Dissoziative Identitätsstörung: Symptome und Therapie

TikTok hat die dissoziative Identitätsstörung populär gemacht, immer mehr Jugendliche identifizieren sich mit dieser psychischen Störung. Wie kann man echte klinische Symptome von bloßen Mythen unterscheiden?
Dissoziative Identitätsstörung: Symptome und Therapie
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 12. April 2023

Die dissoziative Identitätsstörung (DIS) weist auf ein schweres Trauma hin, das bewirkt, dass sich die Persönlichkeit in mehrere Teilidentitäten aufspaltet. Die einzelnen Identitäten wissen in der Regel nichts voneinander und führen ein Eigenleben. Sie können unterschiedliche Fähigkeiten und Erinnerungen aufweisen. Außerdem kann jede Persönlichkeit ein unterschiedliches Alter oder Geschlecht haben.

Es handelt sich deshalb um einen äußerst komplexen psychischen Zustand, der in Filmen und von TikTok-Influencern beschrieben wird. Bis 2019 sprach die WHO von “multipler Persönlichkeitsstörung”, seither ist diese Krankheit als dissoziative Identitätsstörung bekannt, da das auffälligste Merkmal die Abspaltung (Dissoziation) von der eigenen Persönlichkeit ist. Welche Anzeichen weisen auf diese Störung hin? Erfahre anschließend mehr darüber.

Hinter einer dissoziativen Identitätsstörung verbirgt sich in der Regel ein schweres Trauma.

Frau hat dissoziative Identitätsstörung
Die dissoziative Identitätsstörung kann in jedem Alter auftreten.

Dissoziative Identitätsstörung: So kannst du sie erkennen

Die dissoziative Identitätsstörung ist eine schwere psychische Erkrankung, die alle Bereiche der psychischen Funktionsfähigkeit verändert. Forschungsarbeiten der New York University weisen darauf hin, dass etwa 1,5 Prozent der Weltbevölkerung daran leidet. Allerdings ist diese Störung nicht einfach zu diagnostizieren und kann mit anderen psychischen Krankheiten verwechselt werden. Dazu kommt, dass sich viele Patienten aufgrund der Stigmatisierung vor der Diagnose fürchten. Experten schätzen deshalb, dass die Prävalenz bei bis zu 5 Prozent liegen könnte.

In den vergangenen Jahren glauben deutlich mehr Jugendliche, eine dissoziative Identitätsstörung zu haben. Verantwortlich dafür sind Persönlichkeiten, die in sozialen Netzwerken wie TikTok darüber sprechen. Doch nur eine Fachärztin oder ein Facharzt kann diese Diagnose nach einer gründlichen psychologischen Untersuchung stellen.

Wir listen nachfolgend die wichtigsten Anzeichen auf, an denen du eine dissoziative Identitätsstörung erkennen kannst:

1. Traumata in der Kindheit: bedeutsam, aber nicht ausreichend für eine Diagnose

Traumatische Erfahrungen in der Kindheit haben oft einen engen Zusammenhang mit dissoziativen Störungen. Missbrauch, Misshandlung, elterliche Vernachlässigung oder das Leben in einer dysfunktionalen Familie reichen jedoch nicht aus, um eine dissoziative Identitätsstörung zu diagnostizieren. Eine im Psychological Bulletin veröffentlichte Studie sowie andere Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass kindliche Traumata bei einer DIS eine Rolle spielen können, doch es müssen weitere psychologische Anzeichen vorhanden sein, um diese Krankheit identifizieren zu können.

Die dissoziative Identitätsstörung ist eine komplexe Krankheit, die möglicherweise unterdiagnostiziert ist. 

