Degression - ein möglicher Ausweg für die Welt von heute?
Die Theorie der Degression wurde von Georgescu-Roegen formuliert, einem brillanten Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler rumänischen Ursprungs. Das wesentliche Postulat beschreibt, dass eine progressive Verminderung der Produktion zu einer Stabilisierung des Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur beitragen könnte. Daraus ergebe sich als positiver Nebeneffekt eine nachhaltigere soziale Dynamik, die zum Kontrollmechanismus wird, was das Verhalten des einzelnen Individuums betrifft.
Wirtschaftswachstum, in der Regel im Sinne von Produktionssteigerungen, ist das zentrale Ziel praktisch aller Wirtschaften weltweit. Es ist das zentrale Mantra des Kapitalismus. Dahinter steckt die Annahme, dass eine steigende Produktion einen zunehmenden Konsum nach sich ziehe. Mehr führe zu mehr. Wir möchten diese These nicht infrage stellen, aber betonen, dass ein derartiges Vorgehen zu zahlreichen unerwünschten Effekten führt. Diese waren vielleicht nicht von Beginn an sichtbar, werden aber immer deutlicher. Ganz oben auf der Liste steht die systematische Zerstörung der Natur und damit unserer Lebensgrundlage. An zweiter Stelle ist eine deutlich verminderte Lebensqualität zu nennen, sowohl auf menschlicher als auch auf nicht-menschlicher Seite.
Nach der Theorie der Degression sollten wir Menschen weniger arbeiten und mehr Freizeit genießen. Das wäre die Basis dieses andersartigen Wirtschaftsmodells, in der die Produktion reguliert wird, damit auch die Bedürfnisse der Gesellschaft, die über den Konsum hinausgehen, befriedigt werden können – ohne dass der Mensch zum Roboter werden oder seine Umwelt kaputt machen müsste.
“Die Verfechter der Degression setzen sich als oberstes Ziel, von jenem Motto abzulassen, das Wachstum über alles andere stellt, um noch mehr Wachstum zu erreichen.”
Serge Latouche
Die Degression des Konsums
In der heutigen Welt verbringt die Mehrzahl der Menschen einen Großteil ihrer Zeit damit, zu arbeiten. Im Gegensatz zu den Bedingungen, die in der Vergangenheit herrschten, die diese Arbeit jedoch nicht dazu, Grundbedürfnisse zu decken, wie die Ernte zu sichern oder das Zuhause winterfest zu machen. Im Laufe der Zeit hat der Mensch neue Bedürfnisse entwickelt und die sind im Wesentlichen auf Konsum ausgerichtet.
Was die meisten Menschen mit ihrer Arbeit zu erreichen versuchen, ist eine Steigerung ihrer Kaufkraft und damit ihre Konsumfähigkeit. Sie wollen mehr verdienen, um mehr zu kaufen, vernachlässigen dabei aber, ob sie das, was sie kaufen wollen, überhaupt brauchen. Mitte des 20. Jahrhunderts genügte ein Stück Seife für Bad oder Dusche, und auch wenn wir den Nutzen von Shampoo und Spülung nicht anzweifeln wollen, so finden wir heute in vielen Badezimmern mehr als ein Dutzend Flaschen und Fläschchen: Duschgel, aber auch Handseife und Intimpflege, Seife für nach dem Sport und vor dem Schlafengehen, mit Zitronenduft oder Mandelaroma.
Wir konsumieren so viel mehr, als wir eigentlich brauchen, und sind damit nicht allein: Die Kaufkraft der Menschen hat in den allermeisten Gesellschaften zugenommen. Erstaunlich ist, dass wir heute aber auch nicht glücklicher sind als vor 50 Jahren. Umfragen haben gezeigt, dass der wahrgenommenen Grad an Selbstverwirklichung sich kaum verändert hat. In Kanada wurden die Menschen gefragt, ob sie glauben, dass sie glücklicher seien als ihre Eltern. Nur 44 % der Befragten gaben an, dass dies zutreffe, obwohl die Kaufkraft um mehr als 60 % gestiegen ist.
