Soziale Kognition und Borderline-Persönlichkeitsstörung

"Ich bin ein Wunsch, der in der Leere schwebt." So beschrieb die argentinische Dichterin Alejandra Pizarnik, die selbst an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung litt, ihren emotionalen Zustand.
Soziale Kognition und Borderline-Persönlichkeitsstörung
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 10. Februar 2023

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung zählt zu den schwersten klinischen Störungen: Betroffene erleben intensive Emotionen, die Beziehungen schwierig gestalten. Sie fühlen sich häufig von ihrem Umfeld im Stich gelassen, denn stabile Beziehungen sind eine Ausnahme. Zwar experimentieren Borderline-Patienten ein starkes Bedürfnis nach Nähe, doch sie sind nicht fähig, diese zuzulassen und empfinden häufig Verachtung. Manipulatives Verhalten weist jedoch vielfach auf ihre seelische Notlage hin. Wir sehen uns heute an, welche Rolle in diesem Zusammenhang die soziale Kognition spielt.

Die argentinische Dichterin Alejandra Pizarnik¹ reflektierte diese Beziehungsprobleme in ihren Texten auf erdrückend schöne Weise, denn sie litt selbst an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung – ein komplexes Krankheitsbild, das sie nur allzu gut kannte.

“Lass mich nicht im Stich, auch wenn ich mich selbst im Stich gelassen habe.”

Alejandra Pizarnik

Frau mit Borderline-Persönlichkeitsstörung blickt in kaputten Spiegel
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) sind sehr instabil, impulsiv und haben ernste Schwierigkeiten, mit anderen in Beziehung zu treten.

Eine Annäherung an die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)

Diese Persönlichkeitsstörung äußert sich durch Instabilität und Überempfindlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen. Dieses Verhalten beginnt meist in der Jugend und prägt auch viele im Erwachsenenalter. Auch extreme Stimmungsschwankungen und Impulsivität sind charakteristisch. Betroffene haben Schwierigkeiten damit, ihre Emotionen zu regulieren (APA, 2015).

Die American Psychiatric Association beschreibt folgende Anzeichen, von denen für eine Diagnose mindestens fünf vorhanden sein müssen:

  • Betroffene vermeiden mit allen Mitteln, sich einsam oder verlassen zu fühlen.
  • Ihre Beziehungen zu anderen sind instabil und wechselhaft.
  • Ein instabiles Selbstbild führt zu Identitätsproblemen.
  • Betroffene handeln extrem impulsiv.
  • Drohungen mit Selbstverletzung sind häufig.
  • Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind psychisch instabil.
  • Sie fühlen eine extreme Leere.
  • Außerdem neigen sie zu unkontrollierter Wut, da es ihnen an Beherrschung mangelt.
  • Sie können auch paranoide und dissoziative Ideen entwickeln. 

Der Ursprung dieses Krankheitsbildes ist noch nicht ausreichend erforscht. Experten gehen allerdings davon aus, dass Kindheitstraumata eine wesentliche Rolle spielen könnten. Der Psychoanalyst Adolph Stern ordnet diese schwerwiegende psychiatrische Krankheit wie auch Sigmund Freud in ein Grenzgebiet zwischen Neurose und Psychose ein.

Andererseits hat sich gezeigt, dass auch ein Umfeld, das die Gedanken und Gefühle eines Kindes einschränkt, einen Risikofaktor darstellt (Belloch, 2022).

“Ich bin ein Wunsch, der in der Leere schwebt.”

Alejandra Pizarnik

Was ist soziale Kognition?

Die soziale Kognition beschreibt die Art und Weise, wie wir über andere denken. Es geht darum, wie Menschen Informationen aus ihrem sozialen Umfeld verarbeiten.

Dieser Begriff umfasst also unter anderem folgende Fähigkeiten (Coma, 2021): ein Urteil über die Beziehungen zu anderen zu fällen, sich selbst und das soziale Umfeld zu bewerten und Gedanken und Handlungen anderer Menschen zu verstehen. Wir müssen in der Lage sein, mentale Repräsentationen über andere und über uns selbst zu erstellen, und diese mentalen Repräsentationen anzuwenden, um Bewertungen vornehmen und Entscheidungen treffen zu können.

