Alles braucht ein Abschiedsritual

Alles braucht ein Abschiedsritual

Letzte Aktualisierung: 30. September 2017

Wir haben unser Leben hindurch unter Verlusten gelitten. Wieder und wieder müssen wir uns von Menschen, Orten, und Situationen, die wir geliebt haben, verabschieden, und das von Geburt an, bis wir sterben und uns vom Leben selbst verabschieden.

Wir verabschieden uns von der Kindheit und Jugend. Wir verabschieden uns von unseren Eltern, Geschwistern, Paaren und Freunden. Wir verabschieden uns von wertgeschätzten Orten und Momenten, die wir niemals vergessen werden.

Es wäre sicher richtig zu sagen, dass das Leben eine Abfolge von Enden und Anfängen ist. Die Wahrheit ist, dass alles, was beginnt, auch enden muss, um Platz für Neues zu schaffen. Aber wir sind nicht immer darauf vorbereitet, uns zu verabschieden.

Es gibt immer Zeit, zu gehen, aber keinen Ort, an den man gehen kann.

Tennessee Williams

Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Gesellschaften Rituale, Zeremonien oder besondere Events ausgedacht, um sich von Dingen zu verabschieden. Allerdings haben sich moderne Kulturen immer weiter von diesen Traditionen entfernt. Jedoch führt das dazu, dass es uns nur schwerer fällt, Abschiede und Verluste gut zu verarbeiten.

Abschiedsrituale

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Eine der ersten Taten der prähistorischen Menschen war das Erschaffen von Beerdigungsriten. Im Gegensatz zu anderen Arten haben die Menschen damit begonnen, dem Tod Bedeutung zu schenken. Die frühen Menschen begannen damit, ihre Toten zu begraben, und zwar genau deshalb, weil sie verstanden haben, dass der Tod ein großes Ereignis ist.

Diese vorgeschichtlichen Menschen haben nach magischen Erklärungen für die Erfahrung des Todes gesucht. Sie haben angenommen, dass das Leben nicht einfach aufhört, und deshalb Wege entwickelt, sich von denen, die gegangen sind, zu verabschieden, und die, die geblieben sind, zu trösten.

Später haben sie neue Rituale eingeführt, oft welche, die mit dem Anfang neuer Abschnitte zu tun haben. Der Beginn der Pubertät, der Anfang des Ehelebens, der Anfang der Ernte und so weiter. Aber natürlich muss man, um einen Anfang zu feiern, auch das Ende segnen. All diese Rituale werden über die Zeit hinweg beibehalten. Sie entwickeln sich und passen sich den Besonderheiten einer jeden Kultur an, bleiben aber gleich in ihrem Kern.

Heutige Rituale

In der heutigen Gesellschaft allerdings gibt es weniger und weniger Rituale, die der Ankunft einer neuen Sache, oder der Verabschiedung von etwas, das gegangen ist, gewidmet sind. Man kann sagen, dass das einzige dieser Rituale, das überlebt hat, das Ritual der Beerdigung ist.

Allerdings liegt dieses Ritual des Abschieds von jemandem, der gestorben ist, in der gegenwärtigen Welt mehr und mehr in den Händen des Marktes, und nicht in denen der Trauernden. Es gibt vorgefertigte Schemen. Bestattungsunternehmen kümmern sich um alles und die Trauernden sind nur mehr passive Figuren.

Und das mal ganz abgesehen von jenen Abschieden, die uns fast genauso wehtun wie der Tod, die allerdings weniger definitiv sind. Ob es hierbei um eine Scheidung geht, darum, dass du das Haus deiner Eltern verlässt, oder das Beenden einer Beziehung.

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Was sind Abschiedsrituale?

Ein Ritual dient größtenteils dem Zweck, ein besonderes Ereignis hervorzuheben. Es kennzeichnet eine Situation, die nicht alltäglich ist, und die eine Pause in unserer Routine verdient, um sie zu verdauen und uns auf Veränderung einzustellen.

Rituale und Zeremonien helfen dabei, einem Anlass Bedeutung zu geben. Im Fall eines Abschiedsrituals geht es um die Tatsache, sich von jemanden, den man liebt, zu trennen, entweder aus freien Stücken, oder aufgrund von Tod.

Ein Abschiedsritual ermöglicht es uns, die Tatsache hervorzuheben, dass etwas passiert ist, das unser Leben verändern wird. Danach werden wir nicht mehr die Gleichen sein, und wir benutzen Symbole, um unsere Akzeptanz dessen zu erleichtern.

Sich zu verabschieden heißt auch, eine neue Perspektive auf die Vergangenheit und die Zukunft anzunehmen, und alles das auszutauschen, was gewöhnlich für etwas Neues war, das wir noch nicht erschaffen haben. Es beinhaltet auch das Bewusstsein, Leiden zu akzeptieren und zu verarbeiten.

Die Konsequenzen von fehlenden Ritualen

In der heutigen Gesellschaft gibt es nicht immer Platz für Rituale. Oft müssen Menschen die Tragik der Trennung in kompletter Einsamkeit erleben. Eine Person wird sich einfach sagen, dass es weitergehen muss und dass sie niemand weinen oder den Ausdruck ihres Schmerzes sehen will.

Sie werden dazu ermutigt, nicht zu trauern, zu versuchen, an etwas anderes zu denken, Dinge zu tun, um sich abzulenken. Und letztendlich wird ihr Schmerz nicht heilen, sondern es wird ihm nur aus dem Weg gegangen. Unter diesen Bedingungen wird Sorge oft zu Verbitterung. Der Trauernde weiß, dass er Tatsachen nicht ändern kann, scheitert aber auch daran, sich diesen Veränderungen anzupassen. Das resultiert dann in Depression, Manie, oder Schwierigkeiten mit Mitmenschen.

Es wäre ideal, wenn jeder Abschied sein eigenes Ritual hätte. In der heutigen Welt ist es wahrscheinlich, dass jeder seine eigenen, privaten Rituale entwerfen sollte, um sich zu verabschieden, denn es will fast niemand für Gedanken über Tod und Trennung Platz lassen.

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Abschiedsrituale sind heilend

Ein Abschiedsritual durchzuführen ist heilend. Sich selbst zu erlauben, dem Verlust ins Gesicht zu blicken, ist das erste Anzeichen von Akzeptanz. Es hilft auch dabei, die losen Enden der Verbindung, die jetzt vollendet ist, zu verknüpfen.

Vielleicht nimmst du ein symbolisches Objekt und verbrennst es als ein Zeichen des Abschieds. Du kannst einen Brief oder ein Gedicht schreiben, um dich zu verabschieden. Du kannst dir Erinnerungen an die Person, die nicht mehr da ist, zurückholen, und ihnen einen besonderen Platz geben, um sie zu behalten.

All diese kleinen Rituale, die dabei helfen, sich zu verabschieden, ermöglichen es uns, mit mehr Tapferkeit zu trauern.

Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von Catrin Welz-Stein


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.