Genetik und Epigenetik: Wie verändert die Umwelt unser Erbgut?
Inwieweit sind wir genetisch vorprogrammiert und wie sehr beeinflusst uns die Umwelt? Genetik und Epigenetik geben Antwort auf diese Frage. Wir betrachten in unserem heutigen Artikel, welche Rolle Gene und die Umwelt in der Psychopathologie spielen.
Ist die Genetik für psychische Erkrankungen verantwortlich, oder führen Umweltbedingungen dazu? Bestimmen sowohl Genetik als auch Epigenetik die Entwicklung psychopathologischer Störungen? Welcher Parameter wirkt sich stärker aus? Könnten bestimmte Krankheiten verhindert werden, wenn die ursächlichen Gene bekannt wären? Bedeutet die genetische Vorbelastung zwanghaft, dass sich die Störung entwickeln wird?
Eine eindimensionale Perspektive kann psychische Störungen normalerweise nicht erklären, da dabei zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen. Biologische, psychologische und soziale Auslöser sind daran beteiligt.
Der Unterschied zwischen Genetik und Epigenetik
Wir wissen, dass Gene unser Verhalten beeinflussen, was auf psychopathologischer Ebene von Interesse ist. Allerdings sind sich viele nicht bewusst, welchen Einfluss die Umwelt auf die Genetik hat.
Die Epigenetik untersucht, unter welchen Umständen Gene aktiviert oder deaktiviert werden, was als Genregulation bezeichnet wird. Es gibt viele Gene, die bei manchen Menschen zum Ausdruck kommen und bei anderen nicht. Die Epigenetik untersucht die Umwelt, um die Ursachen dafür herauszufinden, denn über epigenetische Regulierungen kann die Umwelt das Erbgut verändern. So beeinflusst unter anderem die Lebensweise, wie sich ein Lebewesen entwickelt.
In der Psychopathologie ist deshalb nicht die Genetik alleine und auch nicht die Umwelt als solche, sondern ihr Zusammenspiel von besonderer Bedeutung. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Erscheinungsbild des Organismus, dem Phänotyp, das heißt von seinen tatsächlichen morphologischen, physiologischen und psychologischen Eigenschaften, unabhängig davon, ob diese genetisch bedingt sind oder erworben wurden.
Das Humangenomprojekt und Schizophrenie
Die Genetik spielt bei psychischen Störungen auf jeden Fall eine wichtige Rolle, denn sie kann bis zu 50 Prozent der Fälle psychischer Erkrankungen erklären.
Allerdings entwickeln nicht alle Menschen mit ähnlichen genetischen Voraussetzungen psychische Störungen. Darüber hinaus haben nicht alle Menschen mit einer bestimmten psychischen Störung die gleiche genetische Grundlage.
Schizophrenie ist mit 50 Prozent die psychische Störung mit der größten genetischen Varianz.
Im Rahmen des Humangenomprojekts wurden 108 Gene gefunden, die mit Schizophrenie in Verbindung stehen, aber keines war sensitiv, pathognomisch oder spezifisch. Keines dieser Gene war ausreichend, um einen prädiktiven oder diagnostischen Wert zu liefern. Nicht nur Menschen mit Schizophrenie haben diese Gene. Tatsächlich finden wir sie auch bei Menschen mit bipolarer Störung.
Im Bestfall konnte anhand dieser Gene bei 22 Prozent der Menschen mit Schizophrenie die Krankheit vorhergesagt werden. Bei den restlichen Teilnehmern waren diese 108 Gene nicht vorhanden.
Genetik und Epigenetik: Variablen der Genexpression
Die Epigenetik verändert die DNA-Sequenz nicht, allerdings variiert dadurch die Genexpression. Ob Gene exprimiert werden oder nicht, hängt von bestimmten biochemischen Bedingungen ab, die wiederum von der Umgebung beeinflusst werden. Frühe Erfahrungen können zu bleibenden epigenetischen Erinnerungen führen. In einigen Fällen bergen diese ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer psychischen Störung.
Kinder, die in Waisenhäusern aufwachsen, neigen beispielsweise zu schlechteren Anpassungs- und Angstreaktionen. Sie müssen nicht unbedingt an Angstzuständen leiden, doch ihre Erfahrungen machen sie dafür anfälliger. In diesem Fall sprechen Wissenschaftler von epigenetischen Markierungen.
Bentall kam 2012 nach 30 Jahren Forschung zu dem Schluss, dass Kinder, die vor ihrem 16. Lebensjahr traumatisiert werden, dreimal häufiger an psychotischen Erfahrungen leiden.
Traumata scheinen epigenetische Markierungen zu erzeugen, die das spätere Auftreten von Symptomen begünstigen. Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung sind allesamt Prädiktoren für psychische Störungen, insbesondere Schizophrenie. Dies liegt daran, dass sie die Expression bestimmter Gene begünstigen.
