Wie erkennen wir, dass wir unsere Traurigkeit verstecken?

Wie erkennen wir, dass wir unsere Traurigkeit verstecken?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 24. April 2023

Trauer ist eine Form des Unbehagens, vor der wir uns schützen wollen, und kann großen Einfluss auf unser psychologisches Gleichgewicht haben. Es gibt daher viele Gelegenheiten, zu denen wir unsere Traurigkeit zu verstecken versuchen. Aber oft zeigt sich diese unterdrückte Traurigkeit dann als Wut, schlechte Laune, Apathie oder Müdigkeit. Sie bestimmt dann alles: Geist, Körper, Motivation …

Tatsächlich heißt es, dass einige Menschen mit dem schönsten Lächeln die traurigsten Geschichten erzählen können. In diesem Satz steckt mehr als nur ein Funke Wahrheit. Traurigkeit ist eine der wenigen Emotionen, die unbemerkt an uns vorbeiziehen können. Aber gleichzeitig ist es eines der schwierigsten Gefühle, wenn es darum geht, es zu verstehen und zu bewältigen.

“Mein Plan ist es, intensiver zu lieben, als ich jemals zuvor geliebt habe, nichts zu verbergen und zu akzeptieren, dass ich ein unvollkommener Mensch bin. Oh, und Traurigkeit – Traurigkeit ist alles.”

Sam Smith

Traurigkeit ist ein bisschen wie die Tankanzeige in unserem Auto, die uns anzeigt, wenn wir zu wenig Benzin haben. Wir sehen es zwar, aber normalerweise beachten wir es nicht. Wir entscheiden uns einfach weiterzufahren, als ob es keine Rolle spiele. Aber dann bleiben wir irgendwann liegen, weil wir keinen Treibstoff mehr haben. Als Menschen aber bleiben wir nicht nur liegen, sondern fallen gar noch weiter zurück, verstimmt und in einer unwirklichen Zwischenwelt gefangen, die durch ein unerklärlich surreales Gefühl geprägt ist.

Im Gegensatz dazu, wenn wir die Anzeichen von versteckter Traurigkeit verstehen, können wir viel schneller auf sie reagieren. Für diese Anzeichen empfänglicher zu sein, wird uns auch helfen, dieses Gefühl besser zu bewältigen. Wir müssen diese komplexe Emotion reflektieren, wenn wir wissen wollen, was sie uns zu sagen versucht.

Ein junger Mann, der traurig aussieht.

Traurigkeit: die große Unbekannte

Der Psychologe Tim Lomas spricht in einem seiner Bücher darüber, wie wir Traurigkeit generell als etwas wahrnehmen, das nicht richtig wäre. Wir begreifen sie als einen Zustand, über den am besten nicht geredet wird. Wir entscheiden uns dazu, unsere Traurigkeit herunterzuschlucken und hoffen, dass dieses Gefühl sich irgendwann verändert.

An dieser Stelle sei auf das Gebiet der Positiven Psychologie hingewiesen, das in diesem Bereich große Fortschritte erzielt hat. Eines der Grundkonzepte dieser neueren Strömung der Psychologie ist, dass wir etwas wirklich Wichtiges über Emotionen verstehen müssen: Einige Gefühle sind so komplex, dass wir sie nicht als positiv oder negativ beschreiben können.

Denken wir zum Beispiel an die Liebe. Wenn wir jemanden lieben, ist es ganz normal, ein unbändiges Glücksgefühl zu erleben. Aber im nächsten Moment können wir auch eine totale Verzweiflung in uns fühlen. Genau wie das Leben selbst können Gefühle in einer Minute von Helligkeit zur Dunkelheit übergehen, weil sie eben so komplex und reichhaltig sind.

Traurigkeit ist nicht anderes und die meisten von uns neigen dazu, sie als “negativ” zu bezeichnen. Aber das lässt uns vergessen, dass mit diesem Gefühl auch Chancen verbunden sind und es uns inspirieren kann. Es kann tatsächlich zu signifikanten positiven Veränderungen führen.

Eine Tasse Kaffe steht auf dem Fenstersims. Das Wetter ist regnerisch.

Traurigkeit und ihre versteckten Anzeichen

Wie wir vielleicht selbst schon erlebt haben, umfassen die versteckten Anzeichen von Traurigkeit eine große Bandbreite. Es hilft unserem Verständnis wenig, dass jeder Trauer auf seine ganz eigene Weise erleben kann. Trotzdem gibt es aber einige Gemeinsamkeiten darin, wie wir Traurigkeit wahrnehmen.

