Menschen, die keine freie Minute haben

Manche Menschen verhalten sich so, als ob sie gegen Ruhephasen allergisch wären. Sich eine Auszeit zu nehmen oder einfach im Moment zu sein, erzeugt bei ihnen Stress. Heute schauen wir einmal hinter die Kulissen dieses weit verbreiteten Problems.
Menschen, die keine freie Minute haben
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 24. April 2023

Manche Leute haben keine freie Minute, weil sie das bewusst nicht wollen. Sie vermeiden Ruhephasen ganz absichtlich oder ziehen ihrer Arbeit oder der Welt fast niemals “den Stecker”. Ob du dich mit diesem Persönlichkeitstyp identifizieren kannst oder auch nicht – in dieser schnell getakteten Welt, in der wir leben, kommen diese Menschen häufiger vor, als du denkst. Einige unter uns haben direkt Angst davor, stehenzubleiben. Sie fühlen sich nicht wohl, wenn sie nichts zu tun haben. Auch kennen sie das Gefühl nicht, einfach nur “zu sein” und ein paar Minuten friedlich und harmonisch verstreichen zu lassen.

Vielleicht sagen jetzt manche, dass das vom persönlichen Charakter abhängt. Das stimmt auch bis zu einem gewissen Maße. Es gibt einen bestimmten Typus Mensch, der aktiver ist als andere und gerne einen prall gefüllten Terminkalender hat. Diesen Menschen fallen ständig neue Dinge ein, sie sind schöpferisch und dauernd am Planen. Diese Neigung kann aber auch zu Problemen führen.

Manche Leute halten es einfach nicht aus, nichts zu tun, weil sie dann zum Nachdenken kämen. Es ist nicht immer angenehm oder entspannend, sich mit seinem Wesenskern zu beschäftigen. Wenn ein Termin den anderen jagt, ist das eine mögliche Vermeidungsstrategie, um mit sich selbst keine Zeit verbringen zu müssen.

Eine Person am Schreibtisch entwirft einen Plan und hat keine freie Minute..

Leute ohne freie Minute

In unseren modernen Zeiten hört man die Menschen ständig Sätze sagen wie “Ich habe für gar nichts mehr Zeit” oder “Ich habe nicht genug Zeit, um alles zu schaffen, was ich tun müsste”. Es ist ganz normal, dass wir uns die Tage mit Aufgaben und Verantwortlichkeiten voll packen. Man könnte auch sagen, dass einige von uns fast schon damit angeben, vollkommen ausgebucht zu sein – als wäre das ein Beweis dafür, dass man wichtig ist.

Beschäftigt zu sein und voll im Stress zu sein wird als Normalität akzeptiert. Müßiggang wird zunehmend als verdächtig eingestuft. Wir neigen dazu, eine Person zu verurteilen, die nichts tut, eine langsamere Gangart anschlägt und sich selbst Freizeit gönnt.

Wie dem auch sei: Diejenigen unter uns, die sich eine entspannende Auszeit gönnen, haben kein Problem damit. Sie sind keine verantwortungslosen Menschen, die in den Tag hinein leben. Sie sind vielmehr Menschen, für die Lebensqualität wichtig ist. Darum legen eher diejenigen ein ernsthaft problematisches Verhalten an den Tag, die ihre To-Do-Listen und farblich markierten Kalender über alles stellen.

Wenn das Nichtstun Sorge und Beklemmung auslöst

Das Wort “Nichtstun” führt vielleicht ein wenig in die Irre. Manchmal bezieht es sich wirklich darauf, dass du dich vor deinen Pflichten drückst und nicht das tust, was andere von dir erwarten. Wenn du aber dieses Wort benutzt, um über Ruhephasen zu sprechen, dann steht “Nichtstun” eigentlich dafür, dass du etwas Wichtiges, Gesundes und sogar Produktives tust.

