Selektive Essstörung: Wenn die Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel krank macht

Manche Personen essen jahrelang nur Kartoffeln oder Pizza und reagieren bei allen anderen Lebensmitteln mit Ekel oder Angst. Hinter dieser einseitigen Ernährungsform könnte sich eine selektive Essstörung verbergen.
Selektive Essstörung: Wenn die Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel krank macht
Elena Sanz

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Elena Sanz.

Letzte Aktualisierung: 15. Januar 2023

Auch wenn wir in der Kindheit lernen, dass wir von allem etwas essen und auch immer wieder Neues probieren müssen, haben wir alle Vorlieben und Abneigungen gegen bestimmte Lebensmittel. Eine selektive Essstörung liegt vor, wenn das übermäßig wählerische Essverhalten dazu führt, dass sich Betroffene auf bestimmte Nahrungsmittel beschränken, die ihren Nährstoffbedarf nicht abdecken.

Die selektive Essstörung beginnt meistens in der Kindheit, stellt jedoch auch im Erwachsenenalter eine Herausforderung für Betroffene dar. Wir dürfen diese Krankheit jedoch nicht mit vorübergehenden Vorlieben oder Launen verwechseln. Viele Kinder sind Gemüsemuffel, lassen sich jedoch mit der richtigen Zubereitung austricksen und lernen, Gemüse zu essen.

Die selektive Essstörung ist komplex, denn manche fürchten bereits den Gedanken an bestimmte Lebensmittel. Andere sind dazu in der Lage, daran zu riechen oder sogar etwas zu probieren, können sie jedoch nicht schlucken. Erfahre heute mehr über diese Art der Essstörung, die auch ARFID (avoidant/restrictive food intake disorder) genannt wird.

Kind hat selektive Essstörung

Selektive Essstörung: Was ist das?

Wie anfangs erwähnt, entwickeln Betroffene eine starke Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel, wobei die sensorischen Eigenschaften eine wesentliche Rolle spielen. Die Farbe, der Geruch, die Textur, der Geschmack oder die Temperatur des Nahrungsmittels können diese Abneigung auslösen.

Häufig verstecken sich dahinter sensorische Empfindlichkeiten. Eine Störung der Sinnesverarbeitung ist genetisch bedingt und keinesfalls auf den Erziehungsstil oder eine Laune des Kindes zurückzuführen. Häufig leiden Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung daran. Betroffene sind hochempfindlich und verarbeiten die wahrgenommenen Informationen anders, was die sensorische Integration erschwert. 

Sie reagieren empfindlich auf Gerüche oder Texturen, bevorzugen knusprige Nahrungsmittel oder reagieren mit Ekel oder Angst auf bestimmte Geschmacksrichtungen. Betroffene können, müssen jedoch keine Superschmecker (Supertaster) sein, die besonders sensibel auf Bitterstoffe reagieren, was genetisch bedingt ist.

Traumatische Erlebnisse mit einem bestimmten Nahrungsmittel, essbezogene Ängste oder emotionale Probleme zählen ebenfalls zu den möglichen Ursachen für eine selektive Essstörung.

Symptome und Anzeichen

Die selektive Essstörung ist keine vorübergehende Laune, sondern eine lebenslange Krankheit, die an folgenden Anzeichen zu erkennen ist:

  • Betroffene lehnen viele Lebensmittel ab und beschränken sich auf eine kleine Auswahl.
  • Unabhängig davon, wie oft die betroffene Person im Kindesalter mit einem bestimmten Nahrungsmittel in Kontakt kommt, oder wie dieses zubereitet wird, bleibt die starke Ablehnung vorhanden, auch im Erwachsenenalter. 
  • Betroffene entscheiden sich immer für die gleichen Lebensmittel, Marken und Zubereitungsformen. Sie tolerieren keine Abweichungen.
  • Viele entwickeln eine Vorliebe für trockene, knusprige, homogene Lebensmittel (wie Toast oder Chips). Das liegt daran, dass sie wissen, was sie erwartet. Obst kann Unterschiede aufweisen, ein Apfel ist süßer, ein anderer saurer. Diese sensorischen Abweichungen überfordern Personen mit einer selektiven Essstörung.
  • Die erhöhte Sensibilität tritt nicht nur bei Lebensmitteln auf, sondern umfasst auch andere Aspekte. Manche haben Probleme mit hellem Licht oder lauten Geräuschen, andere empfinden Nähte oder Etiketten an der Kleidung als extrem störend. Sie erleben meistens auch ihre Emotionen sehr intensiv.
  • Die Abneigung gegen Lebensmittel ist so groß, dass oft der bloße Gedanke daran bereits zu Unwohlsein oder Nervosität führt.
Junge hat selektive Essstörung

Selektive Essstörung: Was tun?

Folgen der selektiven Essstörung sind unter anderem Nährstoffmangel, Müdigkeit und Untergewicht. Betroffene Kinder stehen unter ständigem Druck, wenn ihre Eltern versuchen, sie zu einer vielseitigen Ernährung zu bewegen und ihr Essverhalten kontinuierlich kritisieren. Bedrohungen und Strafen sollten unbedingt vermieden werden.

Die Behandlung ist in den meisten Fällen komplex, da vermutlich genetische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. Die Entwicklung des präfrontalen Kortex ermöglicht eine bessere Impulskontrolle und rationale Entscheidungen. Dies ist eine Frage der Zeit, bedeutet jedoch auch, dass Kinder unter zehn Jahren kaum dazu gebracht werden können, ihr Essverhalten zu ändern.

Eltern können versuchen, bei den Lebensmitteln, die das Kind akzeptiert, geringe Veränderungen einzuführen: Pellkartoffeln statt Bratkartoffeln, oder Fruchtsaft mit einem Gemüse, das das Kind isst. In einer kognitiven Verhaltenstherapie kann das Kind lernen, sich weniger Sorgen über das Essen zu machen und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, verbessern. Es gibt spezifische Programme, die Betroffene schrittweise an neue Nahrungsmittel heranführen. Professionelle Hilfe ist unbedingt nötig.

Verständnis ist eine wichtige Voraussetzung, um Kindern mit dieser komplexen Essstörung zu helfen.


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