Warum lügen manche Menschen in der Therapie?

Es braucht Mut, in einer Therapie die innersten Gedanken, Ängste und Unsicherheiten offenzulegen. Deshalb sind Lügen in dieser Situation keine Seltenheit, doch sie behindern den Heilungsprozess und den Therapieerfolg.
Warum lügen manche Menschen in der Therapie?
Sara González Juárez

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Sara González Juárez.

Letzte Aktualisierung: 27. November 2022

Menschen, die leiden, die sich eingestehen, dass sie Hilfe benötigen und die endlich den Schritt zur Therapie wagen: Für viele von ihnen ist es ein finanzieller und emotionaler Aufwand, die Dienste eines Psychologen in Anspruch zu nehmen. Warum lügen viele Menschen trotz dieser Bemühungen und trotz ihres Mutes in der Therapie?

Es ist ein Paradoxon: Du hast dich entschlossen, an deinem Problem zu arbeiten und eine Therapie zu machen, die dich damit konfrontiert – warum dich selbst mit Lügen sabotieren? Schließlich hast du es mit einer Fachkraft zu tun, die dich nicht verurteilen wird, sondern versucht, dir zu helfen.

Studien zufolge liegt die Häufigkeit dieses Verhaltens je nach Land bei 70 bis 96 %. In dieser Situation ist es wichtig zu bedenken, dass jeder Mensch anders ist und dass die gesellschaftliche Akzeptanz noch viel zu wünschen übrig lässt. Werfen wir also einen Blick auf weitere Fakten zu diesem Phänomen und ergründen wir seine Komplexität.

Frau lügt in der Therapie
Gründe für das Lügen in der Therapie können Scham, das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung oder die Ablehnung der Therapie sein.

Lügen in der Therapie: Warum?

Um sich in der Therapie zu öffnen und auf der Couch alle Probleme offenzulegen, müssen psychologische und emotionale Entschlossenheit im Einklang sein. Ein Beispiel: Eine Person ist vielleicht davon überzeugt, dass sie in einer Therapie ihre Ängste überwinden kann, sie fürchtet jedoch die negativen Folgen, wenn sie jene Persönlichkeitsaspekte erforscht, die diese Angst begünstigen.

Obwohl diese Dissonanz zu den häufigsten zählt, gibt es noch viele andere Faktoren, die zu Lügen in der Therapie führen. Wir schauen uns einige an, die viele stark beeinflussen.

1. Unzureichende Beziehung zwischen Psychologe und Patient

Man darf nicht vergessen, dass Psychologen auch nur Menschen sind. Deshalb kann es vorkommen, dass sie nicht in der Lage sind, zu einem Patienten eine angemessene Beziehung aufzubauen. Vielleicht kann die zu behandelnde Person kein Vertrauen aufbauen, vielleicht ist die gewählte Therapie einfach nicht der richtige Weg, auch wenn es sich um eine erfahrene Fachkraft handelt.

2. Ablehnung der Therapie

Es ist auch zu bedenken, dass nicht alle Menschen freiwillig zum Psychologen kommen. Paare mit Ultimaten, Jugendliche oder kleine Kinder lehnen die Behandlung vielleicht von vorneherein ab und fühlen sich unwohl. Lügen sind in diesen Fällen eine sehr verbreitete Methode, um sich jener Person, die auf die Therapie besteht, entgegenzustellen. 

3. Schamgefühle

Auch wenn die Person weiß, dass es nicht die Aufgabe des Psychologen ist, Urteile zu fällen, können die Schamgefühle intensiv sein und zu Lügen führen. Eine suchtkranke Person kann sich beispielsweise nach einem Rückfall sehr miserabel fühlen, auch wenn die therapierende Fachkraft keine moralische Bewertung vornimmt.

4. Soziale Anerkennung

Menschen, für die soziale Anerkennung besonders wichtig ist, haben das Bedürfnis, ein positives Selbstbild zu schaffen. Das hängt außerdem mit den Überzeugungen des Patienten und jenen, die er dem Therapeuten zuschreibt, zusammen. Eine Person, die mehrere Liebschaften pflegt, ihre moralischen Werte über Monogamie jedoch nicht überarbeitet hat, könnte sich entschließen, in der Therapie darüber zu schweigen oder zu lügen.

5. Mangelnde Selbstbeobachtung

Patienten müssen sich in einer Therapie ihren Ängsten und ihrer verzerrten Wahrnehmung der Realität stellen. Sie müssen ihre Gedanken und Verhaltensweisen überprüfen und über unbewusste Dynamiken nachdenken. Auf diesem Weg tauchen Lügen oft als automatischer Mechanismus auf: Es kann sich um eine Abwehrstrategie handeln oder um den Versuch, widersprüchliches Verhalten zu rechtfertigen.

Solange die Person diesen psychologischen Prozess nicht entwirrt, wird sie die wahren Gründe für ihr Handeln nicht erkennen. Es handelt sich in diesem Fall um unfreiwillige Lügen, denn die zu behandelnde Person wagt es nicht, über bestimmte Dinge nachzudenken oder darüber zu sprechen.

Mann in der Therapie
Um Lügen in der Therapie zu vermeiden, ist ein sicheres Umfeld grundlegend.

Wenn Patienten in der Therapie lügen

Was macht die Therapeutin oder der Therapeut, wenn Patienten in der Therapie lügen? Sie sind natürlich darauf vorbereitet und setzen verschiedene Strategien ein, um der Person zu helfen. Besonders wichtig ist, ein sicheres Umfeld zu schaffen, das frei von Werturteilen ist. Auch die Kommunikationsfähigkeiten sind grundlegend, um den Patienten das Gefühl der Sicherheit und der Diskretion zu vermitteln.

Die Fachkraft hilft der betroffenen Person, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und Ängste oder Schamgefühle zurückzulassen, denn Lügen sind in einer Therapie nicht konstruktiv: Sie stehen dem Heilungsprozess im Weg und behindern den Therapieerfolg. Lügen in der Therapie sind keine Seltenheit, eine gut ausgebildete Fachkraft weiß jedoch, damit umzugehen und ihren Patienten zu helfen.


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