Durch Blut sind wir verwandt, doch erst durch Loyalität werden wir zur Familie

Durch Blut sind wir verwandt, doch erst durch Loyalität werden wir zur Familie
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 15. November 2021

Wir werden in diese Welt hineingeboren und von der ersten Sekunde unseres Lebens an teilen wir unser Blut und unsere Gene mit einer Reihe von Menschen. Es sind unsere Familienmitglieder, die uns Teil ihres Lebens, ihrer Erziehungsmethoden sein lassen; die versuchen, uns ihre Werte, die wir selbst als mehr oder weniger richtig erachten, zu vermitteln.

Alle Bewohner dieser Erde besitzen eine Familie. Eine Familie zu haben ist etwas sehr einfaches, denn jeder Einzelne von uns hat seinen Ursprung und seine Wurzeln. Doch diese zu wahren und zu wissen, wie sie weiter wachsen, wie wir sie Tag für Tag pflegen können, um dafür Sorge zu tragen, dass sie weiterhin vereint bleiben, ist eine viel schwierigere Aufgabe.

Jeder Mensch hat eine Mutter, einen Vater, vielleicht Geschwister, Onkel, Tanten. Manchmal gehören zu einer Familie noch weitläufigere Verwandte unserer Eltern mit dazu, an die wir wahrscheinlich nicht mehr denken und mit denen wir weniger zu tun haben. Müssen wir uns deshalb schuldig fühlen?

In Wahrheit verspüren wir ab und an diese ja fast “moralische” Verpflichtung, uns mit diesem einen Cousin gut zu verstehen, mit dem wir jedoch so gut wie keine Interessen teilen, und der uns so viele Male im Laufe unseres Lebens verachtet hat. Es mag vielleicht sein, dass uns unser Blut verbindet, doch im Puzzle des Lebens passen wir als Puzzlesteine nicht zueinander. Deshalb sollten wir uns selbst keine Vorwürfe machen, dass wir uns von dieser Person entfernen oder wir den Umständen entsprechend mit ihr umgehen.

Doch wie verhält sich diese Situation mit unseren engsten Familienmitgliedern – unseren Eltern oder Geschwistern?

Diese Verwandtschaft geht weit über die Blutsverwandtschaft hinaus

Manchmal kommt es uns so vor, als würde eine Familie zu sein bedeuten, dass wir nicht nur Blut und Gene teilen, sondern noch viel mehr. Viele von uns sind der Meinung, dass ein Kind die gleichen Wertvorstellungen wie seine Eltern hat, die gleiche Ideologie und dieselbe Ethik verteidigt. Stimmt das aber?

Verbundenheit

Mütter und Väter wundern sich oft darüber, wie unterschiedlich doch Geschwister sein können. Aber wie kann das sein, wo doch alle Kinder die gleichen Wurzeln haben? Es kommt uns so vor, als ob innerhalb der Familie eine vollkommene Harmonie herrschen würde, in der niemand aus dem Raster fallen und alles kontrolliert und ordnungsgemäß ablaufen sollte.

Doch wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Persönlichkeit nie zu 100% mit der Essenz einer anderen Person übereinstimmt. Es werden immer einige Eigenschaften vererbt, und in einer familiären Gemeinschaft zu leben, lässt uns zweifellos eine Reihe verschiedener Verhaltensweisen annehmen. Doch Kinder sind niemals das genaue Abbild ihrer Eltern, noch werden sie es jemals sein, so sehr sich Eltern das auch wünschen.

Eine Persönlichkeit entwickelt sich immer weiter, Tag für Tag, und dieser Entwicklung sind keine Grenzen gesetzt – auch wenn manche Mütter oder Väter dies manchmal versuchen. Daher geraten Eltern mit ihren Kindern ab und an aneinander.

Um eine starke und sichere familiäre Verbindung herzustellen, müssen Persönlichkeitsunterschiede gegenseitig respektiert, sowohl die Unabhängigkeit und die Sicherheit gleichermaßen gefördert werden. Das wahre Ich jedes einzelnen Individuums muss bedingungslos und ohne Bestrafung von Worten und Taten akzeptiert werden.

Individuen

Was sind die Schlüsselfaktoren eines harmonischen Familienlebens?

Viele Eltern erleben, wie ihre Kinder ausziehen, das einstige Familienleben verlassen, und der Kontakt zu ihnen nach und nach abbricht. Es gibt Geschwister, die nicht mehr miteinander reden und Familien, die wehmütig auf leere Stühle am Esstisch schauen.

Aber wie kann es nur so weit kommen? Jede Familie für sich ist eine Welt – eine kleine Welt mit eigenen Idealen, eigenem Glauben, einer eigenen Vergangenheit, von der nur sie selbst wissen, und einer eigenen Gegenwart, die sie wissen auszuleben.

Trotzdem hat jeder von uns eine Vorstellung davon, wie eine Familie sein sollte.

Einheit

Das Ziel einer Erziehung sollte es sein, selbstsichere Menschen in die Welt zu entlassen, Menschen, die bestimmte Fähigkeiten besitzen und unabhängig sind, damit sie ihr Glück finden können, gleichzeitig aber wissen, wie man andere glücklich macht. Wie erreichen wir das? Indem wir unseren Kindern eine Liebe schenken, die ihnen keine Grenzen setzt und sie nicht kontrolliert. Durch Zuneigung, die nicht zulässt, jemanden dafür zu bestrafen, wie er ist, wie er denkt oder handelt.

Wir sollten nicht jedes Mal andere für unser Unglück verantwortlich machen. Es sind nicht immer die Eltern daran schuld, dass man sich heute unsicher oder unfähig fühlt, bestimmte Dinge zu tun, oder die Tatsache, dass unser Bruder vielleicht früher eher in Schutz genommen wurde als wir selbst.

Eltern machen bei ihrer Erziehung immer Fehler. Doch wir müssen unser eigenes Leben leben und wissen, wie wir handeln und wann wir unsere Stimme erheben müssen. Wir müssen lernen, nein zu sagen und verstehen, dass wir selbstsicher und reif an neue Projekte herangehen können, Träume verwirklichen können, ohne Sklaven unserer familiären Vergangenheit sein zu müssen.

Eine Familie zu sein bedeutet nicht immer die gleiche Meinung und denselben Standpunkt zu vertreten. Und deshalb dürfen wir unsere Familienmitglieder nicht verurteilen, bestrafen oder, noch schlimmer, missachten. Denn solche Verhaltensweisen erzeugen Distanz und sind dafür verantwortlich, dass wir Tag für Tag mehr Loyalität in unseren Freunden als in unserer eigenen Familie finden.

Häufig empfinden wir diese “moralische Verpflichtung” gegenüber Familienmitgliedern, die uns einst Schmerzen bereiteten, uns schlecht behandelten oder bestraften, glauben, den Kontakt weiterhin aufrechterhalten zu müssen.

Natürlich gehören auch diese Personen zu unserer Familie, aber wir müssen auch bedenken, dass es im Leben darum geht, sein Glück und ein inneres Gleichgewicht zu finden –  den inneren Frieden. Wenn das ein oder andere Familienmitglied unsere Rechte als Menschen verletzt, so sollten wir Distanz bewahren.

Freundschaft

Die größte Tugend einer Familie ist es, sich gegenseitig so zu akzeptieren, wie man ist, und das in einem Umfeld purer Harmonie, gegenseitiger Zuneigung und gegenseitigem Respekts.

Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von Karen Jones Lee


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.