Psychologie der Fotografie: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Wir erfassen Bilder schneller als Sprache, deshalb sind sie in der Kommunikation sehr praktisch. Außerdem behalten wir sie länger in Erinnerung und sie erleichtern uns den Lernprozess. Doch sagen Bilder wirklich mehr als tausend Worte?
Psychologie der Fotografie: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Geschrieben von Redaktionsteam

Letzte Aktualisierung: 06. Februar 2023

Das viel zitierte Sprichwort “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte” wird Kurt Tucholsky zugeschrieben, der 1926 unter dem Pseudonym Peter Panter einen Artikel mit diesem Titel veröffentlichte. Allerdings publizierte Fred R. Barnard in einer Fachzeitschrift der Werbebranche bereits 1921 den englischen Slogan “One look is worth a thousand words”, der hier einem nicht genannten japanischen Philosophen zugeschrieben wird. Dass Bilder eine enorme Macht haben, wissen wir alle. Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der visuelle Inhalte wichtiger denn je sind.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Sagt ein Bild mehr als tausend Worte?

Wenn wir eine Bauanleitung eines Möbelstücks vor uns haben, benötigen wir keine langen Erklärungen, um die einzelnen Schritte zu verstehen. Und beim Betrachten eines Kunstwerks wie Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch würden wir viel Papier und Zeit benötigen, um alle Details in Worte zu fassen. Die Komplexität spielt hier eine wesentliche Rolle – auch die Antwort auf unsere heutige Frage ist komplex.

Der Schlüssel liegt in der Komplexität

Wir können einfache Visualisierungen oder Präsentationen als Werkzeuge bezeichnen, die das Verständnis komplexer Prozesse vereinfachen. Doch wie schaut es bei komplexen Bildern oder Texten aus? Können wir Kunstwerke tiefgehend verstehen, ohne die Geschichte und den Kontext zu kennen? Können Worte die Empfindungen beschreiben, die das Bild mit all seinen Formen, Farben und Botschaften in uns auslöst? Ist es möglich, komplexe, tiefgründige Informationen in einem Bild auszudrücken?

Eine Studie eines Wissenschaftlerteams der Universität von Minnesota beantwortet die Frage, die uns heute beschäftigt, zumindest teilweise: Die Forscher haben herausgefunden, dass das Gehirn Bilder 60.000 Mal schneller verarbeitet als Text. Wir benötigen nur 13 Millisekunden, um ein Bild zu erkennen. Ein einfaches Beispiel: Wir identifizieren Emojis weitaus schneller als einen Satz, der das entsprechende Gefühl beschreibt, und wissen sofort, was dieses Bild uns sagen möchte.

Die Kommunikationswirkung von Fotos ist enorm. Oft nehmen wir sie unbewusst wahr, doch trotzdem beeinflussen uns ihre Botschaften. Im Marketingbereich sind Bilder besonders aussagekräftig: Sie ermöglichen es, präzise und unmittelbare Inhalte auf einfache Art und Weise zu vermitteln, ohne dass wir lange lesen und nachdenken müssen.

Nicht nur Bilder, auch Worte steuern unsere Gedanken: Dieses “Framing” kann unsere Einstellungen und unsere Wahrnehmung der Realität lenken. 

Fotokalender - Erinnerungsbilder sagen mehr als tausend Worte

Bilder als Gedächtnisstütze

Visuelle Inhalte sind eine ausgezeichnete Gedächtnisstütze – eine Struktur, die uns hilft, uns an Inhalte zu erinnern. Denn unser Gehirn speichert Bilder länger als Texte, da beim Betrachten ein spezifisches Gehirnareal stimuliert wird. Der “Picture Superiority Effect” wurde in verschiedenen Studien untersucht: Visuelle Inhalte sind überlegen. Deshalb sind Videos, Fotos und Grafiken ausgezeichnet als unterstützendes Lernmaterial.

Auch im persönlichen Bereich sind Bilder eine Gedächtnisstütze. Sie helfen uns, schöne Erlebnisse und erinnernswerte Erfahrungen festzuhalten: Ob Fotokalender, Fotobuch oder digitales Fotoalbum – wir lieben es, uns immer wieder an diese Momente zurückzuerinnern und erleben dabei ein angenehmes Gefühl von Nostalgie.

