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Egoismus in der Liebe: Gib mir alles für nichts!

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Manche Menschen sind nicht in der Lage, andere zu lieben, so wie sie es sich verdient hätten. Sie handeln egoistisch, um ihre eigenen Bedürfnisse zu decken, doch diese Art der Liebe hat keine Zukunft. Wir laden dich heute ein, mit uns darüber nachzudenken.
Egoismus in der Liebe: Gib mir alles für nichts!
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater

Geschrieben von Valeria Sabater
Letzte Aktualisierung: 15. November 2021

Egoismus in der Liebe führt zu intensiven persönlichen Katastrophen. Manche Menschen kleiden sich zwar bereits wie Erwachsene, präsentieren jedoch ein infantiles Ich, das in affektiven Beziehungen ein Vehikel zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sieht. Sie sind Nehmer auf der Suche nach Gebern, unreife Figuren, die die Sprache der Gegenseitigkeit weder verstehen, noch zu begreifen verstehen.

Abraham Maslow erklärte, dass nicht jedes egoistische Verhalten schlecht ist. Zumindest nicht, bis wir verstehen, welche Motivationen sich dahinter verstecken und diese Verhaltensweise definieren. So ist etwa die Tatsache, dass wir uns selbst Priorität einräumen und von Zeit zu Zeit in uns selbst investieren, nicht nur ein positives Verhalten, sondern auch ratsam für unser eigenes Selbstwertgefühl. Auf der anderen Seite, der dunklen Seite, befindet sich jedoch der ungesunde, schädliche Egoismus.

Erich Fromm war einer der ersten Autoren, der ausführlich über den Egoismus in der Liebe sprach. Der Autor des Werks “Die Furcht vor der Freiheit” oder “Die Kunst des Liebens” geht davon aus, dass es Menschen gibt, die Beziehungen als ein eindeutig instrumentelles Szenario begreifen, das auf Nehmen und Empfangen ausgerichtet ist. Es handelt sich um Männer und Frauen, die nicht in der Lage sind, über ihren eigenen persönlichen Bereich hinauszusehen.

Egoismus bedeutet nicht, so zu leben, wie man leben möchte, sondern von anderen zu verlangen, so zu leben, wie man leben möchte.

Oscar Wilde

Frau leidet an Egoismus in der Liebe

Egoismus in der Liebe, der fünfte Reiter

Als der Psychologe John Gottman von der University of Washington seine berühmte Theorie der “vier apokalyptischen Reiter der Paarbeziehung” entwickelte, übersah er die Dimension des Egoismus in der Liebe. In seinem Ansatz bezeichnete er folgende Gründe als die größten Gefahren in einer Beziehung: Kritik beziehungsweise Schuldzuweisungen, Abwehr  und Rechtfertigung, Verachtung und Geringschätzung sowie Mauern wie der Rückzug aus der Kommunikation.

Doch Egoismus ist ebenso verheerend und kann deshalb als fünfter apokalyptischer Reiter betrachtet werden. In Wirklichkeit hat Dr. Gottman dieses Element jedoch nicht als exklusiven Prädiktor für emotionale Trennungen aufgenommen, gewissermaßen weil diese Dimension bereits alle oben genannten Dimensionen miteinander verbindet. Wer kritisiert, wer verletzt,  die andere Person verachtet oder sich vor der Verantwortung drückt, der trieft vor Egoismus und das ist mehr als offensichtlich.

Trotzdem sind wir uns nicht immer darüber bewusst. Denn wie wir wissen, gibt es Zeiten, in denen die Liebe weh tut. Sie schmerzt, weil sie in ihren Anfängen meist sehr blind ist. Die meisten von uns haben irgendwann einmal alles für jemanden riskiert. Wir haben uns mit der ganzen Kavallerie auf diese scheinbar perfekte und faszinierende Person gestürzt, um in einem emotionalen Abgrund zu landen. Denn die egoistische Person ist anfangs sibyllinisch und hinterlistig und es ist leicht, in ihren Bann zu geraten.