Soziale Kognition und Borderline-Persönlichkeitsstörung

Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung reagieren außerordentlich empfindlich auf Botschaften von anderen. Sie haben große Schwierigkeiten, sie zu entschlüsseln und interpretieren meist eine falsche Absicht, da sie Angst vor Ablehnung haben. Dies hängt mit der sozialen Kognition zusammen (Belloch, 2022):

  • Borderline-Patienten tun sich schwer damit, die Absicht anderer zu erkennen und ihre Gedanken und Handlungen zu interpretieren.
  • Außerdem mangelt es ihnen an Einfühlungsvermögen: Sie können die Emotionen anderer schwer erkennen.

“Ich weiß nicht, wie man wie alle anderen spricht, meine Worte klingen seltsam und kommen von weit her, von dort, wo nichts ist, von Begegnungen mit niemandem.”

Alejandra Pizarnik

Für Borderline-Patienten ist es also schwierig, sich auszudrücken und das Gemisch von Gefühlen zu verstehen, das uns Menschen auszeichnet. Das führt dazu, dass zwischenmenschliche Beziehungen für sie oft sehr unangenehm sind. Dies könnte auf ein Defizit in der Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren, zurückzuführen sein.

Dieses Defizit kann seinen Ursprung in der Kindheit haben. In dieser Lebensphase lernen Kinder, wie sie mit sich selbst und anderen in Beziehung treten können und bauen Bindungen zu nahestehenden Personen auf. Wenn die primären Bezugspersonen keine gesunde Bindung möglich machen, kann das Kind die soziale Kognition nicht auf gesunde Weise entwickeln.

“Die Sprache ist für mich eine Herausforderung, eine Mauer, etwas, das mich ausgrenzt, das mich fernhält.”

Alejandra Pizarnik

Kind mit Teddybär ohne soziale Kognition
Die soziale Kognition entwickelt sich in der Kindheit.

Epistemisches Misstrauen

Belloch (2022) bezeichnet eine der Folgen dieser fehlenden sozialen Interaktion in der Kindheit als “epistemisches Misstrauen”. Dieser Begriff bezieht sich auf die Tatsache, dass Betroffene lernen, sich an ein familiäres Umfeld anzupassen, das von Missbrauch und Feindseligkeit geprägt ist.

Als Erwachsene verfolgen und überwachen sie ihr soziales Umfeld intensiv, um nach versteckten Absichten zu suchen, die darauf abzielen, ihnen zu schaden. Diese Absichten sind jedoch oft nicht vorhanden. Das bereitet ihnen großes Unbehagen.

Wie wir gesehen haben, haben Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ernsthafte Schwierigkeiten in der sozialen Wahrnehmung – vorwiegend im Umgang mit anderen, weil es ihnen schwerfällt, deren Absichten zu erkennen. Sie haben Schwierigkeiten, ihr eigenes Verhalten zu regulieren, was zu Instabilität führt.

Glücklicherweise wurden für diese Patienten erfolgreiche Therapien entwickelt: Die Dialektisch-Behaviorale Therapie und die Mentalisierungsbasierte Psychotherapie kommen beispielsweise erfolgreich zum Einsatz.

Literaturempfehlung

  1. In einem Anfang war die Liebe Gewalt: Tagebücher, Alejandra Pizarnik, Ammann 2007

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  • Belloch, A. (2023). Manual De Psicopatologia. Vol. II (2.a ed.). MCGRAW HILL EDDUCATION.
  • First, M. B. (2015). DSM-5. Manual de Diagnóstico Diferencial. Editorial Médica Panamericana.
  • Gonzalez, A. A. C. (2021). Cognición social en mujeres con trastorno límite de la personalidad y su relación con psicopatología y maltrato infantil (Doctoral dissertation, Universitat Rovira i Virgili).
  • Diaz, E. O. (2021). La cognición social y el funcionamiento social: posibles endofenotipos del trastorno de la personalidad límite (Doctoral dissertation, Universidad Miguel Hernández).

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.