Welchen Zusammenhang es zwischen Intelligenz und Depression gibt

Intelligentere Menschen neigen zu einem grüblerischen Gemüt und fühlen sich von einer Realität, mit der sie sich normalerweise nicht identifizieren können, verdrängt. All dies erhöht das Risiko, an einer emotionalen Störung zu leiden.
Welchen Zusammenhang es zwischen Intelligenz und Depression gibt
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 11. Oktober 2024

Die intelligentesten Menschen treffen nicht immer die besten Entscheidungen. Auch ein hoher Intelligenzquotient ist keine Erfolgsgarantie und kein Garant für Glück. In vielen Fällen passt dieses Persönlichkeitsprofil auf Personen, die keinen Ausweg aus dem Sorgenwirrwarr in ihrem Kopf, aus dem Abgrund der Existenzangst und aus dieser Hoffnungslosigkeit finden, die ihre Optimismusresserven aufbrauchen.

Für gewöhnlich sehen wir diese Kunst-, Mathematik- oder Wirtschaftsgenies als introvertierte Wesen, als ein wenig spezielle und ihren Eigenarten sehr verschriebene Menschen an. Da hätten wir zum Beispiel Ernest Hemingway, Emily Dickinson, Virginia Woolf, Edgar Allan Poe oder Amadeus Mozart, um nur ein paar zu nennen. Geniale, kreative und einzigartige Köpfe, deren Angst sie an den Rand des Abgrunds brachte, wo ihr tragisches Ende bereits sichtbar war.

„Die Intelligenz eines Menschen misst man daran, wie viele Ungewissheiten er ertragen kann.“

Immanuel Kant

Doch ist etwas Wahres daran? Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen einem hohen Intelligenzquotienten und der Erkrankung an einer Depression?

Zuerst sollten wir erwähnen, dass ein hoher IQ nicht zwangsläufig dazu führt, irgendeine psychische Störung zu entwickeln. Allerdings besteht ein erhöhtes Risiko und die Veranlagung dazu, sich übermäßig Sorgen zu machen, sich selbst zu kritisieren, die Realität sehr verzerrt wahrzunehmen und zu Pessimismus zu neigen. All diese Faktoren sind in vielen Fällen „notwendige“ Faktoren, um eine Depression auszulösen.

Natürlich gibt es aber auch Ausnahmen. In unserer Gesellschaft leben brillante Menschen, die ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen und damit nicht nur ihre eigene Lebensqualität steigern, sondern auch die der gesamten Gesellschaft. Dennoch gibt es viele Forschungsarbeiten, Analysen und Bücher, die uns diese typische Tendenz aufzeigen. Vor allem bei Menschen mit einem IQ von über 170 Punkten sei das der Fall.

Mann mit Bart in schwarz-weiß

Was für eine Persönlichkeit haben die intelligentesten Menschen?

The Creative Brain  ist ein sehr hilfreiches Buch, um zu verstehen, wie der Verstand und das Gehirn der intelligentesten und kreativsten Menschen funktionieren. Es beinhaltet eine von der Neurologin Nancy Andreasen durchgeführte Studie, mit der sie veranschaulicht, dass die Genies unserer Gesellschaft stark dazu neigen, unterschiedliche Störungen zu entwickeln, insbesondere bipolare Störungen, Depressionen, Angstzustände und Panikattacken.

Schon Aristoteles erklärte uns seinerzeit, dass die Intelligenz Hand in Hand mit der Melancholie gehe. Äußerst kluge Köpfe, wie Sir Isaac Newton, Arthur Schopenhauer oder Charles Darwin litten zeitweise unter Neurosen und Psychosen. Virginia Woolf, Ernest Hemingway oder Vincent van Gogh gingen leider sogar soweit, sich selbst das Leben zu nehmen.

All das sind bekannte Persönlichkeiten. Aber in unserer Gesellschaft gab es schon immer stillschweigende, nicht verstandene und einsame Genies, die abgeschottet von der Realität, die für sie zu chaotisch, sinnlos und enttäuschend war, in ihrem eigenen Universum lebten.

Studien mit sehr intelligenten Menschen

Sigmund Freud studierte mit seiner Tochter Anna Freud die Entwicklung einer Gruppe von Kindern mit einem IQ, der höher als 130 war. In seiner Studie fand er heraus, dass fast 60 % dieser Kinder irgendwann eine schwere Depression entwickelten.