Sobald diese Person ihren “Geber” gefunden hat, nutzt sie ihn aus und zeigt ihr wahres Gesicht. Sie verwendet emotionale Erpressung und Manipulation, wie ein schwarzes Loch, das alles verschluckt. Diese egoistische Person gibt nichts zurück, denn ihre Persönlichkeit hat nichts zu bieten, außer Unzulänglichkeiten und Enttäuschungen.

kein Egoismus in der Liebe

Egoistische Menschen lieben nicht, da sie nicht wissen, sich selbst zu lieben

Dieser Satz mag widersprüchlich erscheinen, aber es lohnt sich, ein paar Sekunden darüber nachzudenken: Egoismus in der Liebe entsteht als Folge der Unfähigkeit, sich selbst zu lieben. Wie ist das möglich? Wir betrachten es als selbstverständlich, dass Egoismus und Narzissmus ein Persönlichkeitsprofil beschreiben, das nur sich selbst liebt, doch wir sind uns nicht über die verborgene Realität dieses Verhaltens bewusst.

Wie Erich Fromm in seinem Buch “Die Kunst des Liebens” darstellte, hasst der egoistische Mensch in Wirklichkeit sich selbst. Es fehlt ihm an Selbstliebe, er ist frustriert und seine Bedürfnisse sind so groß, dass er Beziehungen instrumentalisiert, um zu bekommen, was er braucht.

Das Wort Interesse stammt vom lateinischen inter-esse, das heißt “Dabeisein”, “beim anderen sein”, nicht in sich selbst eingeschlossen sein.

Erich Fromm

Der egoistische Partner entbehrt Selbstliebe und fordert von anderen, was ihm fehlt

Vor einigen Jahren führte die Abteilung für Psychologie der State University of New York eine sehr aufschlussreiche Studie durch. Sie verglich altruistisches Verhalten mit Egoismus. Dabei wurde deutlich, dass altruistische Menschen persönlich und emotional erfüllter sind. Sie geben, ohne sich eine Gegenleistung zu erwarten. Sie bieten ihre Zeit und ihre Ressourcen freiwillig an, weil dieser spontane Akt Wohlbefinden erzeugt.

Der egoistische Mensch verlangt jedoch von anderen, was er selbst entbehrt. Er ist nicht in der Lage (und auch nicht dazu bereit) seinen Mitmenschen etwas zu geben, denn das einzige, was er zu bieten hat, sind Mangelerscheinungen. Es fehlt ihm an Selbstwertgefühl, Selbstachtung und Selbstvertrauen. Daher ist der Egoismus in der Liebe wenig mehr als eine Falle, mit der Betroffene versuchen, eine andere Person zu “fangen”, die gut genug ist, um als hingebungsvoller Geber zu dienen.

Egoismus in der Liebe

Wie wir sehen, sind diese Verhaltensweisen ebenso toxisch wie schmerzhaft, wenn es um affektive Angelegenheiten geht. Das erinnert uns einmal mehr an das eine wichtige Grundlage für Beziehungen: Sich selbst zu lieben ist der Schlüssel, um andere wahrhaft lieben zu können. Es geht also um gesunde Liebe, denn ungesunder Egoismus ist wie ein Schiff ohne Segel: Er erreicht nie den ersehnten Hafen.

Es stimmt zwar, dass selbstsüchtige Menschen unfähig sind, andere zu lieben, aber sie sind auch nicht fähig, sich selbst zu lieben.

Erich Fromm


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


Fromm, E. (2016). Selfishness and Self-Love. Psychiatry2(4), 507–523. https://doi.org/10.1080/00332747.1939.11022262

Rachlin, H. (2002). Altruism and selfishness. Behavioral and Brain Sciences25(2), 239–250. https://doi.org/10.1017/S0140525X02000055

 


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