Hollywood: Eine bekannte Geschichte, neu erzählt
In nur sieben Folgen gelang es Hollywood, die Geschichte neu zu schreiben. Diese neue Netflix-Serie von Ian Brennan und Ryan Murphy hat die Kritiker in zwei Lager gespalten. Entweder lieben oder sie hassen die Serie. Viele Menschen glauben, dass es sich um eine oberflächliche und beinahe wahnhafte Neuerzählung einer von Glamour und Ungleichheit gekennzeichneten Ära handelt.
Hollywood versetzt dich zurück in das goldene Zeitalter der Stadt der Stars, in dem das Kino die höchste Form der Unterhaltung war. Diese Serie lädt auf eine Reise in das Hollywood der 1940er und 1950er ein, zu jenen Orten, an denen Träume auf Filmstreifen wahr zu werden schienen und die Stars wie Götter waren.
Allerdings waren hinter all dem Glitzer und Glamour einige dunkle Realitäten verborgen. Der Beginn der Serie führt dich in eine grausame, vergängliche und ungerechte Welt. Er vermittelt eine Vorstellung davon, wie die Oscars heute wären, wenn du wirklich die Geschichte neu schreiben könntest. Denn in der Stadt der Träume kann sich jeder eine unterschiedliche Welt ausmalen.
Palimpsest: Wahrheit und Lügen
Wenn wir sagen, dass Hollywood eine Neuerzählung ist, dann meinen wir, dass es eine neue Geschichte vor einem wahren Hintergrund erzählt. Daher könnte das Konzept eines Palimpsets eine genauere Beschreibung dafür liefern. Ein Palimpsest ist ein Manuskript, das abgeschabt wurde, um es anschließend wieder neu beschreiben zu können. Dennoch behält es aber einige Spuren des ursprünglichen Inhaltes bei.
Wenn du darüber nachdenkst, wirst du vermutlich erkennen, dass jede Geschichte, die auf realen Ereignissen beruht, gewisse Element eines Palimpsests beinhaltet. Denn schließlich hindert ein realer Hintergrund die Fiktion oder die Fantasie nicht daran, den Dingen eine eigene Dynamik zu verleihen.
Im Fall von Hollywood kannst du klar erkennen, dass diese Ära neu erzählt wird. Es war eine Zeit, in der ein hübsches Gesicht und ein gutes Image viel wichtiger waren als die Qualität eines Schauspielers oder einer Schauspielerin. Darüber hinaus finden sich einige wohlbekannte Charaktere wie Rock Hudson und Vivien Leigh. Dennoch ist das meiste von dem, was du sehen wirst, reine Fiktion.
Hollywood: Ein märchenhaftes Ende
Die Fans von Ryan Murphy wissen, dass der Regisseur und Drehbuchautor ein großer Fan der goldenen Ära Hollywoods ist. Die Schauspielerin Bette Davis mag er ganz besonders. Im Jahr 2017 brachte er tatsächlich eine der berühmtesten Hollywood-Fehden in seiner Serie Feud – Die Feindschaft zwischen Bette und Joan auf die Bildschirme.
Das könnte auch der Grund dafür sein, dass einige Zuschauer und Kritiker eine beißendere Kritik am “goldenen Zeitalter” und der Filmindustrie erwartet hatten. Obwohl Murphy in Feud – Die Feindschaft zwischen Bette und Joan Freude an der Kulisse und seinen Schauspielern hatte, richtete er den Blick dennoch direkt auf diejenigen, die für diese Fehde verantwortlich waren. Daher ist diese Serie eine harte Kritik an der gesamten Filmindustrie.
Hollywood ist allerdings ganz anders. Die Geschichte kann auf unzählige Arten neu erzählt werden. Du kannst viele tatsächliche Geschehnisse aufgreifen oder du erfindest sie vollkommen neu.
Daher erinnert Hollywood viele Menschen möglicherweise an Tarantinos neuesten Film Once Upon a Time in Hollywood. Nicht nur, weil beide von der Filmindustrie handeln, sondern auch, weil sie beide mit einer tragischen und wahren Geschichte beginnen und dieser dann ein märchenhaftes Ende geben.
Hollywood ist nicht mehr als genau das: ein Märchen. Die Kritik, die die Serie an der Vergangenheit übt, ist subtil und indirekt. Sie liegt in der Art und Weise, wie die Geschichte die Vergangenheit verändert; in dieser poetischen Gerechtigkeit, welche unsere Gegenwart für immer verändern würde. Obwohl diese Serie zu zahlreichen Kontroversen geführt hat, loben Kritiker und das Publikum ihre Atmosphäre und die Inszenierung.
Was wäre, wenn…
Was wäre, wenn die Dinge anders gewesen wären, wenn Homosexualität kein Problem gewesen wäre, Stars ihr Leben ohne Konsequenzen hätten leben können und wenn es keinen Rassismus geben würde?
Vielleicht ist es für das heutige Publikum kein unerreichbares Ziel, einen Film im Kino anzusehen und die Leben der Stars werden nicht mehr so übermäßig stark idealisiert. Wir leben in einer Welt, in der beinahe alles über das Privatleben von Menschen öffentlich bekannt ist. Daher wissen wir, dass unsere Idole nicht perfekt sind.
Außerdem sind sie vermehrt dazu bereit, auch über ihre Unvollkommenheiten zu sprechen. Die heutigen Stars nutzen ihre Popularität und ihren Einfluss, um Probleme wie psychische Gesundheit, Essstörungen usw. zu thematisieren. Allerdings waren die Filme in den 1950er Jahren die beliebteste Form der Unterhaltung. Daher boten sie die perfekte Plattform, um die geltenden Normen zu verstärken.