Auch die Forschungsarbeiten des Vorreiters auf dem Gebiet der Erziehungspsychologie, Lewis Terman, sind weltbekannt. Es war in den 60er Jahren, als er eine langjährige Studie mit höchst intelligenten Kindern begann, deren IQ höher als 170 war und die an einem der berühmtesten Experimente in der Geschichte der Psychologie teilnahmen. Diese Kinder wurden „Termiten“ genannt. Erst Anfang der 90er konnten wichtige Schlussfolgerungen gezogen werden.

Bild von van Gogh

Die Intelligenz: eine schwere Last

Die „Termiten“, die Kinder der Studie von Lewis Terman, die mittlerweile erwachsen sind und sogar schon ein hohes Alter erreicht haben, sagen, dass eine ausgeprägte Intelligenz im Zusammenhang mit einer geringeren Lebensqualität stehe. Obwohl viele von ihnen einen gewissen Ruhm erlangten und einen relativ hohen Stellenwert in der Gesellschaft erreichten, versuchten sich einige von ihnen mehr als nur einmal das Leben zu nehmen oder entwickelten ein Suchtverhalten, wie Alkoholismus.

Ein weiterer bedeutender Aspekt, der von dieser Menschengruppe hervorgehoben wurde und ebenfalls bei anderen intelligenten Menschen zu finden ist, ist, dass sie sehr sensibel auf die Probleme der Welt reagieren. Sie sorgen sich nicht nur um allgegenwärtige Ungerechtigkeiten, den Hunger in der Welt oder Kriege. Äußerst intelligenten Personen missfallen egoistische, irrationale oder wenig logische Verhaltensweisen.

Der Blind spot und die emotionale Last intelligenter Menschen

Experten sagen uns, dass extrem intelligente Menschen manchmal an einer sogenannten dissoziativen Persönlichkeitsstörung leiden. Das heißt, dass sie ihr Leben von außen ansehen, so wie der Erzähler einer Geschichte, der in der dritten Person spricht, um ihre Realität pedantisch objektiv zu betrachten, ohne sich allerdings als Herr über dieses Leben zu fühlen.

Dieser Ansatz führt dazu, dass sich häufig „Blind spots“ breitmachen; ein Konzept, das im Wesentlichen mit der emotionalen Intelligenz zu tun hat und das Daniel Goleman in seinem interessanten Buch mit gleichlautendem Titel behandelte. Dabei handelt es sich um Selbsttäuschungen, extrem verzerrte Sichtweisen, wenn wir uns dafür entscheiden, worauf wir uns konzentrieren und was wir ignorieren, um nicht die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen.

Plakat mit der Aufschrift "Willkommen in der Realität"

Was sehr intelligente Menschen oft machen, ist, sich ausschließlich auf die Schwächen ihres Umfelds zu konzentrieren. Sie haben das Gefühl, umgeben von dieser gemeinen Menschheit zu sein, in dieser fremden und egoistischen Welt, in denen es ihnen von Natur aus unmöglich ist, sich anzupassen. Oft fehlt es ihnen an angemessenen emotionalen Fähigkeiten, um alles zu relativieren, um sich besser anzupassen, um ein Gleichgewicht zwischen diesem Dschungel der Außenwelt und dieser Ungleichheit zu finden, die sie so sehr verwirrt.

Darüber hinaus können wir über sehr intelligente Menschen sagen, dass sie auf der soeben genannten Ebene, auf emotionaler Ebene, häufig ernste Mängel aufweisen. Das führt uns zu einer anderen Schlussfolgerung: Dem stets überschätzen Intelligenzquotienten sollte noch ein weiterer Faktor hinzugefügt werden, wenn es darum geht, psychometrische Tests durchzuführen. Die Rede ist von der „Weisheit“, von diesem Erfahrungsschatz, um täglich wahrhaft zufrieden sein zu können, um eine gute Selbstwahrnehmung, ein starkes Selbstwertgefühl und diese geeigneten Fähigkeiten zu entwickeln, um besser mit unseren Mitmenschen zusammenzuleben zu können und um wahrhaft glücklich zu sein. Um das einfache, aber greifbare Glück zu finden.


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