Kognitive Dissonanz bei narzisstischem Missbrauch

Bei Opfern von narzisstischem Missbrauch entsteht eine kognitive Dissonanz, die dazu führt, dass sie den Schaden, den sie erleiden, rechtfertigen und rationalisieren. Finde heraus, wie dieser psychologische Mechanismus funktioniert.
Kognitive Dissonanz bei narzisstischem Missbrauch
Elena Sanz

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Elena Sanz.

Letzte Aktualisierung: 08. März 2023

Missbräuchliche Beziehungen sind leider keine Seltenheit. Trotz Manipulation, Lügen und Erniedrigungen schaffen es viele nicht, aus dieser Situation auszubrechen. Wir fragen uns, warum sich Betroffene nicht bewusst sind, dass ihnen ihr Partner intensives Leid zufügt. In Wahrheit weiß die Person, dass sie in einer toxischen Beziehung gefangen ist, doch verschiedene Mechanismen halten sie trotzdem fest. Die kognitive Dissonanz ist einer dieser Faktoren: Die Unvereinbarkeit von Wunsch und Realität oder die sich gegenseitig ausschließende Wahrnehmung verursacht unüberwindbare negative Gefühlszustände.

Bei narzisstischem Missbrauch spielt die kognitive Dissonanz eine wesentliche Rolle. Sie ist jedoch auch in vielen anderen Situationen zu beobachten – wir alle erleben sie unter anderem, wenn wir Entscheidungen treffen. Erfahre heute, warum dieser Zustand viele in einer missbräuchlichen Beziehung festhält.

Kognitive Dissonanz bei narzisstischem Missbrauch
Die kognitive Dissonanz hält viele in toxischen Beziehungen gefangen.

Kognitive Dissonanz: Was ist das?

Leon Festinger¹ prägte den Begriff der kognitiven Dissonanz 1957. Er beschreibt damit den Widerspruch zwischen den Gedanken, Gefühlen und Handlungen einer Person. Du weißt beispielsweise, dass Sport wichtig für deine Gesundheit ist, bleibst jedoch trotzdem auf dem Sofa sitzen. Oder du rauchst, obwohl du die Konsequenzen kennst. Wir sind Meister darin, Fakten zu verbiegen und theoretisches Wissen in der Praxis zu ignorieren. 

Verschiedene Mechanismen helfen dir in dieser Situation, Spannungen abzubauen und ein inneres Gleichgewicht herzustellen. Entweder veränderst du dein Verhalten, oder deine Gedanken. Du fühlst dich besser, wenn du Sport treibst oder mit dem Rauchen aufhörst. Allerdings erfordert diese Entscheidung große Willenskraft, deshalb versuchst du zunächst, die Situation zu rechtfertigen oder zu rationalisieren. Du redest dir ein, dass Sport überbewertet wird, oder dass du nächste Woche mit dem Rauchen aufhören wirst (obwohl du weißt, dass es immer bei der nächsten Woche bleibt).

Wir neigen dazu, die Option mit dem geringsten Aufwand oder Leid zu wählen. Es handelt sich um einen unbewussten Selbstbetrug, der uns in toxischen Verhaltensmustern gefangen halten kann, ohne die Dissonanz zu spüren.

Kognitive Dissonanz bei narzisstischem Missbrauch

Eine missbräuchliche Beziehung mit einem Narzissten kann die kognitive Dissonanz aktivieren. Wenn sich das Opfer darüber bewusst wird, dass es manipuliert, angelogen und gedemütigt wird, entstehen intensive psychische Spannungen. Logisch wäre in diesem Fall, die Beziehung zu beenden. Doch das ist nicht so einfach, den verschiedene Faktoren – die für Außenstehende unerklärlich scheinen – halten sie davon ab.

Selbsthinterfragung

Viele stellen sich in dieser Situation selbst infrage. Sie glauben, dass sie übertreiben und rechtfertigen das Verhalten des Partners oder der Partnerin. Es mangelt ihnen an Selbstvertrauen und Urteilsvermögen, was durch Manipulation und Gaslighting verstärkt wird.

Geringes Selbstwertgefühl

Ein geringes Selbstwertgefühl gibt dem Opfer das Gefühl, dass es eine derartige Behandlung verdient. Es kann sogar glauben, dass das Liebe ist. Betroffene führen die Grausamkeit, die Gefühllosigkeit oder die Verletzungen, die ihnen ihr Partner zufügt, oft auf ihr eigenes Verhalten zurück. Sie übernehmen die Verantwortung für den Missbrauch. 

Hohe Investitionen in die Beziehung

Hohe Investitionen sind ein weiteres Schlüsselelement, das das Opfer daran hindert, die Beziehung zu beenden. Nach überschwänglicher Liebe, welche die Person gefangen nimmt, nährt diese Situation die kognitive Dissonanz. Betroffene haben viel Zeit, Energie und Liebe investiert, bevor sie sich bewusst werden, dass es sich um eine toxische Beziehung handelt. Sie sind in eine Abhängigkeit geraten, die emotional oder auch finanziell sein kann. Deshalb ist es sehr schwierig, Schluss zu machen.

Das Opfer hat Zweifel und sieht den Schaden, doch es weiß nicht, was tun. Die kognitive Dissonanz verleitet die betroffene Person dazu, Entscheidungen zu treffen, um die innere Kohärenz wiederherzustellen. Ein Ausstieg ist zu kostspielig, deshalb rechtfertigt und entschuldigt sie das Verhalten des Partners: “Er behandelt mich so, da er verletzt ist”, “Er wird sich ändern”, “Wir haben auch gute Zeiten”, “Alle Paare streiten sich”… Alle diese Rechtfertigungen sollen innere Spannungen abbauen, halten das Opfer jedoch in der toxischen Situation fest und stellen eine Gefahr dar.

Kognitive Dissonanz in einer toxischen Beziehung
Narzissten investieren zu Beginn der Beziehung oft viel Energie, um die Abhängigkeit der anderen Person sicherzustellen. Dies ist eine Strategie, um den Partner in die Falle zu locken und zu verwirren.

Kognitive Dissonanz bei narzisstischem Missbrauch erkennen

Der Prozess der Rechtfertigung und des Selbstbetrugs ist meist unbewusst. Es ist grundlegend, sich über narzisstische Mechanismen bewusst zu sein, um eine Abhängigkeit zu verhindern. In der Regel ist eine Psychotherapie zu empfehlen, um diese Situation zu überwinden und zu verstehen, wie kognitive Dissonanz und die Manipulation in einer narzisstischen Beziehung funktionieren.

Literaturempfehlung

  1. Die Theorie der kognitiven Dissonanz, Leon Festinger, Hogrefe 2019

Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • Festinger, L. (1962). A theory of cognitive dissonance (Vol. 2). Stanford university press.
  • Howard, V. (2019). Recognising narcissistic abuse and the implications for mental health nursing practice. Issues in mental health nursing.

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.