Das sexuelle Verlangen: Wie ticken Frauen und Männer?
Frauen und Männer ticken anders – auch in Sachen Sex, denn wir sind genetisch unterschiedlich programmiert. Fast 19 Prozent der Männer empfinden mindestens einmal am Tag Lust auf Sex, bei Frauen sind es unter zehn Prozent – so eine Studie der Psychologieprofessorin Terri Fisher. Doch nicht nur die Genetik, auch die Kultur und das Umfeld prägen das sexuelle Verlangen, die sexuellen Gewohnheiten und die erotischen Fantasien.
Zusätzlich haben Faktoren wie das Alter einen Einfluss: Eine Studie der Universität von Ohio verrät, dass die teilnehmenden Studentinnen im Durchschnitt alle 52 Minuten an Sex dachten, während es bei den männlichen Teilnehmern mindestens alle 28 Minuten war. Männer lassen sich häufiger von ihren natürlichen Bedürfnissen mitreißen.
Das Alter spielt jedoch nur bedingt eine Rolle: Sex mag bei älteren Menschen anders oder seltener sein, doch die sexuelle Lust und die Fantasien erleben sie in gleichem Maße. Eine Studie verrät, dass sich ungefähr 60 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen über 75 Jahren Sex wünschen, allerdings sind nur 30 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen dazu in der Lage.
Frauen sind vielschichtiger, Männer zielgerichteter
Sexuelles Verlangen ist ein Impuls, der biologisch, psychologisch, sozial und kulturell bedingt ist. Es kann durch externe oder interne Reize ausgelöst werden: Ein besonders attraktiver Mann, eine unwiderstehliche weibliche Schönheit… Die Gedanken verfangen sich gerne in erotischen Spielen, wenn wir entsprechende Menschen, Bilder oder Filme sehen. Doch auch interne Faktoren, die biologisch bedingt sind, können unsere erotischen Fantasien beleben.
Das sexuelle Verlangen ist bei Frauen oft deutlich vielschichtiger und wechselhafter als bei Männern, was häufig zu Missverständnissen führt. Männer konzentrieren sich meistens auf das Wesentliche, während weibliche Verhaltensweisen rätselhaft und unberechenbar sind. Sie wünschen sich in der Regel mehr gefühlvolle Momente und Romantik. Frauen lieben Details, Aufmerksamkeiten und Gespräche, während Männer zielgerichtet sind und schnell zum Punkt kommen.
“Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: „Was will eine Frau eigentlich?”
Sigmund Freud
Auch Frauen sind auf Seitensprünge programmiert
Trotz Romantik und trauter Zweisamkeit sind nicht nur Männer, sondern auch Frauen genetisch auf Seitensprünge programmiert – so die US-amerikanische Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy in ihrem Buch Mutter Natur: Die weibliche Seite der Evolution¹.
Statistische Daten verraten, dass 2020 rund zwölf Prozent der Frauen und etwa 18 Prozent der Männer in Deutschland schon einmal versucht waren, ihren Partner beziehungsweise ihre Partnerin zu betrügen. Erstaunlich ist, dass 30 Prozent der Frauen mindestens einen Seitensprung zugaben, während es bei den Männern nur 27 Prozent waren.
Wenn wir das sexuelle Verlangen von Mann und Frau besser verstehen, können wir Konflikte vermeiden und besser aufeinander eingehen.
Sexuelle Erregung
Ein Wissenschaftlerteam des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen hat verschiedene Studien analysiert und festgestellt, dass es bei erotischem Bildmaterial keine neurobiologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann gibt. Die Teilnehmenden sahen sich erotische Bilder und Filme an, während ihr Gehirn mit einer funktionellen Magnetresonanztomographie gescannt wurde.
Es konnten keine geschlechterspezifischen Gehirnreaktionen beobachtet werden, das bedeutet also, dass Pornos für Frauen gleichermaßen stimulierend sind wie für Männer. Allerdings waren die Aktivitätsmuster bei Bildern und Filmen unterschiedlich: Die Reaktion auf erotische Bilder führt im Vergleich zu Filmen zu einer breiter gefächerten Erregung verschiedener Gehirnareale, wobei Heterosexuelle stärker auf visuelle Reize als Homosexuelle reagierten.
