Bindungsforschung: Unsicherer Bindungsstil und Kindesmissbrauch

Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit prägt das gesamte Leben. Erfahre Wissenswertes über die Folgen eines unsicheren Bindungsstils.
Bindungsforschung: Unsicherer Bindungsstil und Kindesmissbrauch
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 10. August 2024

Wenn Kinder Gewalt erleben, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Erwachsenenalter selbst gewalttätig reagieren. Sie ahmen ihre Bezugspersonen nach und normalisieren gewalttätiges Verhalten bereits in jungem Alter. Nicht selten kommt es zur Opfer-Täter-Transition: Gewalt wird so von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Was ein unsicherer Bindungsstil damit zu tun hat, analysieren wir in diesem Artikel.

“Das Vertrauen in die Bezugsperson ist die Grundlage für eine stabile und sichere Persönlichkeit.”

John Bowlby

Bindungsforschung: Unsicherer Bindungsstil und Kindesmissbrauch

Bindungsstil und Verhaltensmuster

Der Bindungsstil, den wir in der Kindheit entwickeln, prägt unser Verhaltensmuster auch im Erwachsenenalter. In gewalttätigen Familien dominiert in der Regel der ängstliche oder vermeidende Bindungsstil. Aufbauend auf der Bindungstheorie von Bowlby unterscheidet Iria de la Osa Subtil und ihr Forscherteam in einer Studie vier Möglichkeiten:

  • Sicherer Bindungsstil (Menschen mit geringer Angst und geringem Vermeidungsverhalten)
  • Besorgter Bindungsstil (Personen mit großer Ängstlichkeit und geringem Vermeidungsverhalten)
  • Ablehnender Bindungsstil (Menschen mit wenig Angst und einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten)
  • Ängstlicher Bindungsstil (Personen mit großer Angst und einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten)

Die Studienergebnisse weisen auf einen Zusammenhang zwischen einem unsicheren Bindungsstil (besorgter, ablehnender oder ängstlicher Bindungsstil), aggressivem Verhalten und Kindesmissbrauch hin. Eine sichere Bindung schützt hingegen vor Gewalt.

“Ein unsicherer Bindungsstil wird mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Aggression in der Partnerschaft in Verbindung gebracht.”

Megan Oka

Unsicherer Bindungsstil und Kindesmissbrauch

Ein unsicherer Bindungsstil erhöht die Wahrscheinlichkeit, in der Kindheit erlebte Gewaltmuster im Erwachsenenalter zu wiederholen. Personen mit einem besorgt-ängstlichen Bindungsstil tendieren eher zu psychischer Gewalt, während Menschen mit einem vermeidend-ängstlichen Bindungsstil eher zu körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch neigen.

Menschen, die in ihrer Kindheit Missbrauch und Ablehnung erfahren haben, entwickeln häufig eine hohe Bindungsangst und reagieren aggressiver, insbesondere wenn sie sich verlassen fühlen. Sie haben gelernt, dass dieses Verhalten normal ist.

“Die ängstliche Bindung wird auch mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung in Verbindung gebracht.”

Amy Holtzworth-Munroe

Unsicherer Bindungsstil bei Kindern
Ein unsicherer Bindungsstil erhöht die Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten im Erwachsenenalter.

Unsicherer Bindungsstil: das Erbe

Der Bindungsstil und in der Kindheit erlebter Missbrauch werden häufig von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Das Verhalten der Bezugspersonen (in der Regel die Eltern) legt den Grundstein für das Verhalten in Beziehungen im Erwachsenenalter. Kinder, die inmitten von Gewalt aufwachsen, reagieren später auch selbst häufig gewalttätig.

“Eine Veränderung des Bindungsstils könnte die Interaktionen in Paarbeziehungen verbessern.”

Rachael A. Dansby Olufowote

Folgende Theorien unterstützen diese Art der Opfer-Täter-Transition (Subtil et al., 2022):

  • Die Theorie des sozialen Lernens. Nach dieser Hypothese lernen Säuglinge, gewalttätig zu interagieren, da sie das elterliche Verhalten nachahmen.
  • Bindungstheorie. Nach Bowlby suchen Säuglinge in ihrer Umgebung nach Schutz und Sicherheit. Wenn sie das von ihren nächsten Bezugspersonen (den Eltern) nicht erhalten, entwickeln sie ängstliche und vermeidende Bindungsstile.
  • Das entwicklungskontextuelle Modell. Capaldi erwähnt darin, dass eine Erziehung, die auf Angst, Vernachlässigung und Zwang basiert, gewalttätige Erwachsene zur Folge haben kann.

Subtil et al.(2022) sehen einen starken Zusammenhang zwischen einem unsicheren Bindungsstil und Missbrauch. Die Wahrscheinlichkeit ist fast 18 % größer als bei Personen mit einem sicheren Bindungsstil. Allerdings können diese Ergebnisse nicht alle Aspekte von Gewalt und Missbrauch erklären. Weitere Forschungen sind notwendig, um effektive Interventonsprotokolle zu entwickeln und Kindern in schwierigen Familienverhältnissen zu helfen. Wenn sie gesunde Bindungsstile entwickeln, können sie anderen und auch sich selbst im Erwachsenenalter viel Leid ersparen.


Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.


  • de la Osa Subtila, I., Fernándezc, P. V. M., & Astraya, A. A. (2022). Insecure attachment style and child maltreatment: relations to aggression in men convicted of intimate partner violence. Ansiedad y Estrés, 28(3), 207-213.
  • Bowlby, J. (1973). Attachment and loss: separation, anxiety and anger. Basic Books.
  • Oka, M., Sandberg, J. G., Bradford, A. B., & Brown, A. (2014). Insecure attachment behavior and partner violence: Incorporating couple perceptions of insecure attachment and relational aggression. Journal of Marital and Family Therapy, 40(4), 412–429. https://doi.org/10.1111/jmft.12079
  • Holtzworth-Munroe, A., & Meehan, J. C. (2004). Typologies of men who are maritally violent: Scientific and clinical implications. Journal of Interpersonal Violence, 19, 1369-1389. https://doi.org/10.1177/0886260504269693
  • Olufowote, R. A. D., Fife, S. T., Schleiden, C., & Whiting, J. B. (2020). How can I become more secure? A grounded theory of earning secure attachment. Journal of Marital and Family Therapy, 46(3), 489–506. https://doi.org/10.1111/jmft.12409
  • Capaldi, D. M., & Gorman-Smith, D. (2003). The development of aggression in young male/female couples. In P. Florsheim (Ed.), Adolescent romantic relations and sexual behavior: Theory, research, and practical implications (pp. 243–278). Lawrence Erlbaum Associates Publishers.
  • Teva, I., Hidalgo-Ruzzante, N., Pérez-García, M., & Bueso-Izquierdo, N. (2021). Characteristics of Childhood Family Violence Experiences in Spanish Batterers. Journal of interpersonal violence36(23-24), 11212–11235. https://doi.org/10.1177/0886260519898436
  • Mahalik, J. R., Aldarondo, E., Gilbert-Gokhale, S., & Shore, E. (2005). The role of insecure attachment and gender role stress in predicting controlling behaviors in men who batter. Journal of interpersonal violence, 20(5), 617-631. https://doi.org/10.1177/0886260504269688

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.