Die Grundlagen der Degression
Wir mit unserer Weltbevölkerung sind an einem Punkt angelangt, an dem das Ungleichgewicht zwischen Produktion und Nachhaltigkeit unsere Existenz bedroht. Schon heute wird daran gezweifelt, ob unseren Kindern lebenslang die gleichen Ressourcen zur Verfügung stehen, die wir heute nutzen – oder ob sie bald aufgebraucht sind. Wenn wir uns solche Fragen stellen müssen, sind wir ganz bestimmt auf dem falschen Weg, und nach der in diesem Artikel vorgestellten Theorie der Degression liegt die Ursache in einer außer Kontrolle geratenen Produktion.
In der Theorie der Degression zufolge sind acht Maßnahmen zu treffen, um die wesentlichen Probleme der heutigen Zeit zu lösen:
- Neubewertung. Hier geht es darum, individuelle und konsumbezogene Werte neu zu definieren und durch solche zu ersetzen, die einen Gemeinschaftssinn und Rücksicht auf andere implizieren.
- Definition neuer Konzepte. Wir haben eine mehr oder weniger klare Vorstellung davon, was “arm” und “reich” bedeutet, was Bedürfnisse sind und wie sie sich durch Konsum decken lassen. Hier lohnt es sich, neue Perspektiven zu entdecken und unsere Idee von Reichtum von Fülle und Überschuss loszulösen.
- Neustrukturierung. Eine Neustrukturierung ist unabdingbar, wenn das Produktionssystem an neue Ziele, nämlich an die Bewahrung unserer Lebensgrundlage und das Wohlbefinden aller Menschen, angepasst werden soll. Ökoeffizienz und Einfachheit sind nur zwei Schlagworte, über die in diesem Zusammenhang nachgedacht werden sollte.
- Verlagerung der Produktion. Regionale Produkte entsprechen der Idee der Degression viel eher als solche, die über lange Strecken transportiert werden müssen. Im Grunde genommen kann fast überall produziert werden, was die lokale Gesellschaft braucht.
- Umverteilung. Wir sollten eine kooperative Perspektive einnehmen, in der jene Güter, die zur Deckung der Grundbedürfnisse notwendig sind, auch wirklich alle Menschen erreichen. Das erfordert eine Verminderung der Kaufkraft weniger Einzelner und sicher auch kleinere Einschränkungen im übertriebenen Konsum der meisten Menschen.
- Reduzierung. Wir sprechen von der Degression in Bezug auf Produktion und Konsum, und damit auch von unserer Arbeitszeit. Darüber hinaus sollten wir auch andere Aspekte unseres Lebens reflektieren, wie beispielsweise die Notwendigkeit, alljährlich um die Welt zu reisen.
- Wiederverwendung. Nach Möglichkeit ist die Nutzungsdauer sämtlicher Produkte zu verlängern. Die Wegwerfkultur, die wir momentan pflegen, steht der Idee des Naturschutzes vollkommen entgegen.
- Recycling. Hier geht es um einen adäquaten Umgang mit unseren Abfällen. Schon im Voraus ist darauf zu achten, Produkte, die nicht recycelt werden können, zu vermeiden, und wenn das nicht möglich ist, dann müssen wir die Verantwortung für unseren Müll übernehmen.
Es ist wohl allen klar, dass das momentane Wirtschaftssystem nicht zu Glück und Wohlbefinden beiträgt, sondern er zu Stress, Ungleichheit und Entfremdung. Aber es besteht Hoffnung. Immer häufiger bemerken wir, dass sich neue Paradigmen durchsetzen. Zu diesen zählt auch die Theorie der Degression, die ein humaneres Produktionsmodell vorschlägt.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Latouche, S. (2010). El decrecimiento como solución a la crisis. Mundo siglo XXI, (21), 48-53.