2. Wenn äußert sich eine dissoziative Identität?

“Plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich aus meinem Körper heraustrete und mich selbst nicht mehr erkenne. Es ist, als ob eine andere Stimme für mich spricht.” Junge Menschen beschreiben oft eine Depersonalisation. Das sind Momente, in denen sie sich selbst von außen beobachten. Sie haben das Gefühl, außerhalb des eigenen Körpers zu stehen und von ihren Gedanken getrennt zu sein. Auch diese Erfahrung ist jedoch nicht ausreichend, um eine dissoziative Identitätsstörung zu diagnostizieren, denn sie ist unter anderem auch an folgenden Merkmalen zu erkennen:

  • Unerklärliche Gedächtnisverluste
  • Das Gefühl, dass das Umfeld nicht real ist
  • Die Wahrnehmung, dass zwei oder mehrere Personen plötzlich sprechen, denken und handeln. Diese Persönlichkeiten haben einen eigenen Charakter und unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen und Manien.
  • Kontinuierliches Unbehagen: Angst, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit zu fokussieren
  • Dissoziative Fugue: Betroffene entfernen sich aus ihrer gewohnten Umgebung und nehmen eine neue Identität an. Sie können sich danach nicht mehr daran erinnern.
  • Soziale Probleme: Die berufliche oder akademische Leistung ist gering, die Beziehungen sind problematisch.

3. Tendenz zur Selbstzerstörung

Filme wie Split von M. Night Shyamalan zeichnen ein verzerrtes Bild von dieser psychischen Störung nach. Die dissoziative Identitätsstörung macht Betroffene nicht gewalttätig. Es handelt sich jedoch um eine komplexe und ernste klinische Realität, die oft zu selbstverletzendem und suizidalem Verhalten führt. Das psychische Leid dieser Patienten ist immens.

Sie erleben Erinnerungslücken, die sie nicht füllen können und die ihnen große Angst bereiten. Sie fühlen sich überfallen – besessen von anderen Persönlichkeiten. Auch nicht-epileptische Anfälle treten auf und Einweisungen in psychiatrische Kliniken sind häufig.

4. Jenseits dessen, was die sozialen Netzwerke sagen: schwer erklärbare Symptome

Eine dissoziative Identitätsstörung weist oft Besonderheiten und komplexe Begleitsymptome auf, die manchmal schwer zu beschreiben sind.

  • Müdigkeit, Energielosigkeit, geistige Umnachtung
  • Essstörungen
  • Krampfanfälle und seltsame körperliche Empfindungen
  • Das Gefühl, nicht Teil der Realität zu sein
  • Schlafstörungen: Schlaflosigkeit oder Hypersomnie (übermäßiger Schlaf), auch Albträume
  • Dissoziative Flashbacks: Betroffene erleben traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit auf sehr reale Weise.

Der Wechsel zwischen den Persönlichkeiten nennt sich auch Switch.

Frau hat dissoziative Identitätsstörung
Die dissoziative Identitätsstörung erfordert eine langfristige Gesprächstherapie.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Fachleute aus dem klinischen Bereich sind sich des Phänomens bewusst. Viele junge Menschen suchen Hilfe, weil sie glauben, dass sie diese klinische Störung haben. Die richtige Diagnose ist die Voraussetzung für eine entsprechende Behandlung. Nicht jede Person, die diese Störung vermutet, leidet tatsächlich daran.

Eine dissoziative Identitätsstörung wird normalerweise mit einer Gesprächstherapie und einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Das Ziel ist kein anderes, als die verschiedenen Persönlichkeiten des Patienten zu dekonstruieren und sie sukzessiv in eine einzige zu integrieren. Dieser Prozess ist ein langer Weg. Auch pharmakologische Ansätze wie Antidepressiva und Anxiolytika kommen zum Einsatz.

Schlussgedanke

Vor kurzem haben wir ein ähnliches Phänomen im Zusammenhang mit TikTok beobachtet. Videos über das Tourette-Syndrom gingen viral und Tausende Kinder zeigten Symptome, die mit dieser Krankheit in Verbindung stehen. Wir müssen sehr genau darauf achten, was in diesen Medien veröffentlicht wird und was unsere Teenager sehen.

Es ist richtig, über psychische Erkrankungen aufzuklären, aber wir sollten dies verantwortungsvoll und mit medizinischer Autorität tun. Manchmal erreichen wir damit nur, dass bestimmte Realitäten missinterpretiert werden und Menschen mit psychischen Problemen noch mehr in Bedrängnis geraten.


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