Das führte dazu, dass sich die Filmstars jener Zeit dazu verpflichtet fühlten, alles zu verbergen, was nicht mit den geltenden sozialen Standards übereinstimmte. Beispielsweise ihre sexuelle Orientierung. Obwohl es stimmt, dass die geltenden Schönheitsideale nach wie vor relativ starr sind, erleben wir eine Bewegung, die das Ziel verfolgt, diese aufgezwungenen Ideale zu enttarnen und zu eliminieren.
Daher spielt Hollywood in einer Zeit, in der alles im Verborgenen stattfand. Eine Welt, in der Chancengleichheit nichts weiter als ein Traum war, den du noch nicht einmal in einem Film sehen konntest.
Die Geschichte von Jack
Das Interessante ist, dass die Serie die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der wie so viele andere das Gefühl hat, er hätte in dieser Traumfabrik eine Chance. Der junge Mann heißt Jack und er ist ein Kriegsveteran, dessen Frau mit Zwillingen schwanger ist. Weit davon entfernt, seinen Charakter zu idealisieren, kannst du sehen, in welch scharfem Kontrast seine finanziellen Probleme zu seinen Träumen stehen, ein großer Star zu werden.
Umgeben von Hyänen, jenen Agenten, die glauben, dass sie ihre Klienten und deren Leben besitzen würden, und Frauen, die im Schatten ihrer Männer leben, müssen die Charaktere der Serie um ein Projekt kämpfen, das allen Standards der Filmindustrie widerspricht.
Ein Film, der von Träumern gemacht wurde
Das besagte Projekt nennt sich Peg, später Meg und ist ein Film, der von einem afro-amerikanischen Mann geschrieben wurde. Wie Hollywood selbst ist die Geschichte ein Palimpsest, das auf der wahren Geschichte von Peg Entwistle beruht. Sie war eine junge gescheitere Schauspielerin, die durch einen Sprung vom H des Hollywood-Schriftzuges Selbstmord begangen hatte.
Dieses Projekt bestätigt die Standards der Filmindustrie und zeigt die dunkelsten Seiten Hollywoods. Außerdem ist es wichtig zu erwähnen, dass die Hauptdarstellerin Camille eine farbige Frau ist. Bis zu diesem Film bedeutete ihre Hauptfarbe automatisch, dass sie die Rolle eines Dienstmädchens oder einer Hausangestellten spielen musste.
Dieser Kontext wird in der Serie hervorragend dargestellt und erinnert den Zuschauer an Vom Winde verweht, denn auch in diesem Film waren die farbigen Schauspieler und Schauspielerinnen dazu gezwungen, die Rollen der Dienstboten zu spielen. Aber was noch viel schlimmer war: Sie mussten die Comic-Versionen ihrer Rollen spielen.
Hollywood: poetische Gerechtigkeit
Hollywood entpuppt sich als Märchen mit einem Sinn für poetische Gerechtigkeit. Es schreibt die Geschichte neu, um das Böse zu bestrafen und Gerechtigkeit und Gleichheit zu belohnen. Wir sehen Rock Hudson, der sein Leben öffentlich leben kann. Darüber hinaus wird eine farbige Schauspielerin für ihre Hauptrolle mit dem Oscar prämiert und eine Frau ist Regisseurin in einem renommierten Filmstudio.
Außerdem thematisiert die Serie die Rassenthematik: mit Raymond, einem jungen asiatisch-stämmigen Filmemacher, der kaum “asiatisch aussieht”. Aufgrund seines neutralen Aussehens genießt Raymond gewisse Privilegien, die andere Asiaten nicht haben.
Darüber hinaus ist es auch interessant, über das Thema Sexarbeit nachzudenken. Filme und Fernsehserien zeigen männliche Sexarbeiter meist auf komödiantische Weise. Wenn Frauen Sexarbeiterinnen sind, erhält das Thema mehr Ernsthaftigkeit.
Daher mag der Eindruck entstehen, dass Hollywood das Problem männlicher Sexarbeiter auf oberflächliche und “nette” Weise thematisiert. Allerdings solltest du bedenken, dass die Serie das Thema vorbehaltlos präsentiert. Ohne sich dabei extrem komödiantischer oder tragischer Mittel zu bedienen. Mit anderen Worten, die Rollen wurden neu geschrieben und zeigen, dass für viele Filmstars der einzige Weg, an die Spitze zu gelangen, darin bestand, ihren Körper für Sex zu verkaufen.
Hollywoods Kritik an Hollywood
Hollywood ist ein Märchen. Allerdings bedeutet das nicht, dass es keine Kritik übt. Beispielsweise thematisiert die Serie Sexarbeit und schauspielernde Agenten. Ein Highlight ist Jim Parsons, der sich von dem Sheldon Cooper entfernt, den jeder kennt. Wir sehen die andere und historisch belegte Seite eines Mannes, der uns aus heutiger Sicht an Harvey Weinstein erinnert.
Die übergeordnete Botschaft ist die, dass aktiv werden und handeln das einzige ist, was die Zukunft verändern wird. Wenn das Hollywood der 1950er Jahre dazu in der Lage gewesen wäre, ein Projekt wie Meg zu einem Erfolg zu machen, würden wir heute in einer völlig anderen Gegenwart leben.
Ob du die Serie nun magst oder nicht, die Fantasie von Hollywood erinnert den Zuschauer daran, dass der Kampf noch nicht beendet ist. Es gibt noch so viel zu tun und es ist wichtig, sich weiterhin an vorderster Front für Gleichheit zu engagieren. Denn das ist der einzige Weg, damit jeder die gleichen Möglichkeiten bekommt und das gleiche Wohlbefinden genießen kann.