Fotos helfen uns, Gedanken zu ordnen, Gefühle zu aktivieren und die Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Ein Erinnerungsfoto sagt mehr als tausend Worte, denn mit einem einzigen Blick erleben wir ein vergangenes Ereignis und die dazugehörenden Emotionen noch einmal.

Doch aufgepasst: Wer sich zu sehr auf Fotos konzentriert, kann Probleme haben, sich an spezifische Details zu erinnern. Dies geht aus einer Studie hervor, die in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlicht wurde.

Frau macht Selfie

Selfies, die perfekte Inszenierung

Selbstporträts sind unsere Visitenkarte und prägen auch unsere Selbstwahrnehmung. Auch hier hat sich viel verändert: Waren Porträts früher Kunstwerke, die nur dem Königshaus und Adeligen vorbehalten waren, kann sich heute jeder auf Selfies selbst so darstellen, wie es ihm beliebt. 

Mit Selfies zeigen wir einen bestimmten Ausschnitt unseres Lebens – meist um anderen Glücksmomente, Abenteuer und Herausforderungen zu zeigen, die wir für wichtig halten. Viele inszenieren ihre Selbstporträts bis aufs kleinste Detail, denn schließlich geht es darum, durch möglichst viele Likes Anerkennung zu erzielen. Bildbearbeitungsprogramme machen aus einem Durchschnittsgesicht in Sekundenschnelle eine perfekte Schönheit.

Selfies sind zum Ausdruck unserer Kultur geworden. Auch ohne Worte versteht jeder sofort, was das Selbstporträt zu vermitteln versucht. Wenn wir das bunte Mosaik eines Instagrammers beobachten, sehen wir mit einem Blick jene Identität, die diese Person von sich präsentieren möchte. Eine Kurzbiografie in Bildern, die uns einen Überblick über das Leben eines Menschen gibt. Oder doch nicht?

Selfies spielen in sozialen Netzwerken eine wichtige Rolle dabei, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen. Wir präsentieren nur, was andere von uns wahrnehmen sollen. 

Fotos enttäuschen uns oft, weil wir zu hohe Erwartungen stellen – wir schauen darauf nie so perfekt aus, wie wir das gerne hätten. Doch es gibt effektive Filter und Apps zur Bildbearbeitung, die Abhilfe schaffen. Das ist allerdings noch nicht genug. Selfies haben die Tendenz zu Schönheitsoperationen deutlich erhöht: Eine Studie warnt ausdrücklich vor den zerstörerischen Folgen der Selfie-Kultur und erwähnt, dass der Wunsch, sich kosmetischen Operationen zu unterziehen, dadurch zugenommen hat. Wenn Selfies zur Selbstprüfung werden und das Selbstwertgefühl nur auf Likes aufbaut, geht die eigene Identität verloren.

Doch nicht nur Selfies werden retuschiert: Seit es Deepfakes und künstliche Intelligenz gibt, können wir nicht mehr automatisch davon ausgehen, dass ein Foto die Realität widerspiegelt.

In unserer digitalen Gesellschaft kann Bildmaterial zwar einfach verfälscht werden, doch wir glauben trotzdem noch immer, dass ein Bild die Wirklichkeit widerspiegelt. 

Sagt ein Bild mehr als tausend Worte?

Wir erfassen Bilder schneller als Sprache, deshalb sind sie in der Kommunikation sehr praktisch. Außerdem behalten wir sie länger in Erinnerung und sie erleichtern uns den Lernprozess. Wir dürfen nicht vergessen, dass uns Erinnerungsfotos wichtige Ereignisse in unserem Leben immer wieder näherbringen und uns auch die Gefühle und Emotionen aufs Neue erleben lassen. Ein Fotokalender in der Küche ist deshalb eine wunderbare Idee, doch es gibt Momente, in denen wir die wahre Essenz des Lebens verpassen, da wir uns nur darauf konzentrieren, einen kleinen Ausschnitt auf ein Foto zu bringen.

Bilder sind tatsächlich sehr aussagekräftig und unmittelbar, doch komplexe Inhalte benötigen Sprache. Besonders effektiv ist die Kombination von Bild und Wort.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.