Warum gibt es immer weniger authentische Menschen?
Enttäuschungen, unverständliches Verhalten, zerbrechliche Beziehungen – immer mehr Menschen scheinen ein Doppelleben zu führen: Sie sind nicht, was sie vorgeben zu sein. Authentizität und Unverfälschtheit sind Eigenschaften, die immer mehr verloren gehen. Das schmälert leider unser Potenzial und gefährdet viele Beziehungen. Doch warum gibt es immer weniger authentische Menschen?
Natürlich gibt es ehrliche und transparente Menschen, zu denen wir uns aufgrund ihrer Authentizität hingezogen fühlen. Es lohnt sich, mit ihnen eine Freundschaft oder eine Beziehung aufzubauen, die bereichernd, verlässlich und konstant sein kann. Wir beobachten jedoch, dass authentische Menschen immer mehr zur Ausnahme werden: Unsere moderne Gesellschaft, die Erziehung und das virtuelle Universum spielen dabei eine wesentliche Rolle. Werte wie Ehrlichkeit, Pflicht und Recht verschwimmen und lassen Raum für Ängste und Unsicherheiten. Die Angst authentisch zu sein, ist eine Krankheit der modernen Welt, die Unzufriedenheit und frustrierte Beziehungen erklärt.
Wenn du nicht in der Lage bist, dich authentisch zu zeigen, kannst du dein wahres Selbst nicht erleben und kein erfülltes Leben führen.
Warum die Anzahl authentischer Menschen sinkt
Kinder sind in der Regel spontan, aufrichtig und authentisch. Sie zeigen sich neugierig und reagieren ohne Filter. Im Laufe der Jahre werden sie jedoch durch Erziehung, Gesellschaft und Medien geprägt und sie verlieren eben jene Spontaneität und Authentizität zunehmend. Ihre impulsive Ehrlichkeit verschwindet hinter einer Maskerade.
Wir können jedoch nicht jede Verantwortung abgeben und dem Umfeld oder der Gesellschaft die Schuld geben. Menschen, die nicht authentisch sind, haben grundsätzlich Angst davor, ihr wahres Ich zu zeigen. Aber keine Frage: Sich zu zeigen, erfordert Mut und in vielen Fällen einen Bruch mit Gewohnheiten, gesellschaftlichen Erwartungen oder Perspektiven. Es ist keine leichte Aufgabe, in einer globalisierten Welt, die ein einheitliches Bild bevorzugt, die eigene Stimme zu erheben und gegen den Strom zu schwimmen. Deshalb wollen wir heute verschiedene Variablen betrachten, die diesen Wert – diese Triebfeder des menschlichen Wohlbefindens – behindern.
Unsere Versuche, anderen zu gefallen, lenken von unserer Authentizität ab.
Authentizität erfordert Selbstreflexion
Eine Studie, die in der Zeitschrift Annals of the American Psychotherapy veröffentlicht wurde, unterstreicht die Bedeutung von Authentizität für ein angemessenes psychisches Wohlbefinden und Gleichgewicht. Dafür gibt es einen wesentlichen Grund: Um authentisch zu sein, müssen wir ständig daran arbeiten, unsere Essenz, unsere Werte und unseren Charakter zu bewahren.
Die meisten entwickeln jedoch kein authentisches Selbstbewusstsein. Denn um es zu erlangen, müssen wir mit unseren Gefühlen, Gedanken und Bedürfnissen in Kontakt kommen und entsprechend leben. Wer nur darauf schaut, was von ihm erwartet wird, und dabei seine Innenwelt vernachlässigt, ist in der Verpflichtung gefangen, eine Rolle einzunehmen. Diese Menschen fügen sich in die Gesellschaft ein, während sie ihre eigene Identität vergessen.
Vortäuschen, um akzeptiert zu werden
Ein fünfjähriges Kind wird als unschuldig, impulsiv, spontan und ehrlich betrachtet, doch ab der Vorpubertät, mit rund zwölf Jahren, ist dies nicht mehr der Fall. In diesem Alter werden sich Kinder bewusst, dass eine Anpassung notwendig ist, um von Gleichaltrigen akzeptiert zu werden. Wer anders ist, wird abgelehnt oder sogar gemobbt.
In diesem Moment beginnt die langsame und fortschreitende Loslösung vom individuellen Selbst, das sich als kollektives Selbst verkleidet. Die Suche nach Anerkennung führt dazu, dass viele vorgeben, anders zu sein, als sie tatsächlich sind. Sie passen sich so an eine soziale Gruppe an, verlieren jedoch ihr wahres Wesen, ihre Authentizität.
Soziale Netzwerke verwässern das authentische Selbst
Soziale Netzwerke spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Dies ist insbesondere bei der jüngeren Bevölkerung zu beobachten. Jugendliche betrachten sich im Spiegel neuer Technologien und nutzen diese, um sich selbst zu definieren und die Welt zu verstehen. Das digitale Universum ist die Bühne, auf der der gefährliche soziale Vergleich stattfindet.
Eine Studie der Universität von Lettland unterstreicht genau diesen Punkt: Jugendliche nutzen digitale Medien für ihre Identitätsentwicklung. Das erklärt Faktoren wie ein zerbrechliches Selbst, das von geringem Selbstwertgefühl, Ablehnung des eigenen Körpers und zunehmend unbeständigen Beziehungen geprägt ist.
Die Tyrannei des Gleichen bedeutet, dass nicht die Authentizität, sondern die Normativität belohnt wird: Die Gesellschaft bestimmt, was schön, akzeptabel oder unpassend ist.
Die sozialen Medien zwingen uns, Masken und Filter zu tragen, ein Scheinleben zu führen und auf eine Bühne zu blicken, die Unwahrheiten verbreitet. Authentizität triumphiert nicht, “normative” Körper und “normative” Emotionen wie Glück und Erfolg stehen im Vordergrund.
Es gibt immer weniger authentische Menschen, da wir das Anderssein nicht schätzen
Woran erkennst du authentische Menschen? Oft ist es nicht einfach, sie von maskierten Personen zu unterscheiden. Das geht aus einer Studie der Universität Columbia hervor. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem viele Schwindler nicht von authentischen Menschen differenzieren können. Es sind unter anderem Menschen, die sich erlauben, verletzlich zu sein, ihre Gefühle klar zum Ausdruck bringen. Wenn jemand seine Gefühle zeigt, kann er als dramatisch und falsch abgestempelt werden. Das führt zweifellos dazu, dass wir unsere Gefühle unterdrücken, aus Angst vor Kritik und Verachtung.
Wenn Menschen nicht mehr echt sind, liegt das vielleicht daran, dass wir es nicht mehr zulassen. Wir haben Angst, dass Authentizität missverstanden oder sogar bestraft werden könnte. Hast du auch schon über dieses Thema nachgedacht?
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