die meisten von uns werden mit dem Alter introvertierter, da sich unsere Persönlichkeit im Laufe der Zeit verändert. Unser Temperament jedoch nicht, denn es beschreibt die angeborene Veranlagung, die unsere Stimmung und Motivation steuert. Extrovertierte Menschen werden deshalb auch im Alter gesellig sein, jedoch nicht mehr so stark wie in jungen Jahren. Es handelt sich um einen Reifeprozess, der Vorteile für die geistige Gesundheit hat.
Literaturempfehlung
- Still: Die Kraft der Introvertierten, Susan Cain, Goldmann 2013
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Harris MA, Brett CE, Johnson W, Deary IJ. Personality stability from age 14 to age 77 years. Psychol Aging. 2016 Dec;31(8):862-874. doi: 10.1037/pag0000133. PMID: 27929341; PMCID: PMC5144810.
- Roberts BW, Mroczek D. Personality Trait Change in Adulthood. Curr Dir Psychol Sci. 2008 Feb 1;17(1):31-35. doi: 10.1111/j.1467-8721.2008.00543.x. PMID: 19756219; PMCID: PMC2743415.