Ist nach Missbrauch eine gesunde Beziehung möglich?

Missbräuchliche Situationen hinterlassen tiefe Wunden und prägen auch in der Zukunft ungesunde Bindungsstrukturen. Dies kann eine wahre Herausforderung in einer Beziehung sein.
Ist nach Missbrauch eine gesunde Beziehung möglich?
Elena Sanz

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Elena Sanz.

Letzte Aktualisierung: 23. November 2022

Jede Lebenserfahrung prägt uns, doch physischer oder psychischer Missbrauch und Traumata haben oft tiefgehende Auswirkungen, die ernste Spuren im Gehirn hinterlassen und den Umgang mit anderen Menschen beeinträchtigen. Es ist schwierig, diese einschneidenden Ereignisse zu verarbeiten und zurückzulassen, deshalb ist es auch nicht einfach, danach eine neue Beziehung aufzubauen.

Viele Personen flüchten von einer Beziehung zur nächsten, wobei sich das Bindungsmuster immer wieder wiederholt. Warum tappen sie immer wieder in dieselbe Falle – für Außenstehende mag es schwierig sein, diese Situation zu verstehen. Hat die Person einfach nur Pech oder ist sie nicht fähig, aus ihren Fehlern zu lernen? Die Realität ist viel komplexer und schmerzhafter.

Ist nach Missbrauch eine gesunde Beziehung möglich?
Missbrauch in der Kindheit kann sich sehr negativ auf Beziehungen im Erwachsenenalter auswirken.

Nach Missbrauch bist du nie wieder dieselbe Person

Kinder sind besonders verletzlich, denn ihr Gehirn befindet sich noch in der Entwicklungsphase. Sie benötigen viel Aufmerksamkeit, Zuneigung und Fürsorge, um ihre Fähigkeiten und Kapazitäten auf gesunde Weise entfalten zu können. Kommt es zu Missbrauch, sind diese Voraussetzungen nicht gegeben.

Studien haben nachgewiesen, dass Missbrauch die Gehirnentwicklung beeinträchtigen und die Gehirnarchitektur verändern kann. Mithilfe der Magnetresonanztomographie stellten sie fest, dass die Gehirne von in der Kindheit missbrauchten Personen im Vergleich mit der Kontrollgruppe Unterschiede in neun kortikalen Regionen aufweisen. Das hat verschiedene Konsequenzen:

  • Schwierigkeiten beim emotionalen Management, Verhaltensprobleme und mangelnde Impulskontrolle
  • Sozio-perzeptive Defizite
  • Unfähigkeit, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Introvertiertheit und Extrovertiertheit herzustellen
  • Beeinträchtigte exekutive Funktionen
  • Erhöhtes Risiko für Drogenkonsum und bestimmte psychische Störungen im Erwachsenenalter

Ferner verändert sich nach Missbrauch – unabhängig vom Alter oder der Situation, in der dieser stattfindet – die neurobiologische Reaktion auf Stress, was sich auch auf neue Beziehungen auswirkt.

Ist eine gesunde Beziehung nach Missbrauch möglich?

Natürlich gibt es immer Wege, keine Erfahrung ist eine Verurteilung: Verschiedene Therapien helfen, Traumata aufzuarbeiten, damit die betroffenen Personen ihre Lebensqualität wieder zurückerlangen. Auch die Unterstützung durch das Umfeld ist maßgeblich, um Missbrauchserfahrungen zu bewältigen.

Trotzdem haben viele Opfer auch in ihren späteren Beziehungen Probleme. In diesem Zusammenhang haben verschiedene Untersuchungen ergeben, dass Kinder, die vor ihrem zwölften Lebensjahr in der Familie missbraucht wurden, ein größeres Risiko haben, in der Jugend Mobbing und Aggressionen von Gleichaltrigen zu erleben.

Andererseits zeigen verschiedene Studien, dass misshandelte Kinder im Erwachsenenalter ein größeres Risiko haben, Gewalt durch ihren Partner zu erleben und selbst zu verüben. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Unsichere Bindung

Missbrauch in der Kindheit führt zu einem unsicheren Bindungsstil, da das Kind von seinen Bezugspersonen keine Liebe und Sicherheit erhält. Es kann sich eine vermeidende oder ambivalente Bindung und in schweren Fällen auch eine desorganisierte Bindung entwickeln.

Dies wirkt sich negativ auf das Selbstbild des Kindes aus, auf seine Fähigkeit, anderen zu vertrauen und seine Gefühle zu managen. Defizite in diesem Bereich beeinträchtigen zweifellos im Erwachsenenalter die Fähigkeit, gesunde Bindungen einzugehen.

Beschädigtes Selbstwertgefühl

Die psychischen Folgen sind nach Missbrauch in jedem Alter erheblich. Manipulation und Aggression verletzen das Selbstwertgefühl des Opfers zutiefst und verursachen ernsthafte Vertrauensprobleme. Sich mit diesem emotionalen Gepäck auf eine neue Beziehung einzulassen, ist eine Herausforderung, die in den meisten Fällen zu Schwierigkeiten führt.

Missbrauch wird zur Gewohnheit

Durch missbräuchliche Situationen werden Chaos, Unvorhersehbarkeit und Stress zur Gewohnheit: Das Opfer lernt, damit umzugehen und glaubt, dass das normal ist. Dies wird in zukünftigen Beziehungen oft zum Verhängnis. Es handelt sich nicht um eine bewusste Entscheidung, doch betroffene Personen haben die Tendenz, sich für schmerzhafte, schädliche Partnerschaften zu entscheiden.

Die Person folgt unbewusst vertrauten Verhaltensmustern und gerät in ähnliche Dynamiken, wie sie bereits erlebt hat. In diesem Zusammenhang gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Männer scheinen in ihren Beziehungen eher die Rolle des Gewalttäters einzunehmen, während Frauen dazu neigen, sich an Männer zu binden, die sie erneut zum Opfer machen. Es gibt natürlich auch Ausnahmen.

Frau weint nach Missbrauch
Menschen, die in ihrer Kindheit psychischen Missbrauch erleben, wiederholen im Erwachsenenalter oft ähnliche Verhaltensmuster.

Verarbeitung des Traumas vor neuen Beziehungen

Opfer von Missbrauch jeglicher Art sind einem größeren Risiko ausgesetzt, in Zukunft erneut Opfer zu werden. Sie fühlen sich zum Teil in gesunden Beziehungen und Dynamiken unwohl, da sie nicht daran gewöhnt sind.

Sie benötigen psychologische Unterstützung, um ihr Trauma zu bewältigen und emotionale Wunden zu heilen. Erst dann sind sie bereit, eine neue Beziehung einzugehen, die auf gesunde Strukturen aufbaut.


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