Zwei Mönche auf Wanderschaft: eine alte Zen-Geschichte

Zwei Mönche auf Wanderschaft: eine alte Zen-Geschichte
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 28. Juni 2023

Eine alte Zen-Geschichte erzählt von einem Zen-Meister, der zwei Schüler, zwei Mönche, ausbilden sollte. Beide waren sehr gute Lehrlinge, selbstlos und diszipliniert. Beide wollten sich weiterentwickeln und ebenfalls Zen-Meister werden. Sie gaben jeden Tag ihr Bestes, um dieses Ziel zu erreichen.

Der Zen-Meister wollte ihnen vor allen Dingen beibringen, loszulassen. Für die Zen-Philosophie ist die Tatsache, nicht loslassen zu können, die Hauptquelle für Leid. In dieser Philosophie spielen loslassen, einfach zu sein und vorbeigehen zu lassen, was ist, eine sehr wichtige Rolle. Der Weg hin zum Loslassen ist ein Weg in Richtung Frieden, und der wiederum ist die Quintessenz unseres Glücks.

„Das Gesetz des Talents, wie auch das der wahren Glückseligkeit, ist Desinteresse.“

José Martí

Die Zen-Geschichte erzählt uns, dass die beiden jungen Männer angestrengt versuchten, immer weniger von Dingen und Menschen abhängig zu sein. Sie aßen nur das Nötigste und fasteten sogar mehrere Tage lang mit großer Freude. Ihre Kleidung war schlicht. Ihre Zimmer und Betten waren sehr bescheiden. Nichts davon schien für sie ein Opfer zu sein, denn ihr Ziel war es, sich weiterzuentwickeln.

Eine Wanderung zum Fluss, die alles veränderte

Eines Tages bat der Meister seine beiden Schüler, ihn zu begleiten, um Essen in ein nahegelegenes Dorf zu bringen, das sehr arm war. Die Zen-Geschichte erzählt davon, dass beide mit großer Begeisterung helfen wollten. Sie boten sogar an, schwere Körbe zu tragen. Als sie an jenem Ort ankamen, verteilten sie das Essen demütig und selbstlos. Sie waren froh, anderen helfen zu können.

Als die Zeit für ihre Rückkehr kam, bat der Zen-Meister sie, einen Spaziergang durch einen Wald in der Nähe zu machen. Es war früh am Morgen und jedermann konnte die Schönheit der Blumen, des Himmels und der Tiere bewundern. Darüber hinaus war ganz in der Nähe ein Fluss. Und was gibt es Schöneres, als aus einem Fluss mit kristallklarem Wasser zu trinken?

Altes Dorf am Fluss

Die drei liefen eine Zeit lang vollkommen still nebeneinander her. Alle genossen es, sich von der Sonne und dem Wind sanft streicheln zu lassen. Sie nahmen auch den Geruch von Gras wahr und hörten den Vögeln beim Singen zu. Nach einer Weile erreichten sie den Fluss. Was sie dort sahen, hätten sie sich nicht erträumen lassen: eine schöne Frau, die sie anlächelte.

Eine beunruhigende Wendung in der Zen-Geschichte

Die beiden jungen Mönche waren von der Schönheit dieser atemberaubenden Frau überwältigt. Sie war die schönste Frau, die beide je gesehen hatten. Die zwei Mönche wurden sehr nervös und liefen nun schneller. Beide stolperten. Sie waren nicht mehr Herr ihrer Sinne und hatten nur noch Augen für die schöne Frau.

Die Frau lächelte kokett beim Anblick ihrer Verwirrung. Dann bat sie beide mit lieblicher Stimme, ihr zu helfen, den Fluss zu überqueren. Einer der jungen Männer eilte der Frau zu Hilfe. Er nahm sie auf seine Arme, während sie ihn verführerisch ansah. Der junge Mönch lächelte. Dann ließ er sie auf der anderen Seite wieder ab und ging an die Stelle zurück, wo er seinen Meister und seinen Begleiter zurückgelassen hatte.

Der Meister sah dem jungen Mann tief in die Augen, dann gingen sie ihren Weg gemeinsam weiter. Der andere Mönch blieb erwartungsvoll. Er sah den Meister und seinen Begleiter an. Er presste die Lippen zusammen, aber sagte nichts. Kurz darauf kamen sie wieder im Kloster an.

Eine Lektion fürs Leben: Von der Theorie zur Praxis

Die Tage vergingen und der Mönch wartete noch immer. Es gab keine Erklärung dafür, warum der Zen-Meister wegen dessen schwieg, was er selbst als Beleidigung angesehen hatte: Wie konnte der andere Mönch nur dem Charme der Frau verfallen und es vorziehen, zuerst ihr zu helfen, anstatt den Meister zu fragen, ob dieser etwas bräuchte? Der Gedanke daran machte ihn wütend.

Der andere Mönch war sehr ruhig. Er setzte seine übliche Routine fort und bemerkte nicht einmal die Wut seines Gefährten. Seine Beziehung zum Meister war ungestört und dieser erwähnte mit keinem Wort die Begegnung mit der schönen Frau. Sein Gefährte fing an, einen tiefen Groll zu hegen, der ihn einfach nicht in Ruhe ließ. Eines Tages hielt er es nicht mehr aus und beschloss, sich beim Meister zu beschweren.

Zen-Meister geht zu seinem Haus im Wald

„Warum haben Sie nichts zu ihm gesagt, als er uns am Flussufer stehen ließ, während er mit dieser Fremden flirtete? Werden Sie nichts zu ihm sagen, Meister? Warum werfen Sie ihm nicht sein selbstsüchtiges Verhalten und Missachtung vor? Wieso beschuldigen Sie ihn nicht, seiner Lust nachgegeben zu haben?“,  fragte er.

Der Meister sah ihn lange Zeit nichtssagend an. Dann sagte er einen Satz, den der Mönch nie vergessen würde und der diese Zen-Geschichte für immer prägen sollte. Er antwortete ihm: „Dein Gefährte nahm die Frau hoch, half ihr über den Fluss und ließ sie am anderen Ufer los. Du hingegen hast es nicht geschafft, ihn, sie oder den Fluss loszulassen.“


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.