Loben, statt Fehler hervorzuheben
Oft konzentrieren wir uns auf Fehler, was recht traurig ist. Diese Tendenz ist gekennzeichnet durch die Versuchung, uns mit unseren vergangenen Misserfolgen immer wieder auseinanderzusetzen und zu quälen. Wir grübeln immer wieder darüber nach, während wir die Fehler vor unserem inneren Auge Revue passieren lassen. Es fällt uns schwer, uns selbst oder andere zu loben, anstatt alle Irrtümer mit dem roten Stift zu markieren.
Diese Tendenz verwandelt unsere kleinsten Fehler in die schwersten Verstöße und liefert den ultimativen Beweis für unsere Inkompetenz. Wir schwingen diese Peitsche über unserem Kopf und sind sehr geschickt darin, uns selbst und andere zu geißeln. Und wir tun das nur, um später zu versuchen, diese Wunden wieder mühevoll zu pflegen.
Viele sind Experten darin, sich selbst zu foltern, sowohl privat als auch in der Öffentlichkeit. In der Schule wird ihnen nicht beigebracht, ihre Gefühle so zu managen, dass sie eine positive Grundhaltung einnehmen können. Statt sich selbst zu loben, wird immer wieder zum Rotstift gegriffen. Denn wir bemerken lieber unsere Misserfolge und die unserer Mitmenschen, als Erfolge zu feiern.
Loben in der Kindheit
Lehrer lenken die Aufmerksamkeit der Schüler auf ihre Fehler. Wenn wir nicht gut in Mathe sind und eine schlechte Note in diesem Fach nach Hause bringen, werden wir wahrscheinlich den Sommer damit verbringen, für Mathe zu pauken. Dabei bleiben andere Fächer wie Englisch auf der Strecke. Immerhin haben wir dort gute Noten erzielt.
Ich war auch einmal Schüler. Jetzt bin ich Lehrer. Ich habe Hunderte von Schülerarbeiten gesehen, bei denen einzig und allein die Fehler hervorgehoben wurden. Es war egal, ob die Arbeit sonst gut strukturiert oder originell war. Stattdessen scheint das Einzige, was hervorsticht, ein kleiner Rechtschreibfehler, ein Fehler in der Rechnung oder ein vergessenes Satzzeichen zu sein.
Loben ist eine Haltung
So prägen uns unsere Fehler. Aber die Idee, die ich teilen möchte, ist eine andere. Unsere Alternative ist eine attraktivere und anregendere Lernmethode.
In diesem Fall heben wir nämlich die Erfolge, Verbesserungen und Ergebnisse unserer Bemühungen und der unserer Mitmenschen hervor. Statt eines Rotstifts, der Fehler unterstreicht, setzen wir lieber einen grünen Stift an, um uns und andere zu loben.
Wir verwenden alle gerne einen roten Stift: Dein Partner hat gut für dich gekocht und aufgeräumt, doch du siehst als Erstes, dass er das Bett nicht gemacht hat. Kommt dir dies bekannt vor? Ob das Glas halb voll oder halb leer ist, ist nicht nur eine Frage von Pessimismus oder Optimismus. Es handelt sich um einen Filter, durch den wir unsere Umwelt betrachten.
Erwachsene verwenden Rotstifte auch gerne, wenn sie das Verhalten ihrer Mitmenschen bewerten. Wäre es nicht viel wichtiger, die guten Dinge hervorzuheben?
Ob wir den Rotstift ansetzen oder lieber loben, sagt viel darüber aus, wie wir andere und wie wir uns selbst behandeln. Wir denken vielleicht, Großzügigkeit sei eine erstrebenswerte Eigenschaft, ohne es selbst zu sein.
Vielleicht bewundern wir Leute, die andere motivieren und trösten – was ist also so schwer daran, es selbst zu tun? Warum ist es so schwer, andere zu loben statt ständig auf ihre Fehler hinzuweisen?