Abhängige Persönlichkeitsstörung: Was ist das und wen betrifft es?
Das Unvermögen, allein zu sein, eine fast erstickende Abhängigkeit von anderen, Unsicherheit, die Ablehnung jeglicher Verantwortung und eine zwanghafte Angst davor, verlassen zu werden. Dies sind die Symptome einer der häufigsten psychischen Störungen, einer die aber nur selten erkannt und behandelt wird. Wir sprechen von der abhängigen Persönlichkeitsstörung.
Um diese Krankheit ein wenig besser zu verstehen, führen wir ein einfaches Beispiel an: Georg ist 42 Jahre alt und hat heute ein Bewerbungsgespräch. Nachdem er sich am Morgen angezogen hatte, schlug ihm seine Frau vor, doch eine andere Krawatte zu tragen. Die, die er gerade trage, sei zu dunkel und lasse ihn zu ernst aussehen. Georg sagt nichts, bleibt verwirrt zurück. Bald beginnt er sich zu fragen, ob das Shirt und die Hose, die er sich ausgesucht hat, auch die richtigen seien, und ob die Schuhe zum Gesamtbild passten…
„Der Stand deines Lebens ist eine Reflexion deiner Denkweise.“
Wayne Dyer
Verunsicherung und Erschöpfung
Verunsichert durch Zweifel und Ängste sagt er sich, dass er diesen Job nicht bekommen werden. Ohne dass er es erkennt, steigt seine Negativität und löst in ihm einen Zwang aus. Wenn er diesen Job nicht bekommt, würde ihn seine Frau wahrscheinlich verlassen, denkt er sich. Aber sie, die bereits weiß, was ihm durch den Kopf geht, versichert ihm, dass dies nicht passieren wird. Sie sei für ihn da, um ihn zu unterstützen. Und sie sagt ihm, dass sie ihm vertraue und dass es keinen Grund dafür gäbe, diese irrationalen Gedanken zu haben.
Er scheint eine bessere Laune zu bekommen, doch Eva, seine Frau, atmet schwer und fühlt erneut den Stich der Verzweiflung. Sie weiß, dass sie aufmunternd sein und ihn den ganzen Tag über motivieren sollte… oder vielleicht besser die ganze Woche über. Sie weiß, dass sich Georg nicht stark genug fühlt, um zum Vorstellungsgespräch zu gehen und es zu meistern. Sie versteht auch, dass das Verhalten ihres Mannes nicht normal ist. Manchmal ist es sehr schwer für sie, mit ihm zu leben. Sie fühlt sich zunehmend erschöpft und denkt, dass es wohl seine Persönlichkeit sei und dass er sich nicht verändern könne.
Doch hier liegen die Wurzeln des Problems. Darin, zu denken, dass diese Art des Verhaltens normal sei und dass man nichts dagegen tun könne. Wir verknüpfen es mit diesem Persönlichkeitstyp und lassen Betroffene tun, was sie wollen, lassen sie gehen, wohin sie wollen. Wir akzeptieren das Verhalten, ohne zu verstehen, dass jemand an einer Erkrankung leidet, die die Person und ihre Umgebung belastet.
Die abhängige Persönlichkeitsstörung – oder das schwache Ego
Von den 10 Arten der Persönlichkeitsstörungen, die im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders V, das psychische Erkrankungen klassifiziert, gelistet sind, k ommt die abhängige Persönlichkeitsstörung am häufigsten vor. Die Krankheit ist im Wesentlichen durch einen bemerkenswerten Mangel an Selbstbewusstsein und das ständige Bedürfnis Bestätigung, Sicherheit und Unterstützung zu bekommen, gekennzeichnet. Bei Jugendlichen werden diese Symptome manchmal erkannt. Doch bei Menschen im mittleren Lebensalter werden sie kaum thematisiert, auch wenn sie viel stärker ausgeprägt sind.
Andererseits sind sich Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung selten bewusst, dass sie an einer Krankheit leiden. Sie fragen nur nach Hilfe, wenn sie an das Ende ihres Seiles kommen und sehen, dass sie nicht kontrollieren können, was passiert.
Eigenschaften von Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung
- Unfähigkeit, allein zu sein
- Zwanghafte Angst davor, verlassen zu werden
- Unfähigkeit, mit der Trennung einer Beziehung umzugehen
- Schwierigkeiten, zu akzeptieren oder sich Kritik zu stellen
- Extreme Passivität in zwischenmenschlichen Beziehungen
- Mangel an Initiative
- Vermeidung von Verantwortung
Was sind die Ursachen und wie wird die abhängige Persönlichkeitsstörung diagnostiziert? Wen betrifft sie für gewöhnlich?
Momentan sind die Ursachen dieser Krankheit noch unklar. Was man weiß, ist, dass erste Symptome meist in der Jugend auftreten und dass manche Patienten zuvor eine Angststörung erfahren, z.B. nach der Trennung der Eltern. Es soll aber darauf hingewiesen werden, dass dies nicht immer der Fall ist.
Die geschätzte Häufigkeit dieser Krankheit liegt bei zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, obwohl wir wissen, dass es viele Menschen gibt, die nie diagnostiziert wurden. Sie kommt ebenso häufiger bei Frauen wie bei Männern vor.
Was die Diagnosestellung angeht, ist es wichtig, die Bedeutung der Hausärzte hervorzuheben. Sie sind fast immer der erste Ansprechpartner und sie sollten Betroffene an Spezialisten verweisen, wenn anamnestische Daten den Verdacht auf eine psychische Erkrankung rechtfertigen und nach der Analyse von Blutproben endokrine Störungen ausgeschlossen werden können.
Die Behandlung der anhängigen Persönlichkeitsstörung
Jeder Patient ist einzigartig. Manchmal kann es Komplikationen geben, wie eine Depression, Angststörungen oder die selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung, was eine Verschlimmerung der Erkrankung hervorrufen kann.
“Es ist überraschend, aber das Schloss zu psychischen Erkrankungen ist immer im Kopf. Wenn wir den Schlüssel zu ihm finden, können wir uns befreien, und es ist nicht einmal schwer, das zu tun. Aber ja, der Schlüssel kann nur in uns selbst gefunden werden, in unserer Denkweise.”
Rafael Santandreu
Dennoch sollte man wissen, dass die Kombination der Psychotherapie mit einer pharmakologischen Behandlung in den meisten Fällen sehr effektiv ist. Die kognitive Verhaltenstherapie zum Beispiel fokussiert sich auf Denkmuster, Glauben, oder die Unfähigkeit, Entscheidungen zu fällen. Sie ist das erfolgreichste Therapieverfahren bei abhängiger Persönlichkeitsstörung. Wir dürfen nicht vergessen, dass Langzeitbehandlungen erforderlich sind, die oft vorsichtig mit Antidepressiva oder Beruhigungsmitteln kombiniert werden, und deren Fortschritte regelmäßig bewertet werden müssen.
Und schließlich dürfen wir die Unterstützung der Familie und Freunden des Patienten nicht unterschätzen. Dieser enge Kontakt ist die dritte Säule der Behandlung, in der sich der Patient kontinuierlich bemühen, Engagement und einen starken Willen zeigen muss, um voranzukommen, und um eine bessere Lebensqualität zu erreichen.
Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von Meghan Howland