Männer erleben die sexuelle Erregungen in der Regel intensiver als Frauen, auch wenn die physiologischen Reaktionen ähnlich sind.
Erotische Träume
Eine Studie (2019) eines Forscherteams der Universität Freiburg, die in Psychology & Sexuality veröffentlicht wurde, erzielte interessante Ergebnisse über erotische Träume: Frauen im Alter zwischen 16 und 30 Jahren träumen dreimal häufiger über erotische Themen (fast so oft wie Männer) als das vor 50 Jahren der Fall war. Jeder fünfte Traum enthält erotische Elemente. Die Wissenschaftler erklären sich dieses Phänomen durch die fortschreitende Gleichberechtigung, es gibt heute auch weniger Tabus und Klischees als damals.
“Es ist der Traum jeder Frau, der Traum eines Mannes zu sein.”
Barbra Streisand
Oxytocin und Testosteron
Das Kuschelhormon Oxytocin stärkt die Verbundenheit des Paars. Nach dem sexuellen Höhepunkt erlebt die Frau ein Oxytocinhoch, das Vertrautheit und Zärtlichkeit auslöst. Viele Männer sehen sich danach allerdings lieber eine Fernsehsendung an oder schlafen direkt ein. Auch sie schütten Oxytocin aus, das mit seiner beruhigenden Wirkung Stress und Ängste reduziert. Zusätzlich sorgen Endorphine und die γ-Aminobuttersäure dafür, dass der Mann schnell in den Schlaf versinkt. Frau sollte es also nicht persönlich nehmen, wenn Mann keine Lust mehr auf Gespräche oder Zärtlichkeiten hat – er folgt nur seinem natürlichen Bedürfnis.
Das männliche Sexualhormon Testosteron ist dafür bekannt, dass es die Libido stärkt. Eine Studie der London School of Hygiene & Tropical Medicine stellte fest, dass höhere Testosteronwerte bei Männern häufiger zur Masturbation und zu wechselnden Sexualpartnerinnen führt.
Ein Wissenschaftlerteam der Universität von Kalifornien hat herausgefunden, dass die Verabreichung von Oxytocin bei Männern die sexuelle Funktion signifikant verbessern kann.
Das sexuelle Verlangen: Lust auf Abenteuer
Wir gehen davon aus, dass sich Männer häufiger auf ein spontanes Abenteuer einlassen, Frauen hingegen tendenziell längerfristige Beziehungen bevorzugen. Das muss jedoch nicht so sein. Eine Studie der Johannes Gutenberg Universität Mainz zeigt, dass es Ausnahmen gibt: Wenn sich eine Frau sicher fühlt, ist sie eher bereit, auf eine spontane sexuelle Bekanntschaft einzugehen – fast genauso oft wie Männer.
Studierende sprachen insgesamt 127 Männer und Frauen mit der Standardfrage “ich mache so etwas normalerweise nicht, aber hast du Lust auf Sex mit mir?” an. Bis auf eine einzige Ausnahme lehnten alle Frauen ab, 50 Prozent der Männer wären der Einladung jedoch in Clubs gefolgt, 14 Prozent auf dem Campus. Im zweiten Teil dieser Studie wurde den Probanden eine Geschichte erzählt, um ihnen jegliche Angst vor psychischen oder physischen Gefahren zu nehmen. Die Ergebnisse: 100 Prozent der Männer stimmten dem sexuellen Abenteuer mit der Frau auf dem Foto zu, doch auch 97 Frauen waren bereit, den Mann zu treffen.
Zusätzlich zu den genetischen, biologische, kulturellen oder sozialen Unterschieden und Gemeinsamkeiten dürfen wir die individuellen Vorlieben, Erwartungen, Ängste und Erfahrungen nicht vergessen, die unsere Beziehungen prägen. Viele Verhaltensmuster entstehen bereits in der Kindheit, bestimmen jedoch im Erwachsenenalter, welche Art von Bindungen wir aufbauen und wie wir Sexualität erleben.
“Liebe ist die Antwort, aber während man auf sie wartet, stellt der Sex ein paar ganz gute Fragen.”
Literaturempfehlung
- Mutter Natur: Die weibliche Seite der Evolution, Sarah Blaffer Hrdy, Berliner Taschenbuchverlag 2002