Selektives Gedächtnis - Wieso erinnern wir manche Dinge und manche nicht?

Selektives Gedächtnis - Wieso erinnern wir manche Dinge und manche nicht?
Fátima Servián Franco

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Fátima Servián Franco.

Letzte Aktualisierung: 09. Februar 2023

Unser Gedächtnis funktioniert selektiv, es erinnert nicht alle Erlebnisse und Erfahrungen auf die gleiche Weise. Der Psychologe William James sagte dazu: “Wenn wir uns an alles erinnern würden, wären wir genauso krank, wie wenn wir uns an nichts erinnern würden.”

Wir speichern bestimmte Erinnerungen sehr tief in unserem Geist und wir erinnern uns perfekt und auch nach langer Zeit an sie. Auf der anderen Seite gibt es Dinge, die wir uns nicht so gut merken können, die wir leicht vergessen. Es ist auch kein Zufall, dass wir uns zeitweise an ein Ereignis aus der Vergangenheit erinnern können, und dann wieder nicht. All das zeigt, dass unser Gedächtnis Informationen nicht gleich behandelt.

Lass uns in die faszinierende Welt des selektiven Gedächtnisses eintauchen!

Die Grundlage unserer Identität ist das Gedächtnis

Erinnerungen wirken auf den Menschen. Nicht nur in Bezug auf allgemeine Fragen, sondern auch in Bezug auf Überzeugungen und Vorstellungen unserer selbst, die unsere Identität prägen. Wir sind unsere Erinnerungen.

Aber unsere Identität ist nicht die Summe all der Ereignisse, an denen wir beteiligt waren. Wir archivieren nicht alle Tage unseres Lebens auf die gleiche Art und Weise. Unser Gedächtnis ist eben keine genaue Aufzeichnung dessen, was wir wahrgenommen haben, was sich darin zeigt, dass wir uns nur an das erinnern, was für uns in irgendeiner Weise bedeutungsvoll war. Aus diesem Grund beruht unsere Identität auf einer Sammlung von Erinnerungen, die ihrerseits vom selektiven Gedächtnis für uns ausgewählt wurden.

“Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.”

Jean Pau

Frau am Bahnsteig, der anders aussieht, als sie ihn in Erinnerung hat

Wenn wir über unsere Erinnerungen nachdenken, kommen wir zu dem Schluss, dass es bestimmte Momente gibt, an die wir uns sehr genau erinnern. Es gibt jedoch andere, die weniger klar erscheinen. Und es gibt noch andere, bei denen uns andere Menschen das Gefühl geben, dass wir sie vollständig aus unserer Erinnerung gelöscht hätten. Warum erinnern wir uns aber nur an jene Ereignisse und nicht an andere?

  • Der Hauptgrund ist, dass unsere Sinne, um Informationen zu speichern und sie später abrufen zu können, diese detailliert erfassen müssen. Damit das geschieht, müssen unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf den eingehenden Reiz gerichtet sein. Wenn das nicht der Fall ist, werden wir die Erinnerungen an das verlieren, was gerade passiert.
  • Wiederholung ist ein weiterer Faktor, der Erinnerungen in unserem Gedächtnis festigt.
  • Zudem scheint die Selektivität im Phänomen der kognitive Dissonanz begründet zu liegen. Dieses tritt auf, wenn wir zwei gegensätzliche Meinungen in unseren Köpfen aufrechterhalten. Das ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Um dieses negative Gefühl zu mildern, neigen wir dazu, eine der beiden Ansichten abzulehnen, indem wir die gegensätzliche Überzeugung bestärken, und so den Konflikt zu beseitigen.

Warum erinnert sich unser Gedächtnis an das Gute?

Wir fühlen uns schuldig, wenn wir etwas getan haben, dass gegen unsere Überzeugungen oder Gefühle verstoßen hat. Was wir dann tun, ist, unser selektives Gedächtnis zu nurzen, um einen Weg zu finden, die Situation anders darzustellen, bis wir uns davon überzeugt haben, dass die unsere die einzig richtige Entscheidung war. Selbst wenn wir uns im tiefsten Inneren wünschen, diese Entscheidung nicht getroffen zu haben: Indem wir unsere Gedanken verzerren, wird die Erinnerung an diese Entscheidung im Laufe der Zeit in eine positive verwandelt.

Zum unserem Schutz neigt unser Gedächtnis dazu, sich an das Gute zu erinnern, und die negativen Ereignisse, die uns Schmerzen verursachen, aus unserem Gedächtnis zu entfernen. Aber nicht alles, was schmerzt, kann vergessen werden. Manchmal erinnern wir uns auch aus Gründen, die nicht sofort offensichtlich sind. Die Wissenschaft hat jedoch gezeigt, dass es möglich ist, unseren Geist darauf zu trainieren, unangenehme Momente zu vergessen. Das hat der Psychologe Gerd Thomas Waldhauser von der Universität Lund (Schweden) bestätigt. Diese Art des Trainings spielt in der Aufarbeitung von Traumata eine Rolle und ist sehr nützlich für Menschen mit Symptomen der Depression oder posttraumatischen Belastungsstörung.

Frau, deren Gesicht unter Schmetterlingen verborgen ist

Wir können deutlich sehen, dass die Funktion des selektiven Gedächtnisses darin besteht, eine Auswahl unserer Erinnerungen zu treffen. Es legt jede Erinnerung dorthin, wo sie hingehört. Einige Erinnerungen bleiben tief verborgen, weil wir das Gefühl haben, dass sie nicht wirklich wichtig seien. Das kann sich zu einem späteren Zeitpunkt übrigens ändern. Andere Erinnerungen werden “nach vorn gelegt”, für den wahrscheinlichen Fall, dass wir sie bald wieder abrufen müssen.

Erinnerung wird immer selektiv sein, weil sie mit unseren Emotionen verbunden ist. Aber erinnern wir uns an das, was wir wollen, oder an das, was unser Gedächtnis will?

“Dank unserer Erinnerungen haben wir das, was wir Erfahrung nennen.”

Aristoteles


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.