Ständige Wut und schlechte Laune

Extreme Wut beruht sehr oft auf Traurigkeit. Wut wirkt wie ein Ventil für Wehmut und ist oft die Form, in der sie sich ausdrückt. Dieser Ärger ist wie ein “Zornesblitz”, der sich zu den ungünstigen Zeiten entlädt. Wenn wir nicht direkt sehen können, was die Ursachen für unsere Traurigkeit sind, oder wir uns weigern, die Realität zu akzeptieren, entsteht Ärger. Wir werden frustriert, haben schlechte Laune und werden im schlimmsten Fall wütend.

Müdigkeit, psychomotorische Langsamkeit und Muskelschmerzen

Emotionen sind nützlich und helfen uns in vielerlei Situationen. Zum Beispiel helfen dabei, auf etwas Wichtiges aufmerksam zu werden, das wir bislang ignorieren. Wenn wir traurig sind, reduziert unser Gehirn seinen Rhythmus, um uns zu verlangsamen und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich möchte uns unser Gehirn sagen, dass es jetzt Zeit ist, in uns zu schauen und emotionale Knoten zu lösen.

Deshalb ist es auch üblich, dass wir an Müdigkeit, Schlaflosigkeit und sogar Muskelschmerzen leiden, wenn wir traurig sind. Es ist ein Warnzeichen für uns, um ein bisschen vom Gas zu gehen und unser Leben zu entschleunigen.

Eine Frau, die ihren Kopf in den Wolken hat

Konzentrationsmangel und Zerstreutheit

Oft hören wir auch, dass es keine Emotionen gebe, die so inspirierend seien wie die Traurigkeit. Dies ist tatsächlich wahr und es ist eines der versteckten Anzeichen, die wir besser im Auge behalten sollten.

  • Wenn wir zerstreut sind, kann es sein, dass wir der Realität zu entfliehen versuchen und nach einem Ort suchen, an dem wir uns ausdrücken als auch allein sein können. Deshalb meiden Menschen soziale Kontakte, wenn sie traurig sind, und deshalb erscheint ihnen die Welt mitunter seltsam. Wir schaffen uns dann einen Rückzugsort, an dem wir wir selbst sein können.
  • Schreiben, zeichnen, komponieren … Das sind alles großartige Möglichkeiten, um unserem Gehirn zu helfen, Emotionen zu verarbeiten und uns auf neue Gedanken zu bringen. Deshalb brauchen wir alle einen kreativen Ort, an dem wir uns darüber bewusst werden können, wo die Ursachen für unsere Traurigkeit liegen bzw. was genau eben diese ausmacht.

Sensibler sein

Ein weiteres Anzeichen dafür, dass wir unsere Traurigkeit unterdrücken, kann Sensibilität sein. Diese macht uns viel empathischer für die Emotionen anderer Menschen. Sie verbindet uns mehr mit den Herzensangelegenheiten als mit denen des Gehirns. So können wir Dinge sehen, die wir vorher nicht bemerkt hatten.

Wir können zum Beispiel stundenlang beobachten, wie Regentropfen über eine Fensterscheibe perlen. Wir können unsere Zeit damit verbringen, zuzusehen, wie der Wind mit den Blättern in den Bäumen spielt … All diese kleinen Dinge können uns plötzlich zu Tränen rühren und das bringt Erleichterung.

Ein Mädchen hält eine Muschel an ihr Ohr.

Erkennen wir diese Anzeichen wieder? Wenn wir versuchen, Traurigkeit zu identifizieren, dann können wir auch lernen, mit ihr umzugehen. Trauer hat die Kraft, uns wachsen zu lassen. Sie ermutigt uns, uns in unser Schneckenhaus zurückzuziehen, nicht um uns zu isolieren, sondern um uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Unser Ziel sollte es sein, auf unsere Bedürfnisse einzugehen, uns mit Freundlichkeit zu behandeln und neue Energie zu erlangen.

Traurigkeit ist da, um uns beim Nachdenken zu helfen und das ultimative Ziel zu erreichen, uns zu verändern. Also, wie wäre es, öfter auf unsere Trauer zu hören, weil es eine Emotion ist, die uns viel über uns verraten kann?


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.