Die Rolle von Neurotransmittern bei psychischen Störungen
Wir hören oft, dass Depressionen durch ein chemisches Ungleichgewicht verursacht werden, daher auch der Gedanke, dass eine Serotoninspritze innerhalb von Stunden Abhilfe verschaffen könnte. Diese Hypothese ist jedoch viel zu einfach, wenn wir die Komplexität dieses Themas bedenken.
Bei psychischen Störungen ist in vielen Fällen ein Überschuss oder ein Defizit an Neurotransmittern zu beobachten. Dies ist jedoch in der Regel nicht die Ursache der Erkrankung, sondern ein Symptom. Depressive Menschen weisen meist einen niedrigen Serotoninspiegel auf. Bei Angstzuständen sind erhöhte Norepinephrin- und Glutamatwerte sowie ein Mangel an GABA (Gamma-Aminobuttersäure) zu beobachten. Die Störungen werden jedoch weder durch erkennbare Veränderungen in den spezifischen Gehirnstrukturen noch durch ein Ungleichgewicht dieser Neurotransmitter verursacht.
LeDoux und der physiologische Einfluss in der Therapierung
Wie bereits erwähnt, sind psychische Störungen auf eine Kombination vieler verschiedener Faktoren zurückzuführen, die mit der Genetik und mit physiologischen Funktionen zusammenhängen. Einige Wissenschaftler haben spezifische relevante Gehirnschaltkreise identifiziert. Ihre Erkenntnisse tragen wesentlich zur Entwicklung des Feldes der Psychopathologie bei.
J. LeDoux, ein amerikanischer Neurowissenschaftler, spricht von der Existenz eines schnellen oder direkten Weges zwischen dem Thalamus und der Amygdala, der es ermöglicht, dass bestimmte Emotionen den bewussten Fokus umgehen.
Episodische Erinnerungen entstehen zwischen dem Thalamus und dem Cortex. Diese beiden Pfade sind sehr anpassungsfähig – einer ist für die Alarmreaktion verantwortlich, der andere für langsamere Reaktionen. Die Verbindungen zwischen Amygdala und Cortex sind asymmetrisch. Zur Amygdala braucht die Information länger, beim Cortex ist sie schneller.
Aus diesem und anderen Gründen ist die kognitive Umstrukturierung weniger nützlich für die Behandlung von Phobien, da die Cortex-Amygdala-Bahnen schwach sind. Eine systematische Exposition oder Desensibilisierung ist effektiver. Wenn der Stimulus sozialer Art ist, ist eine rationale Reaktion sinnvoller (Flugzeugphobie, Phobie vor öffentlichen Reden…).
Dies ist ein deutliches Beispiel für den Einfluss der Gehirnstruktur auf die Entwicklung von Störungen, das sich natürlich auch auf die erforderliche Behandlung auswirkt. Dieser Einfluss ist, wie wir weiter unten sehen werden, bidirektional.
Insel (1986) und seine Primatenstudie
In einer Studie, die den Einfluss der Umwelt auf die Genexpression untersuchen sollte, verwendete Insel zwei Gruppen von Affen, eine in einer kontrollierten und die andere in einer unkontrollierten Umgebung. Alle erhielten einen inversen Benzodiazepin-Agonisten (GABA). Wie reagierten die beiden Gruppen?
Die unkontrollierten Affen reagierten mit Panik, die kontrollierten Tiere zeigten keine Angst, sondern Aggression und Wut und griffen sich gegenseitig an. Die Gene der Affen waren dieselben, es veränderte sich nur die Umgebung. Die Lerngeschichte bestimmt also die Wirkung oder Rolle eines Neurotransmitters, in diesem Fall GABA.
Genetik und Epigenetik: Wie verändert die Umwelt unser Erbgut?
Wir können aus den genannten Studien folgende Schlussfolgerungen ziehen:
- Eine genetische Veranlagung kann nicht zum Ausdruck kommen, wenn die Person nicht einer bestimmten Umgebung ausgesetzt ist. Auch wenn die Umwelt hochgradig dysfunktional ist, muss eine biologische Disposition vorliegen.
- Neurotransmitter sind an Störungen beteiligt, aber sie verursachen sie nicht.
- Die Auswirkungen der Lerngeschichte sind ausschlaggebend für die neurobiologischen Zusammenhänge, die psychische Störungen begünstigen.
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- Ho, D. H. y W. W. Burggren (2009), “Epigenetics and transgenerational transfer: a physiological perspective?”, Journal of experimental biology, vol. 213, pp. 3-16.
- Insel TR, Scanlan J, Champoux M, Suomi SJ. Rearing paradigm in a nonhuman primate affects response to beta-CCE challenge. Psychopharmacology (Berl). 1988;96(1):81-6.