Was ist Polyamorie?
Vielleicht hast du schon einmal etwas von Polyamorie, einem weltweit und jeden Tag stärker werdenden Trend gehört. Für viele handelt es sich dabei um echte Schamlosigkeit oder einen zum Scheitern verurteilten Versuch der Legitimation entsprechender Verhaltensweisen. Für andere wiederum ist es ein Ausdruck, der der geheuchelten Treue ein für allemal ein Ende setzen kann.
Es gibt Menschen, die es noch nie geschafft haben, in einer Beziehung treu zu bleiben. Sie wissen, dass sie damit manchmal Schaden anrichten, aber für sie ist es unmöglich, nur einen Partner zu lieben. Egal, wie sehr sie sich auch bemühen, sie können niemals nur eine Person lieben. Sind das falsche, perverse, unmoralische oder schrecklich egoistische Menschen?
„Promiskuität ist ein genetischer Zwang. Und weder Monogamie noch Polygamie haben den intensiven sexuellen Zwang gelöst, der den Menschen beschämt, seit er die Gesellschaft mit kastrierenden moralischen Normen und starren ethischen Kriterien organisiert hat.“
José Luis Rodríguez Jiménez
Wer die Polyamorie praktiziert, antwortet auf diese Frage mit einem entschiedenen Nein. Man muss Menschen, die mit den Gefühlen mehrerer Personen spielen, von denen unterscheiden, die mehr als nur einen Partner auf einmal aufrichtig lieben. Diese Einstellung ist umstritten. Aber auch wenn es keine Statistiken gibt, ist dennoch bekannt, dass sich immer mehr Menschen diesem Trend anschließen.
Polyamorie und Treue
Polyamorie-Anhänger gelten nicht als untreue Menschen. Ganz im Gegenteil. Sie zeigen ihren Partnern gegenüber eine große Aufrichtigkeit und Loyalität. Oft haben sie viele Partner, einige in der realen und ein paar in der virtuellen Welt. Sie definieren das als eine neue und avantgardistische Art, Liebe zu verstehen und glücklicher zu sein.
Sie argumentieren darüber hinaus, dass Treue in den meisten Fällen nichts anderes als Heuchelei sei. Man weiß, dass es Millionen von Paaren gibt, die sich wegen Untreue haben scheiden lassen. Es ist auch bekannt, dass sich in vielen stabilen Ehen irgendwann einmal Geschichten mit einem dritten Menschen ereignet haben. Deshalb sind sie der Meinung, dass das natürliche Verhalten des Menschen darin bestehe, nicht nur einen Partner, sondern mehre zu haben.
Für Polyamoristen ist Untreue etwas Schmerzhaftes. In ihren Augen ist es eine ehrliche und gesunde Vereinbarung, mehrere Partner gleichzeitig und mit der Zustimmung aller zu haben. Sie behaupten, dass die Monogamie nur auf der Grundlage von Vorurteilen und Schuldgefühlen, nicht aber aus wahrer Liebe aufrechterhalten werde.
Monogamie in der heutigen Gesellschaft
Viele der Menschen, die sich als monogam definieren, sind nur eine Weile lang monogam. Das ist eine Realität, die wir Tag für Tag erleben können. Manche haben vielleicht keine Dreiecksbeziehungen, aber sie bleiben auch nicht ihr ganzes Leben lang bei einem einzigen Partner. Einem einzigen Menschen treu zu bleiben, wäre aber der Inbegriff von Monogamie.
Die exklusive Beziehung zwischen zwei Menschen war eine Erfindung der Romantik. Unsere entfernteren Vorfahren hingegen waren polygam. Vielleicht gab es mehr Stabilität in Beziehungen, in denen man Kinder hatte, aber das wurde nicht als Verpflichtung zur Exklusivität verstanden.
Die Monogamie wurde sozial gegründet, um das Thema Erbe und Vermächtnis angemessen zu organisieren. Die Ehe war im Grunde genommen ein rechtsgültiger Vertrag, der das Eigentum für den gemeinsamen Nachwuchs sicherte. Im Prinzip bedeutete das Ehegelöbnis jedoch nicht, sich die ewige Liebe zu schwören. Diese Vorstellung wurde erst vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten populär, als man die Liebe zunehmend idealisierte.
Funktioniert Polyamorie?
Es gibt nur wenige Studien zu diesem Thema. Aber Menschen, die in verschiedenen Medien von ihrem Standpunkt aus darüber berichtet haben, behaupten, dass Polyamorie viel besser funktionieren würde als Monogamie. Das Geheimnis liege im Vertrauen, der Aufrichtigkeit und Akzeptanz der nicht-monogamen Beziehungen, die jeder Einzelne haben könne. Es wird nicht mehr von „Partnern“ als solchen gesprochen, sondern von „Multipartnern“.
Diejenigen, die an Polyamorie glauben, sagen, dass die Zuneigung, die sie zu jedem ihrer Partner empfinden würden, völlig aufrichtig sei. Jede dieser Lieben habe ihre eigene Dynamik und ihre eigene Art, sich auszudrücken. Wer denkt, es gehe nur darum, mit mehreren Personen Sex zu haben, liegt also falsch. Im Gegenteil, in dieser Art von Beziehung hat man eine starke affektive Bindung zu jedem Partner.
In Eve Rickert’s Buch More Than Two (Mehr als zwei, noch nicht auf Deutsch verfügbar) erklärt einer der Polyamoristen: „Ich habe seit Jahrzehnten langjährige Beziehungen. Es gibt sicher einfachere Möglichkeiten, Sex mit verschiedenen Menschen zu haben, wenn es das ist, was einen interessiert.“ Ein weiterer Befragter ergänzt: „Unsere Beziehungen sind viel anspruchsvoller.“ Polyamorie ist daher nicht mit unbegrenztem Vergnügen gleichzusetzen, sondern eine andere Einstellung in Sachen Liebe, die von Herzen kommt.
Kritiker hingegen versichern, dass wir die Polyamorie nicht als Option ansehen dürften, so wie es einst bei der homosexuellen Liebe der Fall war. Auch über diesen Punkt kommen wir so langsam hinweg. Möglicherweise müssen neue Arten von Lebenspartnerschaften erfunden werden, um mehr als zwei Personen mit einzubeziehen. Eventuell sollte darüber hinaus eine Debatte in der Gesellschaft angeregt werden, um festzustellen, ob es an der Zeit ist, dass wir die Liebeswelt anders betrachten, oder zumindest nicht die Arten von Partnerschaften verurteilen, die andere für sich auswählen.