Hedonischer Tonus: weder Langeweile noch Überstimulation

Der hedonische Tonus spielt bei so unterschiedlichen Störungen wie Depression, ADHS und Drogenmissbrauch eine wichtige Rolle. Erfahre mehr über dieses Thema.
Hedonischer Tonus: weder Langeweile noch Überstimulation
Elena Sanz

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Elena Sanz.

Letzte Aktualisierung: 12. Oktober 2023

Ein optimales Erregungsniveau oder Arousal bedeutet weder Langeweile noch Überstimulation: Diese angenehme Erregtheit wird als hedonischer Tonus bezeichnet. Das Erregungsniveau spielt unter anderem bei Störungen wie Depressionen, ADHS oder Suchtverhalten eine Rolle. Manche Menschen empfinden keine Motivation, keine Erregtheit, keine Begeisterung und keine Stimulation, auch wenn sie sich auf immer riskantere Situationen einlassen. Das muss nicht immer so gewesen sein. Häufig verlieren Betroffene allmählich das Interesse an Dingen, die ihnen früher Spaß oder Freude machten.

Wenn du dich mit dieser Beschreibung identifizierst, lies weiter und finde die möglichen Ursachen heraus, um entsprechende Maßnahmen zu treffen und Veränderungen zu bewirken.

Hedonischer Tonus: Was ist das?

Der britische Psychologe Michael William Eysenck entwickelte in den späten 1990er-Jahren die Theorie des hedonischen Tonus, die davon ausgeht, dass Menschen genetisch auf ein optimales Niveau angenehmer Erregtheit programmiert sind. Die Bezeichnung hedonischer Tonus beschreibt einen angenehmen Erlebniswert, der Freude, Zufriedenheit, Wohlbefinden und Motivation auslöst. Ein negativer hedonischer Tonus führt hingegen zu Unmut, Wut, Traurigkeit und Unbehagen. 

Das richtige Erregungsniveau fördert das Interesse und wirkt aktivierend.

In seiner Umkehrungstheorie (Reversal-Theorie) betrachtet Michael Apter die niedrige und hohe Erregung differenzierter. Er unterscheidet zwischen dem telischen und dem paratelischen Modus. Telisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich eine Person aktiv darum bemüht, ein Ziel schnellstmöglich zu erreichen. Die Person benötigt keine außerordentliche Aufregung und befindet sich im Erregungsvermeidungsmodus. Der telisch orientierte Mensch konzentriert sich auf Aktivitäten, die ihm wichtig erscheinen. Er ist planend und vorausschauend. Eine geringe Erregung bedeutet für ihn Entspannung.

Der paratelische Modus hingegen lässt erkennen, dass jemand eine Tätigkeit nur aktivitätsorientiert ausübt, er konzentriert sich auf die Gegenwart und genießt spontane, unmittelbare Empfindungen. Eine niedrige Erregung führt zu Langeweile, während hohe Erregtheit als angenehm empfunden wird.

Der Wechsel von einem Modus in den anderen findet häufig statt. Der hedonische Tonus wird erreicht, wenn der Erregungszustand optimal ist. 

hedonischer Tonus: Erregung auf der Achterbahn
Manche Aktivitäten sind sehr vergnüglich, obwohl sie Angst auslösen.

Hedonischer Tonus und psychische Gesundheit

Ein niedriger hedonischer Tonus führt dazu, dass Betroffene auf Belohnungen schwach reagieren. Sie benötigen deshalb mehr positive Reize, um eine angenehme Erregung zu erleben und sich gut, motiviert und interessiert zu fühlen. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Menschen mit ADHS setzen sich deshalb häufig intensiven, gefährlichen oder unverantwortlichen Situationen aus. Auch bei Depressionen ist das der Fall. Eines der Hauptsymptome ist Anhedonie, also die Schwierigkeit, Freude zu empfinden. Betroffene verlieren das Interesse an Aktivitäten, ihre Apathie und Passivität nimmt zu.

Verschiedene Studien haben die Beziehung zwischen diesen beiden Störungen untersucht und festgestellt, dass in beiden Fällen der hedonische Tonus eine wichtige Rolle spielt. Tatsächlich scheint ein großer Teil der Patienten mit Depressionen, die nicht auf eine Behandlung ansprechen, eine unerkannte, n icht diagnostizierte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zu haben.

Außerdem sind beide Störungen mit einem erhöhten Risiko für Drogenkonsum verbunden. Denn Drogen liefern die nötige Erregtheit, die sie auf andere Weise nicht erreichen. Paradoxerweise gewöhnt sich das Gehirn an die Substanz: Sie verliert ihre stimulierende und belohnende Wirkung, deshalb sind immer höhere Dosen nötig.

Mann weiß, dass sein hedonischer Tonus gering ist, was ihn anfälliger für Drogen macht
Ein niedriger hedonischer Tonus macht anfälliger für Suchtverhalten.

Abschließende Empfehlungen

Verschiedene Forschungsarbeiten zeigen, dass ein niedriger hedonischer Tonus mit der Störung bestimmter Gehirnschaltkreise zusammen hängt, die an der Verarbeitung von Belohnungen beteiligt sind. Diese Beeinträchtigung ist sowohl bei ADHS als auch bei Depressionen und Drogenmissbrauch vorhanden, was erklärt, warum diese drei Erkrankungen so häufig zusammen auftreten.

Das bedeutet jedoch nicht, dass man nichts dagegen tun kann. Die Berücksichtigung eines niedrigen hedonischen Tonus bei der Behandlung dieser Erkrankungen ist ein guter Ausgangspunkt. Wird dieser Aspekt nicht berücksichtigt, sind die Erfolgsaussichten geringer. Außerdem sollte bei Depressionen auch beachtet werden, dass ADHS vorliegen könnte. Professionelle Unterstützung ist grundlegend.


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