Heraklit und Parmenides: Die Beständigkeit des Wandels

Wir laden dich heute ein, die gegensätzlichen Gedanken der griechischen Philosophen Heraklit und Parmenides zu hinterfragen.
Heraklit und Parmenides: Die Beständigkeit des Wandels

Letzte Aktualisierung: 04. September 2023

Heraklit aus Ephesos, der Philosoph des Werdens, hatte einen bedeutenden Opponenten: Parmenides aus Elea, den Philosophen des Seins. Ihre Streitgespräche über das ewige Werden und die Unveränderlichkeit der Wirklichkeit regen uns auch heute noch zur Reflexion an.

Wir laden dich ein, Interessantes über den Disput zwischen den gegensätzlichen Zwillingen – wie die beiden griechischen Philosophen auch genannt werden – zu erfahren.

Heraklit: Veränderung ist die einzige Konstante

Das Werk Fragmente¹ hält einige der philosophischen Gedanken von Heraklit fest, die uns ein Bild von seiner Weltsicht geben. Für diesen Denker sind Sein und Werden identisch, deshalb gibt es keine Beständigkeit: Alles ist im Fluss (Panta rhei), die Wirklichkeit ist ein kontinuierlicher Prozess, nichts bleibt gleich und nichts ist statisch.

Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn andere Wasser strömen nach.”

Heraklit

Alles ist im Fluss

Die Metapher des Flusses veranschaulicht, dass der Fluss zwar immer derselbe ist, sich das Wasser jedoch ständig verändert. Deshalb gibt es für Heraklit keine Beständigkeit. Auch die Person, die im Fluss badet, verändert sich und ist nach dem Bad nicht mehr dieselbe.

Veränderung ist die einzige Konstante im Universum, jedes Leben befindet sich gleichzeitig im Prozess des Werdens und Vergehens.

Ein weiteres Element der Philosophie von Heraklit ist die Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit, wobei sich Gegensätze bedingen beziehungsweise miteinander verbinden: “Kaltes erwärmt sich, Warmes kühlt ab, Feuchtes vertrocknet, Dürres wird benetzt.” Die Welt ist ein Kreislauf des Wandels voller Widersprüche, die – so paradox es klingt – Harmonie hervorbringen. Gegensätze wie Tag und Nacht oder Eintracht und Zwietracht bilden eine spannungsgeladene Einheit.

“Die schönste Harmonie entsteht durch das Zusammenbringen der Gegensätze.”

Heraklit

Parmenides: Sinneswahrnehmungen sind eine Illusion

Parmenides³ und seine Schüler differenzieren zwischen Wahrheit und Meinung. Der Mensch baut seine Meinung auf einzelne Wahrnehmungen auf, ohne das große Ganze zu sehen. Um die allem zugrundeliegende Einheit zu erkennen, müssen wir jedoch hinter den Schein der Dinge schauen, das heißt durch unseren Intellekt über oberflächliche Meinung hinausgehen.

“Das sein ist.”

Parmenides

Parmenides argumentiert, dass die sinnliche Welt von logischen Widersprüchen bevölkert ist. Das bedeutet, dass es einen ständigen Übergang zwischen Sein und Nichtsein gibt, da sich die Realität kontinuierlich verändert: Etwas, das ist, kann aufhören zu sein, um etwas anderes zu werden.

Parmenides betrachtet jedoch das Sein als Einheit, die sich nicht in einzelne Elemente oder Widersprüche aufspalten lässt. Er sieht darin das Ewige, nicht die Vergänglichkeit. Das Wahrhaftige ist ihm zufolge deshalb an das Unvergängliche gebunden, nicht an die vergänglichen Dinge.

“Nichts ist so beständig als der Wandel”

Parmenides

Das Sein – also das Überzeitliche und Unwandelbare – steht im Gegensatz zu den vergänglichen Sinnesobjekten. Die veränderlichen Dinge sind jedoch trügerisch und nicht real, deshalb konzentriert sich Parmenides auf das Nous (Intellekt, Verstand, Vernunft), also auf das geistig Erfassbare. Wissen kann sich nur auf das unveränderliche Sein beziehen, deshalb steht die Beständigkeit im Vordergrund. 

Da sich jedoch die Wirklichkeit, in der wir leben, ständig verändert und bewegt, ist es nicht möglich, wahres Wissen zu erlangen.

Die Merkmale des Seins

Parmenides erwähnt folgende Merkmale des Seins:

  • Das Sein ist unendlich und unvergänglich. Deshalb hat es keinen Ursprung und kann nicht geschaffen werden.
  • Das Sein ist vollkommen und zeitlos. Es handelt sich um eine bereits bestehende Einheit, ein Ganzes ohne Anfang und Ende. Es gibt also keine Geburt, keine Entwicklung und keinen Tod des Seins.
  • Das Sein ist kontinuierlich, homogen und unbeweglich. Daher lässt es keine Veränderungen in seinem Wesen zu.

Heraklit und Parmenides: Logos und Vernunft

Heraklit betrachtet die Vernunft oder den Logos als das Gesetz des Universums, das die Bewegung und den Wandel der Dinge steuert. Nach diesem Prinzip ist die Welt geordnet, alles geschieht nach diesem Logos.

Parmenides hingegen betrachtet den Logos als Mittel, mit dem wir das Sein erfassen. Der Weg des Seins beziehungsweise der Wahrheit kann deshalb nur durch die Vernunft beschritten werden. Für die Vernunft ist es jedoch undenkbar, das Nicht-Sein auszudrücken: In dem Moment, in dem wir denken, ist kein Nichts mehr möglich, denn das wäre mit dem Nicht-Denken gleichzusetzen.

Für Heraklit ist es die Vernunft, die den Wandel bestimmt. Parmenides hingegen bekräftigt, dass der Logos nur das Sein, nicht jedoch die Bewegung ausdrücken kann.

Heraklit und Parmenides: Gibt es Berührungspunkte?

Fernando Hunverto Asensio schreibt über den Gegensatz zwischen der Sinneswahrnehmung und der Intelligenz und bezieht sich auch auf das Veränderliche und das Unveränderliche. Wenn wir jedoch Nagarjunas Vorstellung der zwei Wirklichkeiten folgen, erhalten wir eine relative und eine absolute Sichtweise.

Einerseits ist es unbestreitbar, dass wir in einer Welt leben, die sich ständig verändert. Wir müssen uns nur unsere Umgebung ansehen, um das zu erkennen. Trotzdem ist es möglich, sich auf eine einheitliche Sichtweise des Universums zu berufen. Es kann also einen Treffpunkt zwischen den beiden Vorstellungen geben,  und zwar durch das Medium. Das bedeutet, dass wir beide Positionen nicht ablehnen oder ausschließen, sondern sie als Teil des Ganzen betrachten können.

▶ Lese-Tipps

  1. Fragmente. Griechisch – Deutsch, Heraklit, Bruno Snell, Akademie Verlag 2011
  2. Die Vorsokratiker: Von Thales bis Demokrit, Matthias Hackemann (Hrsg., Übersetzer), Anaconda 2016
  3. Über das Sein: Griechisch – Deutsch, Parmenides, Reclam 1986

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