Worin besteht die Gestalttherapie?
“Die ‘Gestalttherapie’ ist keine Sammlung von Techniken, sondern die Weitergabe einer Haltung, einer Form des Seins im Leben.”
Claudio Naranjo
Die Gestalttherapie gehört zu den sogenannten humanistischen Therapien und zeigt Einflüsse der Psychoanalyse und der orientalischen Philosophien. Ebenso wie die anderen humanistischen Therapien fokussiert sich die Art der Psychotherapie nicht auf der Krankheit, sondern eher darauf, Gesundheit aus den Möglichkeiten und Kräften der eigenen Person herzustellen.
„Die Therapie wirkt viel zu gut, um sie nur auf Kranke zu begrenzen.“
Erving und Miriam Polster
Autoren wie der Psychiater Fritz Perls, der Psychologin Laura Perls und dem Soziologen Paul Goodman waren die Hauptgründer dieser humanistischen Psychotherapie, der Gestalttherapie.
Mit der Zeit teilte sich die Gestalttherapie in zwei Strömungen: eine Strömung gegründet von Laura Perls, die sich mehr auf den theoretischen Prozess konzentriert und die andere von Fritz Perls, die den gelebten Prozess der persönlichen Entwicklung in den Mittelpunkt stellt.
In dieser letzten Strömung gibt es aktuell eine wichtige Persönlichkeit, Claudio Naranjo, eindeutiger Nachfolger von Fritz Perls. Er widmet sich der weitergehenden Entwicklung der Gestalttherapie und genießt weltweites Ansehen. Als Pionier der transpersonalen Psychologie ist er auch dafür bekannt, die Psychotherapie und Spiritualität zu integrieren.
Grundregeln der Gestalttherapie
– Hier und Jetzt: Die Gestalttherapie setzt einen großen Schwerpunkt auf das Hier und Jetzt, auf den gegenwärtigen Augenblick. Darunter wird verstanden, dass alles im Jetzt passiert, da die Vergangenheit nicht mehr existiert und die Zukunft noch nicht da ist.
Das Hier (räumlich) und Jetzt (zeitlich) sind grundlegende Konzepte aus der orientalischen Philosophie. Für die Gestalttherapie bedeuten sie zugleich Reifung und Wachsen, damit das Individuum mithilfe der Selbstunterstützung für sich selbst Verantwortung übernimmt.
– Achtung und Akzeptanz der Erfahrung: Auf die Erfahrung achtzugeben bedeutet eine tiefe Verbindungen zum gegenwärtigen Moment. Die Akzeptanz der Erfahrung kann nur stattfinden, indem man sich des Erlebten bewusst wird.
Achtung bedeutet in der Gestalttherapie, auf sich selbst zu achten, die Gefühle, die in einer bestimmten Situation hervorgerufen werden, zu verstehen, sodass es keine Flucht vor dem Erlebten gibt.
Egal, ob du Angst, Wut, Freude oder Zurückweisung spürst, zuerst ist es wichtig, sich darüber bewusst zu werden (ein weiteres Schlüsselkonzept der Therapie), damit das in dem Moment Gelebte akzeptiert werden kann.
Wenn das nicht geschieht, wird irgendetwas unterdrückt und diese Empfindung oder dieses Gefühl bleibt blockiert und erschafft damit ein starkes Unwohlsein und psychosomatische Effekte (Beeinflussung des Körpers durch psychische Prozesse).
– Verantwortung: Die Verantwortung ist in der Gestalttherapie ein grundlegendes Prinzip und fordert, dass eine Person, die sich im persönlichen Entwicklungsprozess befindest, zuallererst Verantwortung für alle ihre Taten und Gefühle übernimmt, für alles, was sie in ihrer Erfahrung erlebt. Auf diese Weise sucht sie die Schuld nicht bei den anderen oder bei den Umständen des gerade Geschehenen.
Sobald das Individuum durch das Bewusstwerden in der Lage ist, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, wird es fähig sein, etwas zu verändern und spontan die Zügel des eigenen Lebens in die Hand zu nehmen.
„Verantwortlich zu sein bedeutet auch, präsent zu sein, hier zu sein. Und wirkliche Präsenz heißt, bewusst zu leben. Bewusstsein ist unvereinbar mit der Illusion der Verantwortungslosigkeit, die wir in unserem Leben vermeiden wollen.“
Claudio Naranja
Die folgenden Punkte sind die Grundregeln der Gestalttherapie, aufgestellt von Claudio Naranjo:
- Lebe jetzt, das heißt, kümmer dich lieber um die Gegenwart als um die Vergangenheit oder die Zukunft.
- Lebe hier. Verbinde dich lieber mit dem Anwesenden als mit dem Abwesenden.
- Hör auf, zu träumen. Erfahre die Wirklichkeit.
- Lass die unnötigen Gedanken los. Versuch lieber, zu fühlen und zu beobachten.
- Versuch dich auszudrücken statt zu manipulieren, zu erklären, zu rechtfertigen oder zu beurteilen.
- Stell dich dem Missfallen und dem Schmerz ebenso wie dem Gefallen; begrenze nicht dein Bewusstsein.
- Akzeptier nicht, dass irgendwer mehr muss oder soll als du selbst.
- Mach dich vollständig für deine Handlungen, Gefühle und Gedanken verantwortlich.
- Akzeptiere, so zu sein, wie du bist.
In diese Regeln zeigt sich die Essenz der Gestalttherapie, die einen weiten und tiefen Prozess der persönlichen Entwicklung in Gang setzt.
Die Gestalttherapeuten sehen ihre Patienten als Menschen an, die mit einem Repertoire an Potenzial ankommen, welches ausreicht, um jedes Hindernis zu überwinden und um das eigene Glück zu erfahren.
“Bedenke, dass dein Patient ein fähiges und vollständiges Individuum ist, welches schwierige Dinge leisten kann, ohne dass du sie für ihn machst, der dem Schmerz ins Gesicht sehen kann, der falsche Wege einschlagen und aus seinen eigenen Fehlern lernen kann. Respektiere seine Widerstandskraft, seine Fähigkeit des selbstständigen Umgangs mit Negativem, respektiere seinen gesunden und anpassungsfähigen Teil, seine Mittel, seine Selbstunterstützung und sein menschliches Potenzial.”
Fritz Perls, 1974
Bibliografie:
Peñarrubia, F. (1998). Terapia Gestalt: La vía del vacío fértil. Verlag: Alianza Editorial. (nicht auf Deutsch verfügbar)