  • Das “Nichtstun” bekommt eine Bedeutung verliehen und hat sogar schon etwas Metaphysisches, wenn du zum Beispiel liest, dich ausruhst, gute Gespräche führst und die Landschaft genießt. Bei vielen Menschen kann es allerdings auch Sorge und Beklemmung auslösen.
  • Leute, die keine freie Minute haben und immer etwas erledigen müssen, wissen nicht, wie man sich entspannt.
  • Sogar ein einfaches Hinsetzen – ohne dass man irgendwelche Pflichten erfüllen müsste – erzeugt Angstgefühle.
  • Diese Menschen fühlen sich nicht nur nicht unproduktiv, sondern sind geradezu überwältigt von der Vorstellung, dass sie etwas falsch machen oder jemanden anderen im Stich lassen.
  • Ruhezeiten sind auch eine Einladung dazu, sich wieder mit sich selbst zu verbinden. Wenn du das Ausruhen zu einer täglichen Gewohnheit machst, kann dir das langfristig guttun. Wie wir allerdings bereits sagten, fühlen sich viele Leute nicht besonders wohl dabei, ihre inneren Welten zu erforschen.

Manchmal brauchen die Probleme Aufmerksamkeit, die wir in die hintersten stillen Winkel unseres Wesenskerns verdrängt haben. Wenn du nicht auf sie eingehst, werden sie nicht von alleine verschwinden. Da bringt es auch nichts, wenn du dich hinter Bergen von Arbeit versteckst.

Keine freie Minute: Schnell getaktete Welt – schnell getaktetes Hirn

Ganz leicht gerät man in eine Lebensweise hinein, wo es normal ist, ständig beschäftigt zu sein. Warum ist das problematisch? Aus vielerlei Gründen: Du machst es zur Normalität, dass du deine Freizeit nicht mehr genießen kannst. Du baust außerdem ein Fundament für potenzielle Angstgefühle.

  • Manche Leute fahren in den Urlaub und versuchen, sich beschäftigt zu halten. Dann fühlen sie sich tüchtig und sogar produktiv. Sie glauben schlussendlich, dass sie genau das tun, was sie tun “sollten” und entsprechen damit den Erwartungen einer extrem fordernden Gesellschaft.
  • Diese Situationen fahren dein Gehirn im Nu von null auf hundert. Du kannst dich nicht entspannen, weil du auf innere Stille allergisch bist. Du weißt nicht, wie du den gegenwärtigen Augenblick genießen kannst. Bei Angstgefühlen geht es schließlich nur um die nächsten anstehenden Dinge und den Druck, der am morgigen Tag auf dich zukommt.
Ein Teddybärchen kippt von einem Kopfkissen.

Menschen, die keine freie Minute haben, verstehen nicht, dass Ruhe für ihre Gesundheit dringend notwendig ist

Lass dich von den Leuten nicht täuschen, die den Anschein erwecken, keine Freizeit zu haben. Bloß weil sie die ganze Zeit arbeiten, heißt das nicht, das sie produktiver sind. Sie sind auch nicht schlauer oder glücklicher, weil sie mehr Zeit auf Aktivitäten verwenden. Eigentlich ist ein durchgeplantes Leben ohne Freizeit ein Rezept zum Unglücklichsein. Womöglich entwickelt man auch psychische Erkrankungen wie etwa Angststörungen und Depressionen.

Ruhezeiten sind gesund. Ein paar Augenblicke am Tag nichts zu tun, kann unglaublich heilsam sein. Warte nicht auf den nächsten Urlaub, um dich auszuruhen. Zwei oder drei Tage Auszeit können dir dabei helfen, “runterzukommen”, die Batterien neu aufzuladen und deine Kreativität zu steigern. Das “Nichtstun” hat positive Auswirkungen auf deine geistige Gesundheit.

Die Zeit ist reif, um deine Einstellung radikal zu verändern. Wenn du ohne Pause Dinge erledigst, kann das kontraproduktiv werden. Du brauchst auch Qualitätszeit für dich selbst. Wenn du immer beschäftigt bist, wirst du nie die hohe Kunst des Nichtstuns für dich entdecken.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.