Die goldene Stunde: Psychologische Erstbehandlung nach einem Trauma

Die goldene Stunde ist ein Zeitfenster, in dem die psychologische Erstbehandlung stattfinden sollte, um die psychischen Konsequenzen möglichst gering zu halten.
Die goldene Stunde: Psychologische Erstbehandlung nach einem Trauma
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 06. April 2023

Nach einer traumatischen Erfahrung stehen viele unter Schock oder erleben intensive Einsamkeit. In dieser Situation ist eine psychologische Erstbehandlung besonders wichtig, trotzdem leiden viele Betroffene oft im Stillen. Dies ist unter anderem bei Missbrauch und Misshandlung der Fall, doch auch nach dem Verlust eines geliebten Menschen wagen es viele nicht, Soforthilfe in Anspruch zu nehmen. Wir erklären anschließend, warum die psychologische Erstbehandlung so wichtig ist. Lies weiter!

Wenn nach einer traumatischen Erfahrung keine Behandlung erfolgt, steigt das Risiko für eine posttraumatische Belastungsstörung.

Einsame Frau braucht psychologische Erstbehandlung
Die psychologische Erstbehandlung ist nach einer traumatischen Erfahrung enorm wichtig.

Die goldene Stunde: Psychologische Erstbehandlung nach einer traumatischen Erfahrung

Nach einem Aufprall auf den Kopf wird eine Person im Krankenhaus sofort behandelt, um mögliche Gehirnverletzungen zu erkennen und Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Handelt es sich jedoch um ein emotionales Trauma, sieht die Sache anders aus: Die meisten Betroffenen leiden im Stillen, ohne eine psychologische Erstbehandlung zu erhalten. Doch auch in diesem Fall ist Soforthilfe enorm wichtig.

Die goldene Stunde ist ein Zeitfenster, in dem die psychologische Erstbehandlung stattfinden sollte, um das kurz- oder langfristige Auftreten psychischer Konsequenzen zu verhindern, die großes Leid auslösen. Zwar geht jeder Mensch unterschiedlich mit traumatischen Erlebnissen um, doch ein hoher Prozentsatz entwickelt psychische Probleme. Das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM-V) erkennt dieses Konzept und seine Bedeutung an und in einem Papier des National Post-Trauma Center in Sheba, Israel, wird dieser Gedanke bekräftigt.

Die Zeit unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis kann die Wahrscheinlichkeit für eine posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) verringern.

Die psychologische Erstbehandlung kann das Risiko für zukünftige psychologische Störungen reduzieren.

Wie sieht eine psychologische Erstbehandlung aus?

Dr. Joseph Zohar, Leiter der Psychiatrie am Sheba Medical Centre, ist einer der führenden Spezialisten für psychologische Ersthilfe in der goldenen Stunde. Er beschreibt die geeignetsten Maßnahmen und Behandlungen, die nach einem traumatischen Erlebnis zum Einsatz kommen sollten. Es handelt sich um eine kritische Situation, in der nicht jede Methode hilfreich ist. Dr. Joseph Zohar empfiehlt folgende Schritte:

1. Bestimmte Ereignisse abschwächen, um traumatische Erinnerungen zu verhindern

Man kann ein traumatisches Ereignis nicht vergessen, doch es gibt die Möglichkeit, die Auswirkungen von Bildern, Gedanken und Emotionen im Gehirn zu reduzieren. Eine geschulte Fachkraft kann die traumatisierte Person ablenkenk, damit sie ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge konzentriert. Der Bewältigungsmechanismus der Verdrängung ist in diesem Fall nützlich. Durch die Ablenkung festigen sich in den Erinnerungen des Opfers weniger Details und Einzelheiten.

2. Sicherheit, Schutz und Trost bieten

In der goldenen Stunde benötigt das Opfer Schutz und Sicherheit. Es geht darum, Stress zu reduzieren, die betroffene Person in einen sicheren Raum zu bringen und ihr Trost zu spenden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht nur psychische, sondern auch körperliche Verletzungen vorliegen könnten. In dieser Situation ist es wichtig, das psychologische und physiologische Gleichgewicht herzustellen: Essen, Trinken Wärme und emotionale Begleitung geben der Person Sicherheit.

3. Erwartung von Normalität und Informationen

Nach einem dramatischen, komplizierten oder stressigen Erlebnis befindet sich die Person in einem Zustand der Erregtheit. Ihr Gehirn arbeitet im Überlebensmodus, um sich auf Flucht, Kampf oder Erstarrung vorzubereiten. Eine psychologische Erstbehandlung hilft der Person, sich zu beruhigen. Eine psychologische Fachkraft hilft ihr, durch Nähe, Wärme und Einfühlungsvermögen, zur Normalität zurückzukommen und das Gefühl der Einsamkeit zu vermeiden.

Nach einem Unglück sind die ersten drei Stunden entscheidend. In dieser Zeit müssen Grundbedürfnisse wie Schutz, Trost und Verständnis befriedigt werden.

4. Die 3-P-Regel

Die ersten drei Stunden nach dem traumatischen Ereignis sind besonders wichtig. In dieser Zeit kommt die 3-P-Regel zur Anwendung:

  • Keine Psychopharmaka. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Anxiolytika oder Entspannungsmittel zu verabreichen.
  • Keine Pathologisierung. Die emotionale Reaktion der traumatisierten Person ist normal. Tränen, Unsicherheit, Verwirrung, Fragen, Wut und Fassungslosigkeit sind verständlich.
  • Keine Psychologisierung. In der ersten Zeit nach dem Trauma ist eine Psychotherapie nicht sinnvoll. Die betroffene Person benötigt Begleitung, Schutz und Hilfe, um sich auf Reize zu konzentrieren, die die emotionale Belastung nicht zusätzlich verstärken.
Psychologische Erstbehandlung nach einem Trauma erfordert Verständnis und Nähe
Nach einem traumatischen Erlebnis benötigt die betroffene Person Verständnis, Sicherheit und Schutz. 

Fazit

Die psychologische Erstbehandlung in der goldenen Stunde ist grundlegend, um traumatisierten Personen zu helfen, das Ereignis besser zu verarbeiten und psychische Störungen im Rahmen des Möglichen zu verhindern. Erhält die Person professionelle Soforthilfe, können die Folgen des Traumas reduziert werden. Die Zeit spielt dabei eine wesentliche Rolle. Jedes Opfer eines Traumas sollte die Möglichkeit einer psychologischen Erstbehandlung erhalten.


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