Die Erfahrung von Schmerz und Leid

Schmerz und Leid prägen unseren Geist und ermöglichen es uns, zu wachsen und unsere Persönlichkeit zu entwickeln. Es handelt sich um Grunderfahrungen, die uns unsere Leiblichkeit und die Zeitlichkeit unserer Existenz vor Augen führen.
Die Erfahrung von Schmerz und Leid
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 28. Juni 2023

Die Erfahrung von Schmerz und Leid und die Frage nach der Ursache ist im menschlichen Leben eine Grundproblematik, die weit über das Gefühl selbst und die physische Reaktion hinausgeht. Es geht nicht nur um körperliches Leid, manche Schmerzen zerreißen das Gewebe des Geistes gnadenlos und fragmentieren unsere Seele.

Di Pierro definiert wahren Schmerz als die authentische Präsenz von Unbehagen, während alle leidlichen Erfahrungen und Unannehmlichkeiten nur Zeichen, Echos oder Vorboten von Schmerz sind.

“Schmerz ist die Folge eines Zustands lokaler Dysfunktion in einem lebenden Gewebe, die Folge eines Reizes, der eine Schmerzempfindung hervorruft, aber auch regulierende Reaktionen wie Reflexe auslöst und selbst Emotionen beinhalten kann.”

Antonio Damasio

Frau macht die Erfahrung von Schmerz und Leid
Leid erzeugt Widerstand und hindert uns oft daran, der Dunkelheit zu entkommen.

Die Phänomenologie von Schmerz und Leid

Die Erfahrung von Schmerz ist negativ und oft mit dem Gefühl des Leidens verbunden, das über den bloßen physischen Schmerz hinausgeht. Das Leiden ist das Wasser, das über das Ufer fließt und den Weg überschwemmt. Die Zeitlichkeit unserer Existenz wird dabei besonders deutlich.

“Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen Schmerz und Leid ist, dass sich die primäre Bedeutung von Schmerz nicht in seiner Funktion der Linderung von Unbehagen erschöpft.”

Di Pierro

Schmerz oder Leid?

Der polnische Historiker Stanislaw Grygiel erklärt, dass sich dem Menschen im Schmerz nicht nur die Krankheit, sondern auch der tatsächliche Zustand seines Seins offenbart. Im Schmerz kommen Leid und Tod zum Vorschein, Erinnerungen, die nicht nur schwierige Erfahrungen oder verlorene Glücksmomente heraufbeschwören, sondern auch zukünftiges Leid vorhersehen: Schmerz wiederholt sich und endet mit dem Tod.

Wir wünschen uns, den Schmerz zurückzulassen, er soll vergehen und Vergangenheit sein. In erster Linie denken wir an körperliche Beschwerden, besonders intensiv ist jedoch der seelische Schmerz. Philosophen wie Buytendijk sehen hier den Unterschied: Schmerz erfolgt auf körperlicher Ebene, er konzentriert unser Aufmerksamkeit auf die Leiblichkeit. Er kann kurz und intensiv sein, oder auch chronisch werden. Leid hingegen durchdringt die Seele und betrifft die gesamte Struktur des Menschen.

Wir können Leid als psychische Reaktion auf körperlichen Schmerz definieren.

“Es gibt keinen körperlichen Schmerz, der sich in der Gesamtheit des Körpers manifestiert.”

Buytendijk

Leid und die Verbindung mit dem Selbst

Schmerz und Leid bilden nicht das komplementäre Gesicht der Freude. Das Vorhandensein des einen bedeutet nicht notwendigerweise die Abwesenheit des anderen. Außerdem sollen sie asymmetrisch strukturiert sein.

In diesem Zusammenhang beschreibt Buytendijk vier negative Erfahrungen des Unmuts:

  • Die unangenehmen Eindrücke, die wir durch unsere Sinne erhalten.
  • Die vitalen Mangelgefühle, die mit Grundbedürfnissen verbunden sind (Kälte, Müdigkeit, Hunger oder Durst) und ihre subjektive Wahrnehmung.
  • Akute und chronische Schmerzen, die überwiegend körperlich sind.
  • Spirituelles Leid. Es handelt sich um einen diffusen Schmerz, der schwer abzugrenzen ist. Es ist schwer zu erkennen, wo dieses Leid beginnt und endet.

“Seelisches Leid ist eine Form des Schmerzes der Existenz selbst, der Seele, und steht im Zusammenhang mit einem zu Recht schmerzhaften oder erschütternden Ereignis, weshalb es auch allgemein als Trauer bezeichnet wird.”

Di Pierro

Frau macht die Erfahrung von Schmerz und Leid
Leid verbindet uns mit unserem Wesen. Wenn wir in der Lage sind, es zu sehen, können wir auf eine andere Art und Weise tiefer in uns gehen.

In diesem Sinne bringt uns das Seelenleid mit unserem Körper in Kontakt; es ermöglicht einen Dialog über die Gesamtheit unseres Seins. Natürlich gehen körperlicher Schmerz und geistiges oder seelisches Leid nicht immer Hand in Hand.

In Anlehnung an die Überlegungen von Damasio dürfen wir nicht vergessen, dass Emotionen, obwohl sie durch denselben Reiz ausgelöst werden können, eine andere Reaktion auf dieselbe Ursache darstellen. So können wir später erkennen, dass wir Schmerzen haben und dass wir eine damit verbundene Emotion erleben, indem wir unser Bewusstsein mit dem gegenwärtigen Moment verbinden.

“Die Philosophie, die nicht im Leiden geboren wird, sieht die Welt nicht als eine auf Transzendenz ausgerichtete Realität, sie löscht die Freiheit und Verantwortung der menschlichen Person aus. Eine solche Philosophie kann alles andere als eine Freundschaft der Weisheit sein.”

Grygiel


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  • Cabòs Teixidó, J. (2013). Fenomenología del Sufrimiento. Por una comprensión filosófica a partir de la obra de Arthur Schopenhauer.
  • Di Pierro, E. G. (2018). Apuntes para una fenomenología del dolor y el sufrimiento. Revista del Centro de Investigación de la Universidad la Salle, 13(50), 13-30.

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